■ Nach dem Aufmarsch von Neonazis in Fulda wird der Polizei vorgeworfen, auf dem rechten Auge blind zu sein: Skandal, Skandal...
Die Republik der Skandale? Täglich stürzt der Skandal in die Wohnstuben der Deutschen. Amigos, Putzfrauen, verpachtete Kunden. Aber auch tödliche wie in Bad Kleinen. Das weiß schon jedes Kind. Wieviel hätten sie gern und wovon? Der Staat wird immer berechenbarer, darin, wie er sich vorführt. Das wissen selbstverständlich auch die Neonationalsozialisten, und sie bauen darauf und treten auf die Schaubühne. So alljährlich um den 17. des Monats August. Der Welt, der Bundesrepublik und den Deutschen soll der Mythos Rudolf Heß zeigen, wer wahre Geschichte schrieb und wem die Zukunft gebühren soll. Schon das sechste Jahr organisieren Komitees der neonazistischen Organisationen Aufmärsche. 1991 in Wunsiedel verboten, in Bayreuth doch marschiert, ebenso 1992 trotz Verbots (man vergaß jedoch, das Verbot zuzustellen) unter den gnädigen Augen des damaligen obersten thüringischen Ordnungshüters Willybald Böck in Rudolstadt. Nach Rostock, Quedlinburg, Mölln, Solingen und anderswo in Fulda. Wer hat das erlaubt? Unerhört! Die Polizei ist auf dem rechten Auge blind, läßt sich auf der einen Seite hören. Der Staat ist faschistisch!
Zu wenig Polizei, unfähige SPD, rufen Konservative, die politische Landgewinne sichten. So nutzen sie alle, von Union bis Autonom, das trübe Ereignis.
Das Recht ist zu kurz, das Recht spontaner Veranstaltung, friedliche Veranstaltung, nichts gewußt, überrascht, so die Vernebelungswolke der Verantwortlichen. Und dann: Den letzten Polizisten beißen die Hunde (da hat man ihn, den politischen Sandsack). Die lachenden Dritten sind wie immer die Neonazis.
Wie wäre es, wenn in diesem Land jeder staatlich Verantwortliche angesichts des geltenden Rechts auf seiner Entscheidungsebene das täte, was zu tun ist? Zum Beispiel hinzusehen und einzuschreiten, wenn Arme zum Hitlergruß erhoben werden oder Gewalt geschieht. Oder über Verbot oder Nichtverbot einer öffentlichen Versammlung rechtzeitig und angemessen zu entscheiden, wenn zu vermuten ist, daß die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch kriminelle Taten in Gefahr gerät, wie es seit jeher bei den Aufmärschen der Neonazis geschieht.
In Fulda hat man ebenso wie im hessischen Innenministerium über die Absichten neonazistischer Organisationen Bescheid gewußt. Berichte des polizeilichen Staatsschutzes und des Verfassungsschutzes liegen doch vor. Oder sollten diese Einrichtungen mit der RAF allein beschäftigt sein? Die rechtlich ausgefeilten Tricks neonazistischer Rechtsanwälte, „rechtsstaatlich“ vorzugehen (einer der Aktivisten der Neonazis, Torsten Heise, hat offensichtlich die Versammlung in Fulda beantragt), und die taktischen Finessen des Aufmarsches sollten lange in allen Amtsstuben bekannt sein.
Es ist wohl nicht so, daß die Beamten auf dem rechten Auge blind sind. Aber einige kortikale Prozesse sind durch das tödliche Gift des Formalismus, der Arroganz, Ignoranz und der Leichtfertigkeit gestört. Bei dieser Krankheit hilft kein anderes Recht, da helfen nicht mehr Knüppel und neue tolle Ausrüstungen für die Polizei. Wahrscheinlich auch keine Rücktritte, sollte durch das Prinzip der ewigen Wiederkehr des gleichen die Krankheit stets neu ausbrechen. Vielleicht hilft Meditation mit Blick auf die postulierte Verantwortung. Der demokratisch gesinnte Bürger, der Polizist im täglichen Dienst und im polizeilichen Einsatz wird es danken. Daß es geht, zeigte das Polizeipräsidium Cottbus. Was unterscheidet Fulda von Cottbus?
Auch im nächsten Jahr soll dem „Stellvertreter des Führers“ wieder gehuldigt werden. Bernd Wagner
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