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Autonomer Landfrieden gebrochen

■ Sechs Monate auf Bewährung für 19jährigen Kurden, der am 1. Mai beim Angriff der stalinistischen RIM auf autonome Demonstranten anwesend war / Nach vier Monaten U-Haft nun Haftbefehl aufgehoben

Die militanten Auseinandersetzungen zwischen der stalinistischen RIM und autonomen Gruppen bei der diesjährigen Kreuzberger 1.-Mai-Demonstration (taz berichtete) hatten gestern ein gerichtliches Nachspiel. Der 19jährige Hasan D., seit Mai in Untersuchungshaft, wurde vom Sonderdezernat 81, ehemals politische Abteilung der Staatsanwaltschaft, beschuldigt, sich in einer Gruppe von etwa 50 Anhängern der RIM befunden zu haben, die mit Latten, Knüppeln und Steinen gegen autonome Gruppen vorgegangen waren. Des weiteren hätte er sich seiner späteren Verhaftung mit Tritten entzogen. Grund genug für Staatsanwältin Gruner, wegen besonders schweren Landfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte Anklage zu erheben.

Hasan D. kam im vergangenen Sommer als Asylbewerber nach Frankfurt am Main. Seine Eltern hatten ihm die Ausreise nach Deutschland ermöglicht, weil sie, so die Jugendgerichtshilfe, nach der Ermordung seines Cousins und PKK-Mitglieds Angst um ihren Sohn gehabt hätten. D., dessen Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, räumte in der gestrigen Verhandlung vor dem Jugendschöffengericht ein, am Vorabend des 1. Mai nach Berlin gereist zu sein und anderntags an der Kreuzberger Demo teilgenommen zu haben. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft stritt er jedoch ab.

Auch die Beweisaufnahme blieb widersprüchlich: Keine Rolle spielte die tatsächliche Teilnahme D.s an den Auseinandersetzungen mit den Autonomen. Allein die Tatsache, daß er sich in der gewalttätigen RIM-Gruppe befunden habe, so die Staatsanwältin, rechtfertige eine Verurteilung wegen „Teilnahme“ an einem schweren Landfriedensbruch. Ungeklärt blieb allerdings die Frage, ob sich D. gegen seine Verhaftung gewehrt habe. Der Antrag der Verteidigung, zwei Entlastungszeugen zu vernehmen, die bezeugen könnten, D. wäre im Polizeigriff abgeführt worden und hätte sich demnach gar nicht mit Fußtritten wehren können, wurde vom Vorsitzenden Richter mit der Begründung abgelehnt, er werte die potentiellen Aussagen der Zeugen zugunsten des Angeklagten als wahr.

Um so überraschender das Urteil: sechs Monate auf Bewährung wegen einfachen Landfriedensbruchs und Widerstands. Die Staatsanwaltschaft hatte neun Monate auf Bewährung gefordert. Verteidiger Volker Ratzmann, der auf Freispruch plädierte, kündigte ob der Ungereimtheiten Berufung an. Der Haftbefehl gegen Hasan D. wurde aufgehoben. Frei kommt er aber nicht, sondern soll schnellstmöglich nach Frankfurt überstellt werden. Uwe Rada

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