Der Herr des Fundamts Von Claudia Kohlhase

Der Herr vom Fundamt sieht ein bißchen verloren aus. Vielleicht, weil ihn so gar niemand sucht. Dabei ist er ein Mann in den besten Jahren und auch von Toleranz. Zum Beispiel ist er prinzipiell erst mal freundlich, obwohl er die Menschen kennt, und was für welche!

Jedenfalls: Wohin sein Blick auch fällt ist Heimatlosigkeit. Speziell hier unten im Fahrradkeller, wo Hals über Kopf die zartesten Damenräder hängen. Die armen Damen, denkt es da schon mal in ihm. Beraubte Männer tun ihm signifikant weniger leid. Vielleicht liegt das an den Rennmaschinen, 18 Gänge und so weiter; will man sich so jemand vorstellen, wenn man selbst Brillenstärke zehn hat? Nein, Damen sind sowieso netter, und man kann auch langsamer mit ihnen plaudern.

Alles in allem, findet er, ist seine Aufgabe weniger langweilig als sinnvoll. Denn durch seine Person werden Dinge und ihre Menschen wie Recht und Ordnung wieder zusammengeführt. Oder auch nicht. Aber da kann er ja dann nichts für. In der dunkelsten Ecke hat er Tisch und Stuhl. Strenggenommen ist nur das sein Machtbereich, weil hier die Formulare und der eine Stempel liegen.

Im Prinzip sitzt er wie Zerberus vor der Unterwelt, läßt aber alle rein, als gehörte sein Reich nicht ihm, und läßt alle wieder raus. Obwohl es welche gibt, die pissen ihm vor Wut in die Ecke! Wirklich: Die suchen sich ein Rennrad aus, wissen aber keine Nummer und auch sonst nichts über den Sattel zum Beispiel. Da komme ihm keiner.

Kommen und gehen sieht er die Leute, bleiben tut nie jemand, außer ich jetzt, wie nett. Dabei war mein Rad gar nicht dabei, das tut ihm um so mehr leid, je länger ich bleibe. Ich sage auch nicht, daß es schnell war und gar nicht zart, schließlich möchte ich Dame sein in seinen kleinen Augen.

Findet er, die Welt ist schlecht? Ach, man gewöhnt sich an alles. Und oben bei der Schlüssel- und Portemonnaiestelle ist es viel schlimmer. Da kommt dann so ein Sozialhilfeempfänger und meldet DM 1.000 gestohlen, damit er das vom Sozi wiederkriegt. Was soll man machen? Der kriegt das wieder! Tja. Oder hier, bei ihm, da führt ein Junkie schon mal ein Fahrrad mit sich: gefunden! GEFUNDEN! Da lacht er schon mal laut. Der will seinen amtlich festgesetzten Finderlohn. Den schickt er gleich zurück, quasi zum Fundort. Zur Belohnung gibt's keine Anzeige. Jawohl, der bringt das zurück, da kann ich Gift drauf nehmen. Die ham doch alle Schiß. Nein, nicht vor ihm, schließlich ist er ein kleiner Mann und übersieht wegen Toleranz und der dicken Brillengläser Ordnungswidrigkeiten am Rande.

Sein persönliches Superding war übrigens der Sarg. Der Sarg? Der Sarg! Auf den ist er quasi stolz. Stand da einfach vor der Türe. Was macht er: guckt rein. Auha, lag da einer drin. Na ja, kam die Kripo und so weiter, da war vielleicht was los, endlich. Wegen Finderlohn hat er den Schätzwert errechnen müssen. Aber jetzt schätz mal eine Leiche. In dem Fall hat er sich an den Sarg gehalten. Schließlich, sagen wir mal so: Das Leben kann man ja verlieren, aber nicht den Tod, oder? Sagt er mal so und ist ein bißchen gerührt über sich, so wie ich über ihn.