: Nazi-Prop in 2,30
■ 450 NDR-Leute wollen keine rechtsradikalen Spots senden
Wenn ab morgen in Hamburg in Funk und Fernsehen die Wahlwerbung startet, wird auch ungehindert das gesendet werden, was immer Naziparteien wie Reps, DVU und Nationaler Liste (NL) beliebt. Die kostenlosen Werbezeiten beim NDR von je 2,30 Minuten pro Ausstrahlung sind ebenso gebucht wie die auf knapp ein Drittel des üblichen Tarifs verbilligten 30-Sekunden-Spots bei einigen der örtlichen Kommerzkanäle. Sendemenge und -termine waren lange vor der Zulassung zur Wahl zugeteilt, die vergangenen Freitag erstmals unter Polizeischutz und heftigen, aber erfolglosen Protesten des Publikums erging. Daß sich der Hamburger SPD-Senat nach der Fuldaer Nazi-Propagandaaktion der von der Elbe aus operierenden NL Mitte letzter Woche doch noch dazu entschloß, ein Verbot der NL beim Bundesverfassungsgericht zu beantragen, war nur ein spätes Muskelspiel. Es ist der NL kaum hinderlich. Sie will nach Auskunft des NDR die selten günstige Propagandagelegenheit in Funk und TV ausnutzen.
Die DVU wirbt schon länger mit Hilfe der Werbetochter des stadteigenen Hamburger Verkehrs-Verbunds (HVV) und bepflastert Reklameflächen auf dem Bahnkörper mit reaktionärer Propaganda. Daß diese jetzt überklebt wird, ist allein Folge der Zivilcourage des greisen Geigers Yehudi Menuhin. Weil ihm, wie er sagte, bei seiner Ankunft in der Hansestadt speiübel geworden sei, hatte der Violin-Virtuose russisch-jüdischer Abstammung spontan die Presse zu sich gerufen und seine tiefe Bestürzung zum Ausdruck gebracht: „Es ist eine falsche Anwendung demokratischer Prinzipien, wenn man solche ausländerfeindlichen Parteien erlaubt.“
Bei der hanseatischen Justiz verhallte Menuhins Botschaft gänzlich ungehört. Hatte das Landgericht Köln der DVU, die auf Gleichstellung mit den Parlamentsparteien pochte, eben erst die begehrte Verdopppelung von DVU-Werbespots beim RTL- Hamburg-Fenster verweigert, kam das Hamburger Oberverwaltungsgericht der rechtsextremen Splittertruppe im Eilverfahren sehr entgegen. Da es vermutet, die DVU werde nicht an der Fünf-Prozent- Hürde scheitern, gewährte das OVG der braunen Riege letztinstanzlich 50 Prozent mehr Reklamezeit im NDR als allen anderen in der Bürgerschaft nicht vertretenen Wahlbewerbern.
„Wahlhilfe in Richterrobe“ schimpften die SPD-Oberen unisono. Aber ihre Partei, die in Hamburg seit Kriegsende nahezu ununterbrochen regiert, hat effektive Maßnahmen gegen die staatlich geförderte Fascho-Propaganda vermissen lassen – bis heute, da die amtierende Bürgerschaft zum letzten Mal tagt. Weder dem Rundfunkstaatsvertrag noch dem neuen hamburgischen Mediengesetz, das Ende April '93 vorgelegt wurde, brachte sie entsprechende Vorschriften bei. Die Gesetzeslage, klagen nun alle, binde ihnen die Hände.
Von einer generellen Verbannung der Wahlwerbung in Radio und TV, die ihr höchster Mann im NDR, Intendant Jobst Plog, vor zwei Monaten überaschend von den vier norddeutschen Landesregierungen einforderte, will die SPD mit Blick auf das Superwahljahr 1994 nichts wissen. Demgegenüber geben Meinungsumfragen Jobst Plog recht. Sie erbrachten wiederholt, daß die Bevölkerung Wahlkampfspots in wachsendem Maße ablehnt: Vor einem Monat waren 66 Prozent dagegen, jetzt sind es bereits 79,2 Prozent.
In Hamburg war man aktuell nur zu einem symbolischen Kompromiß bereit. Während die Elb- Sozis schon früher wegen der hohen Produktionskosten keine eigenen Fernsehspots hatten, verständigten sie sich diesmal mit der FDP und der GAL/Die Grünen darauf, die Sendezeiten aller für die Ausstrahlung von Spots der Ausländerbeauftragen des Bundes zu nutzen – zusammen 16mal zweieinhalb Minuten. Die CDU tut nicht mit, sondern will in eigenen Werken gegen Wahlenthaltung und extremistische Parteien zu Felde ziehen. Im Hörfunk wird dagegen von allen Parteien ausschließlich in eigener Sache getrommelt.
Unterdessen spitzt sich im NDR die Auseinandersetzung zu. Vor der letzten Hamburger Wahl vom 2. Juni 1991 hatte sich einzig die Rundfunkassistentin Astrid Dieckmann-Schrader geweigert, an der Ausstrahlung rechtsradikaler Spots mitzuwirken. Sie wurde deswegen vom NDR abgemahnt und für den Wiederholungsfall mit Kündigung bedroht – was demnächst das Bundesarbeitsgericht beschäftigen wird. Jetzt aber haben als 450 NDR-Mitarbeiter, darunter besonders die der betroffenen „Hamburg-Welle“, in einer Unterschriftenaktion angekündigt, daß sie die Mitarbeit bei der Verbreitung rassistischer Propaganda ablehnen. Gleichzeitig appellieren sie an Plog, dessen Initiative zur Abschaffung jeglicher Wahlwerbung sie ausdrücklich unterstützen, die Disziplinierung der Kollegin aufzuheben. Mit dieser Maßnahme würden „falsche Fronten aufgebaut“. Der Intendant, der immer noch „zuversichtlich“ auf eine neue Gesetzeslage hofft, bezeichnet die angekündigte Arbeitsverweigerung als „kontraproduktiv“. Und das, obwohl bereits klar ist, daß eine neue Rechtslage selbst zur Niedersachsen-Wahl im März 1994 noch nicht hergestellt sein wird.
In einer Hausmitteilung verlangte er von der NDR-Belegschaft Pflichterfüllung, denn „ich kann gar nicht umhin, diejenigen unter Ihnen, die sich tatsächlich weigern sollten, die von ihnen geschuldete arbeitsvertraglich vereinbarte Leistung zu erbringen, mit den für derartige Fälle vorgesehenen arbeitsrechtlichen Sanktionen (Abmahnung bis hin zur fristlosen Kündigung) zu konfrontieren. Gewissenskonflikte kann man allein durch Unterschriftenaktionen nicht glaubhaft machen, so daß ich auch diejenigen unter Ihnen, die sich an den Unterschriftenaktionen beteiligt haben, nachdrücklich darum bitten möchte, von einer Arbeitsverweigerung im eigenen Interesse abzusehen.“
NDR-Leute, IG Medien und Postgewerkschaft haben derweil zu einer Kundgebung vorm NDR- Funkhaus in der Rothenbaumchaussee aufgerufen. Sie soll am 30. August stattfinden – dem Tag, an dem der erste rechtsradikale Spot über den Sender gehen soll. Ulla Küspert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen