: Nachschlag
■ Das neueste Chamäleon-Programm
Was so ein richtig ordentliches Chamäleon ist, das wechselt anständig die Farbe. Und zwar nicht zur Tarnung, sondern launisch der Stimmung entsprechend. Desweiteren hat das Tier eine schnellende Zunge, die erschrecken kann. Was also ist von einem Varieté gleichen Namens zu erwarten? Richtig: Buntschillerndes, Abwechslung und Überraschung, vielleicht eine Brise Schock und Grusel. Doch was im neuesten Chamäleon-Programm „Locker vom Hocker“ dargeboten wird, kann meist ebenso locker vom Hocker unter den Tisch gekehrt werden. Nicht daß es den Artisten und Kleinkünstlern an Können fehlen würde, nein, die Zusammenstellung ist's. Zuviel Jonglage, zuviel musikalische Einlage, zuviel Eintönigkeit. Wenig Spannung, wenig Überraschung.
Weil in dieser Stadt vermutlich nur an einem nicht gespart wird, nämlich an Sparvorschlägen (ausgenommen natürlich das Olympia-Vorhaben), hier noch ein weiterer: Die Liste der zur Kürzung anstehenden Posten beginnt (traurigerweise) beim steifen Conférencier. Unablässig quillt eine Peinlichkeit nach der anderen aus seinem Mund. Er leitet bemüht witzig zur nächsten Nummer über, kontaktiert gaaanz spontan das Publikum und singt leider auch noch – zusammen mit Bryan, einer weiteren Peinlichkeit mit Heintje-Tolle. Letzterer ist ersatzlos zu streichen, mit dem Conférencier müßte man dringend was machen, da ein Varieté nun mal nicht ohne auskommt. Weitere Posten, die zur Kürzung anstehen: Diverse Jongleure mit Kegeln, Stöckchen und Diabolos, da die Dinger in der Luft ohnehin immer gleich aussehen (auch dann, wenn sie mal fallen). Auch Gisela und Gerda von der Volkstanzgruppe der VHS Birkenwerder reichen als Stepperinnen im Programm einmal. Das erspart den ZuschauerInnen nach der Pause außerdem den Eindruck, nun die Nummern vor der Pause in umgekehrter Reihenfolge zu sehen.
Unter dem Strich und auf jeden Fall sehenswert bleibt dann ein Programm, das den unvergeßlichen Mr. P.P. auf dem Silbertablett präsentiert. Der schrullig-überkorrekte Proto-Brite (in weißen Kniestrümpfen und Bügelfaltenshorts) brilliert in noblem Understatement, wo sich die anderen Künstler mit etwas zuviel Glamour dekorieren. Ach, er ist einfach einmalig und vor allem perfekt, wenn er Tischtennisbälle „verschluckt“ oder einem Springbrunnen gleich mit dem Mund jongliert. Weniger komisch, dafür ebenso faszinierend perfekt sind „Les Deux Pilotes“, die im fliegenden Wechsel mit minimalem Körperkontakt auf einer Schaukel durch das Chamäleon schwingen. Ich glaube, hier wechselte ich für kurze Zeit die Gesichtsfarbe ins leicht Bläßliche. Petra Brändle
Nächste Termine: mittwochs bis sonntags bis in den Oktober, jeweils 20.30Uhr, Rosenthaler Straße 40/41, Berlin-Mitte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen