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Dauerkrise am Waterloo-Ufer

■ Hunderte von Flüchtlingen stehen schon nachts vor der Ausländerbehörde an / SPD: Menschenunwürdige Zustände

Die Außenstelle der Ausländerbehörde am Kreuzberger Waterloo-Ufer ist mit ihrer Aufgabe weiter völlig überfordert: Täglich stehen bis zu 350 Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien vor dem Pavillon, die eine Duldung beantragen oder verlängern wollen. Einige warten auch bei Regen die ganze Nacht über auf den Stempel. Bis zu 150 Menschen gehen regelmäßig leer aus und müssen nach einer Woche wiederkommen. Vor November wird sich die Situation voraussichtlich nicht entspannen.

Die 17 MitarbeiterInnen der Außenstelle sind völlig überlastet. Zwischen 300 und 500 Menschen werden täglich abgefertigt, für Beratungen oder Betreuung bleibt kaum Zeit. „Überstunden werden nicht viele gemacht, aber der Streß während der Stoßzeiten ist enorm und geht zu Lasten der Qualität der Arbeit“, sagt Manuela Kirchhof, Personalratsvorsitzende des Landeseinwohneramtes. Schriftverkehr, Anfragen und Nacharbeit blieben liegen. Statt das Personal aufzustocken, werden Ende 1993 fünf befristete Stellen eingespart.

Der Leiter der Ausländerbehörde, Ulrich von Chamier, beklagt die räumlichen Bedingungen in dem Pavillon. „Das Haus ist einfach viel zu klein.“ Der Warteraum faßt nur 70 Plätze und ist schlecht belüftet. Auch verbiete die Enge weitere Computerarbeitsplätze. Vor einem Jahr sei die Außenstelle dort in ein Provisorium eingezogen, so Chamier. Wenn er sich jedoch in den Bezirken um andere Objekte bemühe, heiße es, man könne den Wählern diese Menschenmengen nicht zumuten.

Die Häufung seit Anfang August ergibt sich aus der ehemaligen Stichtagregelung, nach der Duldungen jeweils zum 1. Oktober und 1. März ausgesprochen wurden. Inzwischen erteilte das Land Duldungen für vier, fünf oder sechs Monate. „Jetzt haben wir einen kontinuierlichen Anstieg, denn die Hauptlast der Stichtagsregelung ist erst für Oktober zu erwarten“, so Chamier. Er erwartet auch keine Entspannung durch die Weisung des Innensenators, künftig nur noch Flüchtlingen aus Bosnien die Duldung zu gewähren oder zu verlängern. Täglich kämen 100 Neuankömmlinge zu den 17.000 bis 20.000 exjugoslawischen Flüchtlingen hinzu, derzeit fast immer aus Bosnien. Von denen, die sich schon in Berlin aufhalten, wisse seine Behörde oft nicht, welche Staatsangehörigkeit sie besäßen, da sie einen alten jugoslawischen Paß vorwiesen. Es gebe durchaus Indizien dafür, daß sich von ihnen einige heute als Bosnier ausgäben, um bleiben zu können. „Das ist kaum zu kontrollieren.“

Der ausländerpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Eckhardt Bartel, bezeichnete die Zustände als menschenunwürdig und forderte die Innenverwaltung auf, schnellstens Abhilfe zu schaffen. Dort sieht man keinen Handlungsbedarf. Bis auf die zwei Stoßzeiten im Jahr sei die Arbeit gut zu bewältigen, sagte Sprecher Norbert Schmidt. Auch werde die Neuregelung, mit der Berlin sich den Duldungsstandards der übrigen Bundesländer anpasse, für weniger Arbeit sorgen. Schmidt wollte jedoch nicht ausschließen, daß sich Situationen wie in dieser Woche wiederholen werden. Corinna Raupach

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