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Oberfläche brutalisiert

■ Leon Golub zeigt seine Installation "Violence Report" in Wuppertal

„Nein“, sagt der Mann mit dem asketischen Gesicht und schüttelt lächelnd den Kopf. „Daß diese Ausstellung gerade jetzt in Deutschland zu sehen ist, hat für mich keine besondere Bedeutung. Oder meinen Sie, daß Deutschland gewalttätiger wäre als New York, Somalia oder Vietnam?“ Seine Installation in der Ausstellungshalle in Wuppertal-Barmen – rund 20 Kilometer von der Solinger Brandruine entfernt, die Arbeiter zur Zeit dem Erdboden gleichmachen – verzichtet deshalb auf jeden tagesaktuellen Bezug. Golubs „Violence Report“ ist eine Dokumentation der Gewalt als zwischenmenschlichen Phänomens. Seine mit stark gerasterten Motiven bedruckten Folien, die in der Regel von der Decke bis auf den Boden herabhängen, beschreiben Szenen aus drei Jahrtausenden der menschlichen Geschichte.

Seine Sujets, die vom siebten vorchristlichen Jahrhundert in Griechenland über hellenistische Motive, die chinesische Kulturrevolution bis nach Vietnam, El Salvador und zum amerikanischen Rassismus in der Gegenwart reicht, findet Leon Golub in Zeitschriften und Magazinen. Am Computer und mit dem Pinsel verfremdet er die Bilder, denen er selbst „boshafte Kräfte“ zuschreibt. Auf Folie gedruckt, werden sie zum schockierenden Spiegel menschlichen Verhaltens, ohne gleichzeitig voyeuristisch zu ästhetisieren. „Wir haben alle Hunderte von Bildern durch unsere Erfahrung im Kopf“, beschreibt der 71jährige selbst seine Arbeit. „Ich erzähle Ihnen deshalb nichts Neues, Sie kennen diese Bilder genausogut wie ich. Aber ich interpretiere sie anders und kombiniere sie mit anderen Informationen, um so zu zeigen, wie wir selbt im Zentrum all dessen stehen, was wir sehen.“ 14 der insgesamt gezeigten 31 Folien sind auf diese Weise eigens für die Wuppertaler Ausstellung entstanden. In den Barmer Ausstellungsräumen hängen sie frei im Raum vor Wänden, deren farbige Gestaltung Teil von Golubs Ausstellungskonzept ist. „Bilder sind tot, sie bewegen sich nicht“, erläutert der in New York lebende Golub. „Die Folien aber bekommen dadurch Bewegung, daß man zwischen ihnen hergehen kann. Dadurch überlagern sich ihre Inhalte mit der Realität. Sie werden Teil der dargestellten Gewaltszenen, wenn Sie sich zwischen diesen Folien bewegen, stehen zwischen Tätern und Opfern.“ Seit 1991 experimentiert Leon Golub mit dieser Bildform, die er als zweidimensionale Skulptur verstanden wissen möchte. Schon seit zwanzig Jahren setzt sich der Ehemann der feministischen Künstlerin Nancy Spiro mit den Themen staatliche Gewalt, Straßenterror, Folter und Mißhandlung auf großformatigen Leinwandbildern auseinander. Um ihre Oberfläche zu „brutalisieren“, so Golub, traktiert er die Werke mit Füßen, pappt er noch feuchte Gemälde mit ihren Bildseiten aufeinander, um sie gleich wieder auseinanderzureißen, und kratzt das Impasto schichtenweise wieder vom Bildträger ab. Eine Auswahl dieser Arbeiten zeigt noch bis zum 12.September der Münchner Kunstverein. Zwei Beispiele hängen als Analogien zu den glatten Folien auch im Forum des Wuppertaler Von-der-Heydt-Museums.

Amerika mochte Leon Golubs Werke, mit denen er selbst „den Menschen wehtun“ will, lange Zeit nicht einmal wahrnehmen. Erst 1984 verhalf ihm eine große Retrospektive im New Museum of Contemporary Art in Chicago vom Geheimtip zum Durchbruch. Noch einmal sechs Jahre dauerte es dann, bis auch Europa Leon Golub wahrnahm. Stefan Koldehoff

Leon Golub – Violence Report. Kunsthalle Barmen, Wuppertal, noch bis 12.September 1993; Kunstverein Ulm und Ulmer Museum: 12.Dezember 1993 bis 16.Januar 1994. Katalog: 30 Seiten mit vier Folien, 15DM

Leon Golub – Werke. Kunstverein München, noch bis 12.9.93

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