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Krack wegen Wahlfälschung vor Gericht

Heute beginnt in Moabit der Prozeß gegen den ehemaligen Oberbürgermeister von Ostberlin, Erhard Krack / Mitangeklagt sind seine Stellvertreterin und elf Bezirkspolitiker  ■ Von Kordula Doerfler

Sein letzter großer Auftritt fand am 22. Dezember 1989 statt. Zusammen mit dem Mann mit dem roten Schal, dem damaligen Regierenden Bürgermeister von Westberlin, Walter Momper, öffnete Erhard Krack bei strömendem Regen das Brandenburger Tor für Fußgänger. Von heute an steht der frühere Oberbürgermeister von Ostberlin erneut im Rampenlicht: vor einem erweiterten Schöffengericht wird ihm in Moabit der Prozeß gemacht. Gemeinsam mit seiner Stellvertreterin Hannelore Mensch – später Arbeitsministerin im Kabinett Modrow – sowie elf ehemaligen Bezirksbürgermeistern und SED-Politikern ist er angeklagt, die Ergebnisse der letzten DDR-Kommunalwahl vom 7. Mai 1989 in Ostberlin gefälscht zu haben.

Mit der Prozeßeröffnung geht ein über dreijähriger Streit zwischen den Berliner Gerichten um die Zuständigkeit für das Verfahren zu Ende. Bereits im Dezember 1990 prüfte das Landgericht eine mögliche Anklage, fühlte sich jedoch wie das Amtsgericht wegen der Bedeutung des Falles nicht zuständig. Schon die DDR-Staatsanwaltschaft hatte im Mai 1990 Anklage gegen Krack erhoben. Heute wird den Angeklagten Krack, seiner Stellvertreterin Hannelore Mensch sowie Helmut Müller, ehemals 2. Sekretär der SED-Bezirksleitung, vorgeworfen, die Fälschungen abgesprochen zu haben. Anfang Mai soll die „verbindliche Orientierung“ erarbeitet und an die Bezirksbürgermeister weitergegeben worden sein. Die zehn mitangeklagten Bezirkspolitiker werden beschuldigt, die Schlußberichte mit den falschen Wahlergebnissen unterschrieben und an die Bezirkswahlkommission geleitet zu haben.

Daß den heute 62jährigen Rentner mehr erwartet als eine Bewährungsstrafe, ist unwahrscheinlich. In einem ähnlichen Verfahren wurde der ehemalige Oberbürgermeister von Dresden, Wolfgang Berghofer, Anfang letzten Jahres zu einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung. Und auch der ehemalige SED-Chef des Bezirks Dresden, Hans Modrow, angeklagt wegen Anstiftung zur Wahlfälschung, wurde Ende Mai diesen Jahres lediglich mit Geldbußen auf Bewährung bestraft. Dem Prozeß kommt, wie den anderen ähnlichen Verfahren auch, vor allem politische Bedeutung zu.

Noch im Februar 1990 hatte Krack, der 16 Jahre lang Oberbürgermeister von Ostberlin war, erklärt: „Ich habe zu keiner Zeit auf politisch Verantwortliche Einfluß genommen, um Wahlergebnisse vorzugeben oder real vorliegende Wahlergebnisse zu manipulieren.“ Wenig später mußte er sich jedoch dem massiven öffentlichen Druck beugen und reichte in der Stadtverordnetenversammlung vom 23. Februar 1990 seinen Rücktritt ein – aus Krankheitsgründen, wie es im offiziellen Schreiben hieß. Der gelernte Rohrleger und Installateur, der mit 20 in die SED eingetreten war, erschien zu seinem Rücktritt erst gar nicht, ließ aber erklären: „Als Politiker kann ich mich von einer Mitverantwortung für die Auswüchse eines, wie wir heute wissen, deformierten politischen Systems nicht freisprechen.“ Die Karriere eines Mannes, von dem es in den Zeiten der Wende durchaus schien, als ob er zu den politisch Überlebenden zählen werde, war damit beendet.

Auch vorher stand Krack nur in der zweiten Reihe der SED-Nomenklatura; zwar war er Mitglied des Ministerrats und im Zentralkomitee, die Ostberliner Kommunalverwaltung besaß jedoch gegenüber den zentralistischen Regierungsbehörden der „Hauptstadt der DDR“ kaum Handlungsspielraum. Seine „große Zeit“ hatte der farblose Funktionär im Berliner Jubeljahr 1987. Als Stellvertreter Erich Honeckers im Festkomitee für die 750-Jahr-Feier durfte er öffentlich die sozialistischen Errungenschaften im Bereich des Städtebaus wie etwa die Neubaugebiete in Marzahn oder die Sanierung des Nikolai-Viertels anpreisen.

Kracks Rolle als Vorsitzender der Wahlkommission wurde erstmals Anfang 1990 vom Runden Tisch im Roten Rathaus diskutiert. Bei den Wahlen im Mai 89, in deren Vorfeld öffentlich das Einheits-Wahlsystem heftig diskutiert wurde, fand für DDR-Verhältnisse ein Erdrutsch statt: Zwar bejubelte das Neue Deutschland das „eindrucksvolle Bekenntnis zu unserer Politik des Friedens und des Sozialismus“; tatsächlich erreichte aber die Einheitsliste „Nationale Front“ erstmals nicht die 99,9-Prozent-Marke, sondern kam nur auf 98,85 Prozent.

Nur mittels Manipulation, so der Verdacht kritischer Kirchengruppen, konnte dieses Ergebnis zustande gekommen sein; in den Ostberliner Bezirken Weißensee und Friedrichshain etwa waren bis 28 Prozent der Wähler überhaupt nicht in den Wahlkabinen erschienen, im ND wurde aber eine Beteiligung von 96 Prozent vermeldet. Ibrahim Böhme, damals Mitglied der Initiative Frieden und Menschenrechte, erklärte: „Da war Manipulation im Spiel.“ Kritischen Wählern, so beobachteten die Bürgerrechtler, wurde erst gar kein Zugang gewährt, als Jastimme galt auch schon ein gefalteter Stimmzettel ohne jegliches Ankreuzen. Aber, so Böhme, „schon dieses eine Prozent sollte man als ein Hoffnungszeichen werten“.

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