Schwule Polizei – dein Freund und Helfer?

Wie sich am Märchenbrunnen die Zeiten ändern: Heinz Uth, Schwulenbeauftragter der Berliner Polizei, sucht mit seiner Truppe ein besseres Verhältnis zur Homosexuellen-Szene in der Stadt  ■ Aus Berlin Jürgen Bieniek

Volkspark Friedrichshain, Samstagabend, 21 Uhr. Wenn die Fontänen des Märchenbrunnens versiegen und die glimmernde Parkbeleuchtung die Nacht ankündigt, werden Froschkönige und Prinzen ganz anderer Gattung wuselig. Besonders in lauschigen Sommernächten ziehen sie auf den ausgelatschten Pfaden zwischen Büschen und akkuraten Blumenbeeten ihre Kreise. Rings um den Märchenbrunnen ist dann „Cruising“ angesagt. So heißt die nächtliche Anmache unter freiem Himmel im Schwulenjargon. Seit jeher gilt der Park am Märchenbrunnen als Berlins schönster Open-air- Treffpunkt für Schwule. Als es bereits dämmert, rollen sie unerwartet an, ganz harmlos und ohne Blaulicht. Feen in Uniform packen ihre Broschüren aus, zünden sich eine Zigarette an und warten geduldig auf „Laufkundschaft“ zum Talk im Park.

Seit geraumer Zeit sucht die Berliner Polizei auf ungewöhnliche Weise Kontakt und Vertrauen zur schwulen Szene. „Wenn die Schwulen nicht zu uns kommen“, so Heinz Uth, offizieller Schwulenbeauftragter der Polizei, „dann müssen wir sie eben aufsuchen.“ Mit einem Infomobil, schwulen Polizisten und Flugblättern geht der 57jährige Kriminalhauptkommissar seit einem Jahr regelmäßig auf Tour durch die Cruising-Parks der Hauptstadt. Im Winter, wenn die Büsche kahl und die Hosen tot sind, geraten schwule Kneipen etwa am Nollendorfplatz oder in Prenzlauer Berg ins Fadenkreuz polizeilicher Aufklärung. Mit derlei Aktionen will Hetero Heinz Uth Mißtrauen und Berührungsängste gegenüber der Polizei abbauen und so mittelfristig Terrain im Kampf gegen antischwule Gewalt gewinnen.

Gewalt gegen Schwule ist ein Phänomen, das lange Zeit ignoriert wurde – unter Schwulen wie in der Öffentlichkeit. Dabei geht es keineswegs nur um verbale Pöbeleien. Knapp die Hälfte aller im letzten Jahr in Berlin bekanntgewordenen Übergriffe waren mit physischer Gewalt verbunden. Die Palette reicht von einfacher Körperverletzung bis hin zum Mord. Nicht wenige der vom schwulen Infoladen Mann-O-Meter betreuten Opfer haben bleibende körperliche Schäden davongetragen. Auch wenn Raub mit im Spiel ist, hat das Schwulenklatschen im Park, auf der Straße, vor Kneipen oder auf „Klappen“, wie öffentliche Toiletten im Schwulenjargon heißen, nur in den wenigsten Fällen mit gewöhnlicher Straßenkriminalität zu tun. Tiefsitzende Homophobie ist fast immer der Auslöser. Ähnlich wie bei der Gewalt gegen Ausländer fühlen sich Schwulenhasser inmitten der Gesellschaft sicher. Immerhin ein Drittel der Bevölkerung kann als „massiv schwulenfeindlich“ eingestuft werden. Dies ergab eine vom Bundesforschungsministerium geförderte Studie des Soziologen Michael Bochow aus dem Jahre 1991. Etwa 15 Prozent der westdeutschen Bevölkerung (9 Prozent Ost) halten Homosexualität für eine „Schweinerei“ und befürworten sogar die Kastration von Schwulen. Im Einklang mit diesem Potential an klammheimlicher Unterstützung können die Täter, meist männliche Heranwachsende in Gruppen, fast ungestört Schwule aufmischen. Schwule gelten zudem als leichte Beute. Viele, die in Parks oder auf Klappen Kontakte suchen, führen im Alltag ein Doppelleben und scheuen deshalb den Gang zur Polizei. Heinz Uth, der für das Phänomen Gewalt gegen Schwule selbst erst seit ein paar Jahren durch die Praxis als Kommissar allmählich sensibilisiert wurde, schätzt die Dunkelziffer auf 80 bis 90 Prozent.

Hier die Anzeigenbereitschaft zu erhöhen erhofft sich Heinz Uth von den regelmäßigen Infotouren am Märchenbrunnen und anderen Treffpunkten der Szene. „Flagge zeigen“ und den Homos zwischen Busch und Borke demonstrieren, daß die Polizei Gewalt gegen Schwule ernst nimmt, ist das Anliegen des engagierten Beamten. Dabei ist ihm klar, daß die Polizei gegenüber der schwulen Minderheit eine Art historische „Bringschuld“ hat. So lange ist es noch nicht her, daß sich etwa hinter Spiegeln auf Hamburger Klappen Polizisten als Voyeure betätigten. Und hin und wieder fliegen in Deutschlands Revieren Rosa Listen auf, werden Kneipengäste oder Parkbesucher durch rüde Razzien aufgescheucht.

Mit dem „Ansprechpartner der Berliner Polizei für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“, so Uths offizieller Titel, ist die Polizei seit zwei Jahren dabei, die Vorleistung an Vertrauen zu erbringen. War er anfangs noch informell zuständig für schwule Belange außerhalb wie innerhalb der Polizei, wurde er im Mai letzten Jahres, bislang einzigartig in ganz Deutschland, offiziell zum Homo- Beauftragten ins Polizeipräsidium berufen.

Ausgerechnet eine brutale Razzia in einer Schwulenkneipe am Nollendorfplatz, für die sich sogar der Innensenator entschuldigte, machte Heinz Uth den Weg frei. Politischer Druck und seine damalige Drohung, die Arbeit hinzuschmeißen, um nicht länger als Feigenblatt vorgeführt zu werden, verschafften ihm Respekt und die nötigen Kompetenzen, um richtig loszulegen. Ihm, der seinen Laden immerhin seit 1961 kennt, ist klar, daß er nach wie vor „zwischen den Stühlen jonglieren muß“, um für homosexuelle Anliegen zu sensibilisieren. Persönliche Überzeugungsarbeit bei einzelnen Kollegen und Kolleginnen ist da oft wichtiger, als auf seine Kompetenz zu pochen.

Ohne Uth würde die Polizei nicht in Schwulenzeitungen um Mithilfe bei der Aufklärung von Verbrechen bitten. Faltblätter, die zusammen mit Schwulen- und Lesbengruppen erstellt wurden, gäbe es ebensowenig wie das gemeinsame Sicherheitskonzept zum diesjährigen Christopher Street Day. Daß Wirte rund um den Nollendorfplatz oder in Prenzlauer Berg auf Initiative des Schwulen Überfalltelefons mit der Polizei ins Gespräch kommen, ist ebenfalls ein Novum. Auch die Zusammenarbeit zwischen dem Selbsthilfeprojekt Überfalltelefon und der Behörde Polizei hat sich, bei Wahrung kritischer Distanz, seit Uths Berufung zum Homo-Beauftragten entkrampft. Da passiert es dann auch schon mal, so Projektleiter Bastian Finke, daß die Polizei auf der Suche nach Opfern anklingelt. Werden Täter geschnappt, gestehen manche oft mehr Delikte, als Opfer vorhanden sind. Und selbst bei denen, die sich dem Szenetelefon anvertrauen, halten nicht wenige eine Anzeige bei der Polizei offensichtlich immer noch für sinnlos.

Flugblätter und Infotouren mit schwulen Beamten in Uniform sind sichtbare Zeichen des zaghaften Wandels, der sich in den letzten zwei Jahren bei der Berliner Polizei in Sachen Homosexualität angebahnt hat. Und Heinz Uth ist der leibhaftige Vertrauensvorschuß, mit dem die Polizei das Mißtrauen der Szene aufknackt. Akzeptanz ist ein Gradmesser für den Erfolg seiner Arbeit. „Wenn ich nicht daran glauben würde, daß es was bringt, würde ich die Arbeit nicht machen.“

Nach einem Jahr „offensiver Polizeiarbeit“ in Parks und an sonstigen Treffpunkten hat er den Eindruck, daß er von immer mehr Schwulen angenommen wird, auch jenen, die hartnäckig ihr Feindbild Polizei kultivieren. So auch Bernd aus Kreuzberg (32), der sich bislang nur vorstellen konnte, daß die Bullen allenfalls „Faschos schützen“. Nach der Begegnung am Märchenbrunnen hat er zumindest ein „anderes Bild von der Polizei“, und am Schluß entfährt ihm sogar die Bemerkung „Finde ich klasse, daß sich der Heinz so engagiert!“

Dessen Engagement mit Rückgrat auch gegenüber der eigenen Behörde hat ihm mittlerweile Respekt und Glaubwürdigkeit eingebracht. So mischt sich Uth auch auf den Revieren vor Ort ein, wenn sich Betroffene über unkorrektes Verhalten von Polizisten beschweren. Und wie sieht die Bilanz im Kampf gegen die Gewalt aus? Über aussagekräftige Daten zur antischwulen Gewalt verfügt die Polizei nach eigenen Angaben nicht. Will sie wegen des Vorwurfs der Rosa Listen auch nicht sammeln. Bleibt nur der Blick in die lückenhafte Statistik des Überfalltelefons. 169 Fälle mit insgesamt 235 Opfern wurden letztes Jahr gemeldet, ein leichterer Anstieg gegenüber 1991. Dennoch bestreitet Uth ein tatsächliches Anwachsen antischwuler Gewalt in der Stadt, auch wenn das Niveau „unverändert hoch“ geblieben ist und der Trend zu mehr Brutalität geht. Der Anstieg der Fallzahlen sei vielmehr Ausdruck gestiegener Akzeptanz von Überfalltelefon und Homo-Beauftragtem in der Szene. Seit er im Polizeipräsidium sitzt, gibt es „erheblich mehr“ schwule Opfer und Zeugen, die sich über das Szenetelefon oder direkt an ihn wenden. Erfreulicher Effekt: Einzelne Straftaten konnten so aufgeklärt werden.

Dies bestätigt auch Joachim Klarner, am Märchenbrunnen „Polizist zum Anfassen“. „Letztens hat sich bei mir jemand als Zeuge gemeldet, weil er mich von einer anderen Infotour im Tiergarten her kannte“, sagt der 25jährige Schutzpolizist aus Friedrichshain. Wie sein Kollege Uwe Gräfe (27) vom Revier Alexanderplatz und weitere schwule Beamte gehört er zum Infoteam, das zwischen Tiergarten und Märchenbrunnen hin und her pendelt.

Mit ihrem Schwulsein haben die beiden zumindest auf ihren Revieren keine Probleme mehr, seit sie sich als Schwule in Uniform bekennen. „Ab und zu mal ein blöder Spruch, okay, aber damit muß ich leben“, bringt Uwe Gräfe die Stimmung im Dienstalltag auf den Punkt. Das beharrliche Wirken des heterosexuellen Homo-Beauftragten hat sie und andere Kollegen zum Coming-out im Dienst ermutigt. Inzwischen haben sich etwa zehn Homos in einem polizeiinternen Arbeitskreis zusammengetan. Dieser ist Anlaufstelle für eine unbekannte Zahl von homosexuellen Beamten. Immerhin zählt die Berliner Polizei 30.000 Angehörige.

Trotz dieser ermutigenden Entwicklung ist die Polizei von einem selbstverständlichen Umgang mit Homosexuellen noch weit entfernt. Schwule Kollegen „verkraften viele Männer noch nicht“, meint Peter Niespodziany, Leiter der Sozialberatung bei der Polizei. Wer eine Karriere als Vorgesetzter anstrebt, rät er, sollte sein Schwulsein tunlichst nicht an die große Glocke hängen. Nach wie vor gebe es eine „undifferenzierte Angst, daß das Bild der Polizei beschmutzt wird“ durch Schwule in Uniform.

Trotzdem, ein vielversprechender Anfang ist gemacht. Auch die Schar nächtlicher Cruiser am Märchenbrunnen lobt die Bemühungen der Polizei in ihrem Revier. „Viele haben immer noch Hemmungen, die Polizei auch als Helfer zu sehen“, sagt ein schwules Pärchen aus der Nachbarschaft. Auf der Suche nach dem Prinzen ist für so manchen Froschkönig die Hemmschwelle zur Polizei jedoch kein Hindernis mehr. Anmache am Infomobil? „Soll schon vorgekommen sein“, antwortet Polizist Klarner und rückt seine Dienstmütze zurecht.