: Der Staat, die Rechte und die Linke
Der These des Autorentrios Siegler/Tolmein und Wiedemann zufolge steht die Gemengelage aus Justiz, Politik und Medien in direktem, einvernehmlichem Verhältnis zum Rechtsradikalismus ■ Von Eberhard Seidel-Pielen
Eine rundum „politisch-korrekte“ Analyse des Zusammenwirkens von Staat, Bonner Politik und den Rechten liefern die Journalisten Bernd Siegler (taz), Oliver Tolmein (Konkret), Charlotte Wiedemann (Die Woche) und die Autonomengruppe Calamity Jane in „Der Pakt. Die Rechten und der Staat“. Die Aufsatzsammlung besticht weniger durch Originalität als durch die Stringenz, mit der die These bis zum Schluß durchgehalten wird.
In der von ihm gewohnten Gründlichkeit listet Siegler, seit Jahren aufmerksamer Beobachter der rechten Szene und eine Art kollektives Gedächtnis der Antifa- Szene, polizeiliche Versäumnisse in der Verfolgung neonazistischer Gewalttäter, das jahrelange Desinteresse der Strafverfolgungsbehörden an der organisatorischen Vernetzung der Neonazis und die scheinbar lasche Verurteilung rechter Gewalttäter auf und fördert Skandalöses zutage. Seine Chronik läßt in der Tat nur die eine Schlußfolgerung zu: „Es ist platt, aber wahr. Die deutsche Justiz ist auf dem rechten Auge blind.“ Denn: „Wenn es um die Sicherheit für Ausländerinnen und Flüchtlinge geht, wenn es gegen Rechtsextreme und Neonazis geht, da macht die Polizei oft den Eindruck eines stümperhaften, bestenfalls unmotivierten Haufens, der im Zweifelsfall auf die Strategie der Desinformation zurückgreift, statt entschieden zu intervenieren.“
Sieglers Analyse wird durch Charlotte Wiedemanns Darstellung des Wechselspiels zwischen Bonner Parteien und dem Rechtsradikalismus komplettiert. Überzeugend belegt die Autorin, wie die bundesdeutsche Gesellschaft von führenden Politikern mittels der Asyldiskussion systematisch in ein Notstandsdenken hineingeredet wurde. Anhand des Gesinnungswandels von Vertretern der politischen und wirtschaftlichen Elite entlarvt Wiedemann die zwei Lebenslügen der Deutschen: „Wir sind alle Demokraten“ und „Wir sind wieder normal“. Und auch an ihrem Resümee gibt es nichts zu rütteln: „Die aggressive Stimmung des Jahres 1992 gegen Asylbewerber und andere Menschen nicht- deutscher Herkunft wäre nicht möglich gewesen ohne die 20jährige Vorgeschichte einer Anti- Ausländer-Politik des Staates und der ihn tragenden Parteien. Wie in einem Verbundsystem kommunizierten nun die rassistischen Ressentiments der Bevölkerung und der politischen Elite mit den Gewalttätigkeiten der Rechtsradikalen.“
Oliver Tolmeins überzogene, da pauschale und undifferenzierte Generalabrechung mit den Medien rundet das Bild ab. Wohin der zornige junge Journalist auch blickt, er sieht nichts als ein Paktieren seiner Berufskollegen mit den Rechten. „Die deutschen Medien, das ist angesichts der Ereignisse 1991 und 1992 deutlich geworden, wirken als PR-Agenturen des Zeit- (Un)geistes – und sie verstehen sich auch so.“ Und weiter im Text: „Presse, Funk und Fernsehen haben sich zu ihrer LeserInnenschaft in die erste Reihe gesetzt. Aus der Überparteilichkeit ist Volksgemeinschaftlichkeit geworden.“
„Der Pakt“ wird bei all jenen, „die es immer schon gewußt haben“, zustimmendes Kopfnicken ernten. Aber die vermeintliche Konsistenz der Darstellung wird mit einem zweifelhaften methodischen Vorgehen erreicht. So zeichnet Siegler mit der rein additativen Darstellung rechtssympathisierender Polizisten und Richter eine tendenzielle Interessenskonvergenz zwischen Staatsdienern und Rechten. Daß es diese gibt, soll hier nicht bestritten werden. Allerdings reicht dies für eine qualitative Analyse bei weitem nicht aus. Denn mit diesem Verfahren ließe sich auch das Gegenteil, engagiertes polizeiliches und justitielles Handeln gegen Rechts, beweisen. Gleichzeitig führt Sieglers dichotome Gesellschaftssicht verschiedentlich zu merkwürdigen Ableitungen. Zum Beispiel wenn er ausgerechnet die Selbstaussage hessischer Landesverbände der „Republikaner“, bis zu 15 Prozent ihrer Mitglieder seien Polizisten, ohne Gegenrecherche zur Untermauerung seiner These heranzieht, der Polizeiapparat sei mit den „law- and-order“-Positionen der „Republikaner“ durchsetzt.
Sehr widersprüchlich werden die Ausführungen zur Bekämpfung rechter Gewalt. Daß ein permanenter Verfolgungsdruck rechtsextremistischer Aktion und Agitation, Verbote von Parteien und Vereinen vor allem die organisierte Szene verunsichern und in ihrer Bedeutung zurückdrängen können, hat sich überall da gezeigt, wo die Polizei tatsächlich diese Strategie verfolgte. Was aber tun mit dem Gros der rassistischen Gewalttäter, die eben nicht Bestandteil des braunen Netzes sind? Die indirekte Forderung der Autoren lautet: konsequenter und härter aburteilen! Man klagt Gleichbehandlung ein und verweist darauf, daß bei Straftaten linker Jugendlicher oder auch von Drogenabhängigen der Erziehungsgedanke nie im Vordergrund gestanden hätte, bei den Rechten dagegen, trotz vereinzelt hoher Strafen, die „Mehrzahl vor Gericht stehender Gewalttäter mit sozialen Trainingskursen, Jugendarrest, Verwarnungen oder geringen Bewährungsstrafen davonkommt“. Eine weitere These, die allerdings an keiner Stelle durch eine vergleichende Analyse entsprechender und vergleichbarer Strafverfahren und Urteile belegt wird. Dennoch sind für Siegler die vermeintlich niedrigen Strafen ein weiterer Beleg des Paktes.
Bei der Forderung nach härterer Bestrafung minderjähriger Täter lassen die Autoren, die an dieser Stelle eine erstaunliche Nähe zu den Forderungen konservativer Richter und Oberstaatsanwälte zeigen, offen, was mit Haftstrafen erreicht werden soll. An keiner Stelle wird problematisiert, ob Knast rassistische Jugendliche in irgendeiner Form ändert oder bessert. Dies ist erwiesenermaßen nicht der Fall. Tatsächlich geht es den Autoren, da sie sich vehement gegen jede individualpsychologische Auseinandersetzung mit gewaltbereiten Jugendlichen wehren und sich somit jeglicher Möglichkeit präventiver Arbeit mit potentiellen Tätern berauben, eher um den Sühnegedanken. Das mag für den eigenen Gefühlshaushalt zwar ganz nützlich sein, nicht aber für potentielle Opfergruppen.
Bernd Siegler, Oliver Tolmein, Charlotte Wiedemann: „Der Pakt. Die Rechten und der Staat“. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 1993, 251 Seiten, 28 DM
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