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■ ÖkolumneKühe und Plutonium Von Manfred Kriener

Nehmen wir mal an, der neue Landwirtschaftsminister Borchert würde vorschlagen, deutsche Kühe künftig statt mit Gras mit Milchpulver zu füttern. Man müsse, so sein Credo, aus Kuhställen Milchvernichtungsanlagen machen. Dies sei der beste Weg, um den Milchsee der EG abzubauen. Richtig, da würde sich mancher an die Stirn fassen: Plemplem. In Frankreich passiert im Augenblick etwas Ähnliches. Es geht nicht um Milchpulver, sondern um Plutonium. Und um 85 Milliarden Francs, das sind umgerechnet 25 Milliarden Mark, also 25.000 Kindergärten. Aber der Reihe nach. Laut einem neuen Papier des Atom-Experten Mycle Schneider vom World Information Service on Energy (WISE) in Paris belaufen sich die Gesamtkosten des Schnellen Brüters Superphénix in Creys-Malville einschließlich aller Kosten für Forschung, Entwicklung, Brutkern, Brennstoff und spätere Demontage auf 85 Milliarden Francs. Jede von dem Superbrüter erzeugte Kilowattstunde kostete stramme 19 Francs, zehnmal soviel wie kalifornischer Solarstrom. Es ist übrigens kein rein französisches Debakel, weil die deutsche Schnellbrüter-Kraftwerksgesellschaft, die zum größten Teil dem RWE gehört, mit 16 Prozent am Superphénix beteiligt ist.

Seit Juli 1990, nach 153 Tagen Vollastbetrieb und einer endlosen Kette von Pannen, ist die Superkiste abgeschaltet. Gott sei Dank. Seitdem wird diskutiert, ob man eine Wiederinbetriebnahme riskieren soll. Die Entscheidung steht noch aus. Vom Fiasko des Brüters unberührt, läuft aber in der bretonischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague, dem weltweit größten Supermarkt für Plutonium, die Produktion auf Hochtouren. Zu irrsinnigen Kosten von 700 Francs pro Gramm – was 15mal teurer ist als Gold – wird dort weiterhin jener Brennstoff gewonnen, mit dem der Schnelle Brüter gefüttert werden soll. Dies war ja auch die ursprüngliche Verheißung der Atomindustrie: Als Wiedergutmachung für die Plutoniumbombe von Hiroshima sollte das Super-Duo Brüter und Wiederaufarbeitung den Horrorstoff Plutonium einer friedlichen Verwendung als unerschöpfliche Energiequelle zuführen. Doch die Brüter-Technik – zu gefährlich, zu teuer – ist gescheitert und wird nur noch in Japan verfolgt.

Inzwischen gibt es weltweit einen fatalen Plutonium-Überhang. Schon durch die West-Ost-Abrüstung fallen aus den abgebauten Sprengköpfen nach Schätzung von WISE ca. 200 Tonnen an. Aus der zivilen Nutzung, also der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente, kommen allein in diesem Jahrzehnt 100 Tonnen dazu. Und niemand weiß wohin mit dem Teufelszeug. In dieser Situation springt die Atomgemeinde in die Bresche. Das Plutonium, das in der Wiederaufarbeitung eigens für den Einsatz im Schnellen Brüter extrahiert wird, soll jetzt im Brüter durch Transmutation* „vernichtet“ werden – die Kuh frißt Milchpulver. Nur: das Milchpulver kostet ein Vielfaches von Gold, es ist die giftigste Substanz auf dem Planeten und als Bombenstoff ein permanentes Sicherheitsproblem.

Mit dem möglichen Einsatz des Superphénix als Plutoniumvernichtungsmaschine würde der sogenannte Brennstoffkreislauf endgültig zur Groteske: Mit Riesenaufwand wird erst eine hochbrisante Ware produziert, um sie anschließend mit Riesenaufwand zu vernichten. Zugleich würde der Weiterbetrieb des Brüters auch zur AB-Maßnahme für gescheiterte Atom-Ingenieure. Zu entsorgen sind nämlich neben den Plutonium-Tonnen auch die verwelkten Zukunftsentwürfe der Nukleokraten.

Es gibt keine Schätzungen, wieviel Milchpulver eine Kuh frißt. Beim Superphénix rechnet man, daß jährlich 200 Kilo Plutonium „vernichtet“ werden könnten, das ist weniger, als jeder einzelne der 55 französischen Meiler pro Jahr an neuem Plutonium erzeugt. Dafür müßte zudem der Reaktor einen neuen Brutkern erhalten, was nochmals eine erkleckliche Summe verschlingt. Man könnte ihn auch zu einer großen Plutonium-Vernichtungsmaschine mit gesteigerter Kapazität umrüsten. Das würde ziemlich genau 20 Jahre dauern und nochmal 20 oder 30 Milliarden kosten. Aber bei 85 Milliarden kommt es auf 20 auch nicht mehr an.

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