: „Kuckucksei“ aus Nest gefallen
Nach dreizehn Jahren wechselvoller Vergangenheit mußte die Szenekneipe in der Wrangelstraße schließen / Der „Kreuzberger Sowjet“ war machtlos ■ Von Uwe Rada
Mit der Wende kam das Ende. Zumindest der Anfang davon. Bodo sieht das genauso: „Wenn nebenan ein Weltreich zusammenbricht“, resümiert er ganz unsentimental, „bleibt das natürlich nicht ohne Folgen.“ Nebenan, das ist jenseits der Oberbaumbrücke, und die Folgen für das diesseitige Kreuzberg sind in der Tat gravierend: Das „Kuckucksei“, jene Kneipe in der Wrangelstraße, in der selbst der einstige „2.Juni“- Aktivist Bommi Baumann einen Neuanfang als Tresenguerillero wagen konnte, ist seit zwei Wochen geschlossen. Nach zwölf Jahren hat das Kneipenkollektiv das Handtuch geschmissen. Der Grund: Die letzten beiden Jahre bis zum unvermeidlichen Abriß des Gebäudes durch den Eigentümer, eine Münchner Immobilienfirma, wollte man sich ersparen. Mit dieser Entscheidung endet die Geschichte des Kreuzberger Traditionsbetriebs im Grunde, wie sie begann: im allseits beliebten Kräftemessen zwischen Kiez und Kapital.
Am Anfang stand das Haus. Leer. Ein zweistöckiger Torso, aber mit einem Garten, der im Kreuzberger Grau seinesgleichen suchte. Um den Makler auszuschalten, verhandelten die Gründerzeit-Kollektivisten über einen Strohmann – mit Erfolg: „Wir waren drin im Mietvertrag“, grinst Bodo, „und der verdutzte Makler blieb außen vor.“ Dem fulminanten Start der schwarz-roten Wirtschaftsexperten folgte jedoch alsbald die erste Kollision mit der Polizei: Einer der Kollektivisten wurde auf frischer Tat beim Diebstahl ausgerechnet des Tresenbrettes ertappt.
Dem Ruf der Kneipe tat's jedoch keinen Abbruch: „Im Kuckucksei waren alle möglichen Leute aus dem Kiez Gesellschafter“, meint Tommy, „eine richtige Kiezkneipe vom Anfang bis zum bitteren Ende.“ Mit dazu beigetragen hat nicht zuletzt das Theater im ersten Stock des gelben Hauses. Wo zu Zeiten der Besetzerbewegung noch eine Volxbadewanne stand, begann man 1982 mit dem Ausbau eines Theaterraums. Seitdem war die Bühne fest in der Hand der Gruppe „Vanilla Gorgon“, die sich vor allem mit der Inszenierung der Stücke von François Villon einen Namen machte.
Mit dem nahen Osten hatte das „Kuckucksei“ von Anfang an zu tun. Nicht nur der „Friedenskoch“ kam ursprünglich aus dem Prenzlauer Berg, sondern auch die Hälfte der Belegschaft aus der ehemaligen DDR. Die Kneipe wurde damit zum ultimativen Treffpunkt realsozialistischer Flüchtlingsgruppen. Zu denen gehörte nicht nur Roland Jahn, sondern auch „Kofferraum-Thomas“: Der, so will es die Kneipen-Legende, war einst auf dem Weg von Jena in die Hauptstadt beim Trampen von einer barmherzigen Westberlinerin aufgelesen und im Kofferraum über die Grenze geschmuggelt worden.
Aber auch in der Westszene war die Kneipe als gesellige Alternative zum spartanischen „EX“ im Mehringhof mehr als beliebt. Bis es 1987 zum Eklat kam: Ein Mitarbeiter hatte eine Frau vergewaltigt, und das Kollektiv suchte, entgegen den Forderungen der autonomen Szene, die Auseinandersetzung statt den Rausschmiß. Die Folge: Eine „völlig überforderte“ Belegschaft, eine heillos zerstrittene Kreuzberger Szene und ein Boykottaufruf, der ebenso im Sande verlief wie die Auseinandersetzung mit dem Vergewaltiger. Der wurde nach einem halben Jahr dann doch entlassen.
Zwei Jahre später, kurz vor Öffnung der Mauer, stand das Haus zum Verkauf. Während die Belegschaft noch ihr Geld zählte, schlug ein anderer zu. Der wiederum verkaufte an die „Bauwert/Wohnwert“, die wiederum an die heutigen Besitzer und bayerischen Landsmannen Haas & Hartmann. Das Anliegen der Anleger blieb dasselbe: Abriß und Neubau. „Der Kreuzberger Sowjet (das Bezirksamt, die Redaktion) hat zwar njet gesagt“, freut sich Tommy, „die Szene war wieder solidarisch und die Scheiben des Bauleiters kaputt, aber letztendlich hat der Senat das Verfahren an sich gerissen.“ Für eine Kiezkneipe war in den Planungen für freifinanzierten Wohnraum kein Platz mehr.
Dann ging alles sehr schnell: Der Friedenskoch kündigte an, mit zwei Mitarbeitern in den Prenzlauer Berg zu reimmigrieren und dortselbst eine Kneipe zu eröffnen, andere Kollektivisten erklärten ihren Ausstieg, und zurückgeblieben wären drei Leute, die wegen „lächerlicher zwei Jahre“ nicht nur ein neues Team zusammensuchen, sondern auch 20.000 Mark hätten investieren müssen. So endete die Geschichte vom „Kuckucksei“, wie sie begonnen hatte: selbstbestimmt. Das Mobiliar wurde im Kiez verschenkt, die Kaffeemaschine verkauft, der Schlüssel an den eigens angeflogenen Münchner übergeben, beim Zumauern wurde hilflos zugesehen und der Termin mit der taz nur widerwillig vereinbart. „Schließlich“, grinst Bodo, „haben wir vor Urzeiten mal das taz-Abo gekündigt, weil die was Schlechtes über uns geschrieben haben.“
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