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Ein neuer Politikstil erfreut Japan

Morihiro Hosokawa, seit einer Woche japanischer Premier, führt die populärste japanische Regierung aller Zeiten / Er braucht die Unterstützung der Öffentlichkeit allerdings dringend  ■ Aus Tokio Georg Blume

Drei Tage lang nahm Japans neuer Premierminister Morihiro Hosokawa im vergangenen Jahr an einem Seminar für amerikanische Senatoren und Manager in Seattle teil. „Er hatte seine Reden im akzentfreien Englisch perfekt einstudiert. Sogar die Witze stimmten“, erinnert sich Professor Kenneth Courtis, Chefökonom der Deutschen Bank in Tokio, der Hosokawa nach Seattle lotste. Doch die anfängliche Begeisterung für den eleganten Fürstensohn aus der südjapanischen Provinz Kumamoto ließ bei den amerikanischen Gesprächspartnern mit fortschreitendem Seminar rasch nach. „Ich habe Ihnen drei Tage lang zugehört“, erhob sich endlich ein Senator. „Aber über alle großen Probleme, die wir besprochen haben, von Jugoslawien bis zum Nahen Osten, von der Entwicklung in China bis zu unserem Handelskonflikt mit Japan, weiß ich über Ihre Denkweise und Visionen heute nicht mehr als vor drei Tagen.“

Der Gentleman aus Kumamoto hatte auch diesmal ein perfektes Stelldichein: kein übertriebenes Lächeln, kein Wort zuviel, öffentliche Rücksichtnahme auf seine Frau wegen des Umzugs und klarere Worte hinsichtlich der japanischen Kriegsverbrechen und der geplanten Reformen. Seine erste Woche im Amt verbrachte der neue Premierminister unter den Akklamationen von Öffentlichkeit und Medien. Jeweils über 75 Prozent der Japaner sprachen der Hosokawa-Regierung in den ersten Umfragen nach dem Machtwechsel ihre Unterstützung aus.

Der Vertrauensvorschuß für das neue Kabinett ist damit größer als je zuvor: 1949 hatten den bislang nach einer Regierungsübernahme populärsten Premier Shigeru Yoshida 54 Prozent in einer vergleichbaren Umfrage unterstützt. Erst jetzt wird deutlich, welche große Erleichterung über das Ende von vier Jahrzehnten Einparteienherrschaft der Liberaldemokraten (LDP) überall im Land herrscht. Die Tageszeitungen werden derzeit mit Leserbriefen überschwemmt, die Hosokawas unerwarteten Regierungseinstand als Sieg der einfachen Leute und Neubeginn der Demokratie feiern.

Seine Popularität aber ist für Hosokawa nicht nur Bonus, sondern schiere Notwendigkeit zum Regieren: Als Vorsitzender der „Neuen Partei Japans“ (JPN) hat Hosokawa nur 8 Prozent der Wählerstimmen hinter sich – und noch dazu eine Abgeordnetentruppe, deren Mitglieder alle Neulinge im Parlament sind. Auch bei den sechs Koalitionspartnern verfügt der Premierminister über wenig personellen Rückhalt.

„Das war ja wie im Weißen Haus“, stammelte ein altgedienter Journalist nach der ersten Pressekonferenz des neuen Premiers. Statt sich wie die bisherigen Regierungschefs auf dem Stuhl niederzulassen und die vorbereiteten Fragen der immer in der ersten Reihe plazierten Pressesenioren abzuhaken, wählte Hosokawa das Stehpult und nahm die Fragen nach Wortmeldung frei aus dem ganzen Raum. Mehr als mit jeder programmatischen Erklärung verblüffte Hosokawa damit seine auf Formgefühl und Gruppenhierarchie eingeschworenen Landsleute. „Im Vergleich zu den LDP-Politikern vor ihm ist sein Benehmen frisch und unbelastet“, bemerkt der renommierte Kommentator Shigeso Hayasaka. „Hosokawa ist aus Versehen Premier geworden. Gerade deswegen kann er alle Regeln brechen. Je mehr er es tut, desto höher wird man ihn eines Tages schätzen.“

Als erster japanischer Regierungschef will Hosokawa das Fernsehen für sich erobern. Bisher spielte der Bildschirm im Vergleich zu allen anderen westlichen Ländern ein denkbar geringe Rolle in der japanischen Politik. Die Liberaldemokraten waren entweder zu alt oder zu arrogant, um das Scheinwerferlicht zu suchen. Ihre Herrschaft wurzelte in den Beziehungen zu Unternehmern, Bauern und Freiberuflichen, nicht auf der nun verfolgten Stimmungsdemokratie.

„Hosokawa wirkt ernsthaft, aber weder giftig noch aggressiv. Ihm traut man nichts Böses zu“, erläutert Starmoderator Soichiro Tahara. „Vor allem aber beschleunigt das Fernsehen die politischen Entscheidungsprozesse.“ In diesem Sinne kündigte Hosokawa bereits seinen Rücktritt an, falls die geplanten Gesetze zur Wahlgesetz- und Parteifinanzierungsreform nicht bis zum Jahreswechsel das Parlament passieren.

Stilwechsel aber gelten in Japan oft mehr als Programmwechsel. Mit öffentlichem Druck und Transparenz will der Premier die endlosen Palaver im Parlament unterbinden. Hosokawa verlangt nicht weniger als eine Revolution in Japans demokratischem Stil.

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