Polizisten vor Gericht: Erschwerte Wahrheitsfindung
Im Prozess gegen vier SEK-Beamte, die wegen Körperverletzung im Amt angeklagt sind, betreut Biplab Basu das Opfer Erdal R. Die SEKler bestreiten, für dessen Verletzungen bei einer versehentlichen Festnahme verantwortlich zu sein.
Reinar Mülders hat wirklich keinen leichten Job. Er ist der Richter im seit einer Woche vor dem Landgericht laufenden Prozess gegen vier SEK-Beamte, denen Körperverletzung im Amt vorgeworfen wird. Mülders muss herausfinden, wer dabei die Wahrheit sagt.
Ist es Erdal R. und seine Familie, die im April 2005 eine alptraumartige Nacht erlebten, als das SEK ihre Wohnung in Lankwitz stürmte? Die vermummten Beamten brachen die Tür mit einer Ramme auf, dann setzten sie Erdal, dem damals 17-Jährigen, in seinem kleinen Schlafzimmer übel zu. Blutende Nase, ein ausgebrochener Zahn, eine Verletzung am Schlüsselbein und Prellungen am ganzen Körper sind attestiert. Auch der Wand hinterm Bett fehlte ein Stück, als das Licht endlich anging. Erdal R. galt damals als Verdächtiger in einem bewaffneten Raubüberfall. Zu Unrecht, wie sich rasch bei einer Gegenüberstellung zeigte.
Sollte Erdal R.s Schilderung stimmen, dann würden die SEK-Beamten die Unwahrheit sagen. Wobei sie, die Angeklagten, gar nichts sagen und ihre vier Verteidiger sprechen lassen. Die lesen Erklärungen vor, in denen die Elite-Polizisten ihre Version des nächtlichen Einsatzes schildern. Kernaussage: Erdal R. hat sich verletzt, als er im Dunkeln gegen den Schild des ersten Beamten der Sturmtruppe lief.
Drei der vier Elite-Beamten sitzen mit falschen Bärten und Perücken im Gerichtssaal. Die Camouflage wurde erlaubt, um die Sicherheit der SEK-Beamten zu gewährleisten. Einer, Herr G., macht bei der Verkleidungsaktion nicht richtig mit. Als einziger entschuldigt er sich auch - wenngleich sehr allgemein - für die Folgen, die so ein harter Einsatz mit sich bringen kann.
In der bisherigen Zeugenvernehmung werden vom Richter, aber vor allem von den Verteidigern kleinste Details abgefragt. Wie lange die Schlägerei im Zimmer gedauert hat. Ob es ein Zahn war oder eine Krone, die herausfiel. Wie sich die Schlägerei anfühlte. Warum das Blut nicht am Kopfende des Bettes, sondern in der Mitte ist. Wie viel Schläge Erdal R. bekommen habe. "Ich kann nicht zählen, wenn ich geschlagen werde", antwortet er auf die letzte Frage. Ob es 10 waren oder 30 oder 100, insistiert der Anwalt. "Man zählt doch keine Schläge", pariert Erdal R.
Die Verteidigung fragt bei den Zeugen der Anklage hart nach. Von Erdal R.s Mutter, einer ausgebildeten Krankenschwester, die in jener Nacht geistesgegenwärtig Fotos machte, will man wissen, wie lange sie ihren Sohn schreien hörte. Wie laut der Krach war. Wie sich die Schläge anhörten. Wie viel Leute im Zimmer waren, als die Beamten sie endlich zu ihrem Sohn durchließen. Leiten die Zeugen ihre Antworten mit "ich glaube" ein, wird nachgehakt. Antworten sie "ich weiß nicht", ebenso.
Erdal R.s Vergangenheit wird zum Thema gemacht, denn als 15-Jähriger wurde er aktenkundig. Falschaussage war ihm zur Last gelegt worden, als er bei einem Unfall die falsche Version seines Freundes widergab. Zudem gab es 2004 ein Verfahren wegen räuberischer Erpressung. In beiden Fällen wurde er freigesprochen, aber seitdem waren Lichtbilder von ihm bei der Polizei vorhanden. So kam es zu dem falschen Verdacht, der zur Razzia in jener Aprilnacht führte.
Neben Erdal R.s Vergangenheit wird auch die Opferberatungsstelle ReachOut von der Verteidigung gern zum Thema gemacht. Wer hat Ihnen die Nummer von ReachOut gegeben, wird die Mutter gefragt. "Sie wissen es nicht mehr?" Und weiter: Wer ist der Herr Biplab Basu? Hat Ihr Sohn Kontakt mit Basu? Waren Sie mit Herrn Basu in Kontakt? Sie wissen nicht, wann Sie mit Ihrem Sohn bei der Rechtsanwältin waren? "Aha, das Büro der Rechtsanwältin ist im gleichen Haus wie ReachOut."
Der Psychologin wiederum, die Erdal R. die letzten drei Jahre betreute und die ebenfalls im gleichen Haus ihre Praxis hat, wird von der Verteidigung vorgehalten, dass sie sich auf die Berichte des jungen Mannes verlassen habe und nicht die Unterlagen der Polizei als Grundlage heranziehe. "Das schließt sich in meinem Berufsstand aus", antwortete die Therapeutin. "Sie verlassen sich auf das, was Ihnen der Proband sagt", hakt ein Verteidiger nach. "Das ist die übliche Art, eine Diagnose zu stellen", antwortet sie. "Und Sie lassen sich davon nicht beeinflussen?", wirft der Verteidiger in den hochabgesicherten Gerichtssaal.
Die Auslassungen in den Aussagen der ebenfalls in jener Nacht anwesenden Kripo- und sonstiger Polizeibeamten aufzufinden, ist dem Gericht und den beiden Rechtsanwältinnen von Erdal R. überlassen. Tohuwabohu ja, bestätigen sie, aber an gravierende Verletzungen bei Erdal R. will sich niemand der bisher befragten Beamten erinnern.
Die Wahrheitsfindung dürfte schwierig werden. Spricht der Richter die Beamten frei, ist es eine Einladung an diese, auch künftig bei Einsätzen so zuzulangen.
Die nächsten Prozesstermine: Heute um 9 Uhr in Raum 500 und am 24. April im Raum 700, jeweils um 9 Uhr am Landgericht, Turmstraße 91
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!