: Kohl und die rechte Kampfpresse
Im Streit um den Mißbrauch von Stasi-Akten wächst der Druck auf Kohl und seinen Minister Schmidbauer / SPD-Bundesgeschäftsführer Blessing: „Getroffene Hunde bellen“ ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack
„Getroffene Hunde bellen“, so kommentierte SPD-Bundesgeschäftsführer Karlheinz Blessing gestern nachmittag eine Erklärung, die der Bundeskanzler zwei Stunden zuvor über die Faxgeräte hatte schicken lassen. Das Interessanteste an Helmut Kohls Erklärung „zur aktuellen Diskussion“ über die Aufarbeitung von Stasi- Akten war in der Tat, daß es sie überhaupt gab. Daß die Bundesregierung „ausschließlich nach Recht und Gesetz“ verfahre, das hatte sie schon mehrfach verlauten lassen, ohne daß ihr das überall geglaubt worden wäre.
Der Druck auf Kohl und seinen Kanzleramtsminister, den Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer (CDU), wächst. Ihn haben viele in der SPD in erster Linie im Verdacht, Namen von angeblichen oder tatsächlichen Stasi- Spionen an die „rechte Kampfpresse“ weitergegeben zu haben. Diesen Begriff prägte SPD-Chef Rudolf Scharping am Montag – ohne das Boulevardblatt Bild und das Münchner Magazin Focus ausdrücklich zu nennen. Diese beiden Blätter hatten in den letzten Tagen immer wieder neue Enttarnungen von vermeintlichen Stasi-Spionen vermeldet – manchmal zu einem Zeitpunkt, als selbst die Generalbundesanwaltschaft noch nicht von den Vorwürfen informiert war.
Für viele in der SPD brachte der Fall ihres Parteifreundes Karl Wienand das Faß zum Überlaufen. Den Namen von Wienand, der während der sozialliberalen Zeit SPD-Fraktionsgeschäftsführer war, hatte Bild als möglichen Stasi- Spitzel ins Spiel gebracht. Und noch an diesem Montag titelte Focus: „Schock für Helmut Schmidt: War Wienand der zweite Guillaume?“ Belege für diese Vermutung hatte das Blatt nicht. Die Bundesanwaltschaft hatte ihre Ermittlungen gegen Wienand bereits am Samstag eingestellt – doch da war der Focus-Titel offenbar schon im Druck.
Selbst der FDP-Abgeordnete Burkhard Hirsch findet es „merkwürdig“, daß die bisherigen Veröffentlichungen ausschließlich zu Lasten von SPD und FDP gegangen waren. Und sogar der Vize-Chef der russischen Auslandsspionage, Wjatscheslew Trubnikow, sah sich genötigt, Schmidbauer zur Ordnung zu rufen. Moskau habe nie Stasi-Unterlagen nach Bonn geliefert, widersprach Trubnikow Äußerungen des Kohl-Ministers. Er habe den Eindruck, so der Geheimdienstler zum Stern, „daß die deutschen Dienste Unterlagen für politische Ziele ausnutzen“. Dabei, so bat Trubnikow, „sollte man uns bitte raushalten“.
Kohls Erklärung sollte wohl der Schadensbegrenzung dienen, die bisher nicht so recht gelungen war. Nachdem am Donnerstag zwei Zeitungen, darunter die taz, über die Merkwürdigkeiten bei der Bonner Agentenjagd berichtet hatten, hatte die Bild-Zeitung selbst einen ersten Versuch der Frontbegradigung unternommen. Am Freitag vermeldete das Blatt, erstmals sei ein CDU-Fraktionsmitarbeiter als Stasi-Spion enttarnt worden. Es war offenbar eine Finte, um Ausgewogenheit zu simulieren.
Denn tatsächlich war die Story von dem CDU-Spion, so hieß es in der Unionsfraktion, „eine uralte Geschichte“. Die Fraktion hatte bereits im letzten Jahr von dem Verdacht gegen den Mann erfahren und ihn deshalb im Dezember 1992 nach 21 Monaten Tätigkeit vorzeitig entlassen.
Auch das nächste Bonner Dementi ging in die Hose. Vize-Regierungssprecher Norbert Schäfer berief sich am Montag auf den Chef der Stasi-Aktenbehörde, Joachim Gauck, um die Regierung reinzuwaschen. Gauck selbst habe „explizit“ bestätigt, daß es „nicht zu beanstanden“ sei, daß der Verfassungsschutz die Akten bearbeite, versicherte Schäfer. Tatsächlich sind Gaucks Zweifel nicht ausgeräumt. Den Wunsch, zumindest Einsicht in die Akten zu nehmen, hat seine Behörde jedenfalls noch nicht aufgegeben. Bislang hat ihr der Verfassungsschutz dies verwehrt.
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