: Fall Dolgenbrodt: Die unwürdige Demokratie
■ Lustlos hakte der Brandenburger Landtag seine aktuelle Stunde zum Thema Rechtsradikalismus ab / CDU-Mann: „Wir haben andere Probleme“
Potsdam (taz) – Ein Dorf steht unter dem Verdacht, Rechtsradikale gedungen zu haben, um ein als Asylbewerberheim vorgesehenes Gelände niederzubrennen. Die Öffentlichkeit ist empört, das Parlament debattiert. Engagiert und gründlich? Nein: Lustlos und vor leeren Stuhlreihen hakte gestern der brandenburgische Landtag seine aktuelle Stunde zum Thema „Rechtsradikalismus in Brandenburg“ ab. Sie war nach dem taz-Bericht zum Anschlag auf das Asylbewerberheim in Dolgenbrodt auf die Tagesordnung gesetzt worden.
Ministerpräsident Stolpe verließ, nachdem er als erster Redner kurz vor einer Verteuflung der Dolgenbrodter gewarnt hatte, sogleich den Saal. Für den CDU-Abgeordneten Frank Werner war es sogar nicht einmal nachvollziehbar, warum der Landtag überhaupt über Rechtsradikalismus diskutieren sollte. „Wir haben in Brandenburg andere Probleme“, meinte er. Und Rolf Wettstädt vom Bündnis 90, in dessen Heimatkreis Dolgenbrodt liegt, sprach von einer Medieninitiative zur „Installierung eines Buhmanns“. Dies sei einer Demokratie unwürdig, fügte er hinzu.
Trotzdem – der Antrag, das Thema Rechtsradikalismus auf die Tagesordnung zu setzen, war von allen Fraktionen im Landtag unterschrieben worden. Beim Ministerpräsidenten, beim Justiz- und Innenminister, beim SPD-Parteichef Reiche war Neues, geschweige denn Aufklärendes nicht zu finden. Der einhellige Tenor lautete: Im Zweifel für die Dolgenbrodter. Die Politiker wollten erst einmal abwarten, was die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen bringen. Doch ermittelt wird bereits seit über drei Monaten. Auch Michael Schumann von der PDS- Fraktion wies eine „Vorverurteilung des Dorfes“ entschieden zurück. Als einziger Redner fand er es zumindest beschämend, „daß offensichtlich bis heute aus diesem Ort niemand den Mut fand, gegen den Strom zu schwimmen, den bornierten Meinungen entgegenzutreten.“
Ansonsten mühten sich die Redner eifrig, die Ursachen für den Rechtsradikalismus zu ergründen. Die CDU sieht die Schuld an der Misere natürlich in der Politik der Ampelregierung. Andere sprachen von „Werteverlust“, „Politikverdrossenheit“ oder von „Wohnungsnot“ und „Massenarbeitslosigkeit“. Nur Wolfgang Birthler, der SPD-Fraktionsvorsitzende, schränkte ein: „Man kann mit Analysen vieles erklären, aber man darf nichts entschuldigen.“
Alle schworen, künftig im Kampf gegen rechts enger zusammenarbeiten zu wollen und das Thema nicht in den anstehenden Kommunalwahlkampf hineinzuziehen. Und überhaupt: Die Zahl und Intensität rechtsextremer Straftaten sei in Brandenburg sowieso rückläufig, so der Innenminister Ziel. Ihm allerdings entgegnete sein Kollege Justizminister Bräutigam prompt: „Zur Zeit befinden sich 155 Jugendliche deswegen in Untersuchungshaft. Das sind dreimal soviel wie 1992.“ Es sei nicht gelungen, die rechtsextreme Gewaltwelle einzudämmen. Anja Sprogies
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