Village Voice: Hanging-Rock-Visionen
■ Frauen vom See der duftenden Selbstanalyse: Die neue Platte der Rainbirds
Popmusik, die sich und der Welt nichts mehr beweisen muß, altert schnell. Für ihre vierte LP „In A Different Light“ werden die Rainbirds wahrscheinlich keine Aufmacherstory in der Bravo oder anderen Teenie- Zeitschriften mehr bekommen. Statt dessen hat der einstmals liebreizende Sonnenanbeter- Folk für Regentage das Reifestadium der gehobenen HiFi-Testblatt-Kritik erreicht: ernsthafte Kompositionen, durchdacht und gediegen produziert. Bobo-Musik für Erwachsene.
Dabei sind Katharina Franck und Ulrike Haage im Grunde ganz sympathische Rebellinnen, was ihren Umgang mit Pop betrifft. Während sich die Kluft zwischen Hitparade und Häuserpunk mit Techno ziemlich undissidentisch geschlossen hat, covern die Rainbirds Songs aus dem Punkrockverzeichnis von Patti Smith oder picken sich aus dem Soundtrack zu Eraserhead von David Lynch die Gruselballade heraus. Und auch in den eigenen Texten zeigt sich Franck um einiges kämpferischer als bisher: „Hell I'm free, so don't you mess with me“ („Sleep with Snakes“).
Doch der Ausflug in den Underground von damals hat bisweilen eher rockpoetischen Charakter, die rekonstruierten Schwermutsklassiker sind recht ordentliche und ausgewogen arrangierte Studiokonstrukte, bei denen am Mischpult jede allzu große Ausdruckswut weggeschliffen wurde. Nur auf „Rock 'n' Roll“ brüllt die sonst so sanfte Katharina Franck ungewöhnlich heiser und Alexander Hacke dreht im anschließenden Gitarrensolo ab. Ansonsten bleibt von Fisch und Fleisch nicht viel übrig, was sich einer radiotauglichen Marschroute zwischen Extravaganz und Arbeitsroutine verweigern würde. Das elektrisch verfremdete Cello zu „Ain't it strange“ säbelt ein bißchen schnörkelig in der eh schon gebetsmäßigen Melodie vom Patti- Smith-Song herum und ergänzt sich hervorragend mit der Bohrmaschine und dem Steingeklopfe von F.M. Einheit im 4/4-Takt. Der Lärm gehört genau wie die programmierten Disco-Trommeln und ein bißchen orientalisches Gerassel zum musikalischen Gesamtkunstwerk.
Andererseits sind Ethno- und Industriegeräusche nicht immer nur einfach experimentelle Effekte aus der Fremde. Dann verfremden sie umgekehrt den ruhigen Stimmungsfluß und schützen vor zu großer Vertraulichkeit, wenn Franck von persönlichen Geschichten singt. In Stücken wie „Someone Sometime“ oder „Pebbles in my Hand“ untermalen die Cross-Culture-Klangmuster all die rätselhaften Innen- und Außenwelten, durch die sich Katharina Franck mit schweren Metaphern auf portugiesisch, englisch und französisch bewegt: Die Welt als ein unentwegt wandelndes Traumgebilde. Schon in der Eröffnungszeile von „Sleep with Snakes“ ist von einem „reocurring dream“ die Rede, und von da an wird weitergeträumt, instrumental im „Sommernachtstraum“ oder alptraumhaft kurz vor dem Erwachen in der David-Lynch-Ballade „In Heaven“. Jedesmal scheint Franck zu wiederholen, was ihr die Psyche im Schlaf alles angetan hat: „True, this is part of me/ a part you're not supposed to see/ so come away, come away“, heißt es etwa im Refrain zu „Pride“.
Die Songs aus der Selbstanalyse haben einen merkwürdig mystischen und dabei süßlichen Unterton – so als würden sich Schwesternschülerinnen nachts aufregende Geschichten erzählen, um sich die Angst vor der Dunkelheit zu vertreiben. Manchmal erinnert ihre Atmosphäre an die Hanging-Rock-Visionen, mit denen die Mädchen in Peter Weirs „Picknick am Valentinstag“ zu kämpfen haben. Auch die Covergestaltung entspricht diesem Hang zum Traumwandeln: Mal posieren die zwei Rainbirds als Bacchantinnen, mal hocken sie im Kreppkleid vor einer mit Afro und neuer Wildheit vollgepinselten Leinwand; oder die beiden albern im Kaftan vor einem Rimbaud-Bildnis herum, im Vordergrund liegt eine Pfeife auf der afrikanischen Handtrommel.
Am Ende lösen sich die Modenschau und alle niedergeschriebenen Tagebucheintragungen „on the road“ im Ungewissen auf, als hätten Katharina Franck und Ulrike Haage die angepeilte Ferne vor lauter Reisevorkehrungen aus den Augen verloren. Alles paßt, nichts bleibt übrig, und das stimmt traurig: „Time is something, time can pass“ heißt es zum Schluß in „Someone Sometime“ über die Liebe. Marc Almond würde ihnen zustimmen. Auch er schleppt einen viel zu großen Überseekoffer mit sich herum. Harald Fricke
Rainbirds: „In A Different Light“ (Phonogram; CD).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen