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Man macht miteinander natürlich viel durch

■ Das Phänomen „Crossover" im Kreuz- und Querverhör: Ein Gespräch mit den Musikfest-Komponisten Danner, Obermair & Spour

Heute abend bekommt es die heimische Deutsche Kammerphilharmonie mit dem Jazz zu tun: das Crossover-Konzert mit dem Art Ensemble of Chicago wird vorab als herausragendes Ereignis des Musikfests '93 gehandelt. Was aber spielen bei solcher Gelegenheit? Die Noten für derartig progressive Projekte mit ungewissem Ausgang müssen ja praktisch erst erfunden werden — z.B. von jungen, aufgeschlossenen Komponisten: Wilfried-Maria Danner sowie das Wiener Duo Klaus Obermair/Robert Spour bekamen diesmal den Auftrag, und lösten ihn erwartungsgemäß auf ganz unterschiedliche Weise.

Woher kommt eigentlich dieses Bedürfnis der Musikkonsumenten wie -produzenten, alles mit jedem zu kreuzen?

Klaus Obermair:Da stecken sicher auch marktstrategische Überlegungen dahinter. Aber ich muß sagen, mir wäre lieber, es gäbe diese Crossover-Geschichte in der Politik, vor allem in Europa momentan. Für uns ist der Crossover-Begriff eigentlich abgelutscht.

Trotzdem trägt das Konzert, für das Sie schreiben, doch ganz klar das Signum „Crossover“.

Obermair:Das ist schon richtig; ich denke, es ist einfach eine Erleichterung für den Musikkonsumenten, gewisse Schubladen zu haben, um mit solcher Musik fertig zu werden. Für uns als Komponisten geht es darum, diese beiden Welten zu verbinden, Reibungspunkte zu schaffen, Spannungsmomente zu schaffen, eine gemeinsame Sprache zu finden...

Robert Spour:Also, keine gemeinsame Sprache zu finden, sondern ein gemeinsames Verständnis. Eine gemeinsame Sprache kann das Art Ensemble mit einem klassischen Orchester nicht finden. In unserer Komposition ging es darum, Freiräume zu schaffen, in denen sich beide Ensembles bewegen können. Das heißt: Wir schaffen einen Rahmen für das Orchester, und das Art Ensemble kann sich darin in bestimmtem Umfang spontan agieren, so daß beide ihre Stärken einbringen können. Und da geht es um ein gegenseitiges Verstehen und Akzeptieren. Darüberhinaus zu einer gemeinsamen Sprache zu kommen — das wäre schön, aber das ist nicht hier in zwei Wochen zu schaffen. Das sind Illusionen, die oft bei diesen Crossover-Projekten aufkommen.

Wilfried-Maria Danner:Mein Ansatz ist da ein wenig anders, eher in Richtung des barocken Concerto Grosso, als eine Gegenüberstellung dieser beiden ethnischen Welten. Am Anfang

Ihre Werke werden heute uraufgeführt: Wilfried-Maria Danner, Robert Spour, Klaus ObermairFoto: Christoph Holzapfel

werden beide mit ihren Besonderheiten vorgestellt; im Laufe des Stücks versuchen die, einander näherzukommen, es bilden

hierhin bitte

das Foto von den

drei Männern

(einer mit Glatze,

einer mit

Sonnenbrille)

sich Schnittpunkte. Das Art Ensemble kommt im Laufe des Stücks immer stärker ins Spiel, wird immer präsenter und ver

sucht das Orchester fast wegzudrängen.

Sie bezeichnen ihre Komposition auch als Collage. Welchem Montageprinzip sind Sie dabei gefolgt?

Danner:Jazzakkorde sind einfach reinmontiert in das Stück, zum Teil abrupt und unvermittelt — zum Beispiel in einen Geräusch- oder Clusterkontext von Blechbläsern.

Als Komponisten, sagen Sie, geht es Ihnen darum Räume zu schaffen, in denen beide Welten miteinander kommunizieren können. Lernen beide auf diese Weise voneinander? Und wenn ja, was?

Spour:Beim gemeinsamen Arbeitsprozeß an einer solchen Komposition macht man natürlich viel durch miteinander, man hört, wie sowas erarbeitet wird. In unserer Komposition gibt es einen Part, wo das Orchester in einer Improvisationsart arbeitet, die eher der Neuen Musik entspricht. Es gibt inzwischen ja schon Improvisations-Ensembles, die sich nicht auf den Jazz, sondern eben auf die Neue Musik beziehen.

Obermair:Es gibt natürlich auch für das Art Ensemble die Möglichkeit, was zu lernen. Freie

Improvisation heißt ja auch immer, sich zu organisieren. Und da ist es eben ein Unterschied, ob man zu fünft improvisiert, oder ob man sich mit der Kammerphilharmonie arrangieren muß und die in dieses Organisationsprinzip einbeziehen muß. Das ist natürlich in die Kompositionstechnik eingeflossen.

Sie haben sich vielfach mit Multimedia-Aufführungen in Szene gesetzt. Schafft denn auch Ihre Musikfest-Komposition eine offenere Konzertsituation?

Spour:Wir wußten ja, daß wir beim Art Ensemble mit Musikern arbeiten würden, deren Stärke die Bühnenpräsenz der einzelnen Typen ist. Wenn wir komponieren, überlegen wir schon, welche Gestik wichtig ist, um das Stück zu interpretieren. Mit sowas kann das Art Ensemble sicher besser umgehen; ein Orchester ist da eher gefährdet, es einfach so herunterzuspielen. Aber der Traum wäre ein Orchester, wo jeder sich als Solist fühlt und seinen Teil so spielt, als ob es der wichtigeste, größte im ganzen Stück ist, auch, wenn es nur zwei Töne sind. Fragen: tom

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