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Zwei mal zwei ist fünf

■ Bei „Arithmasthenie“ hilft das Bremer „Zentrum zur Therapie der Rechenschwäche“

Peter protestiert. Er will sein Taschengeld nicht als Fünf- Mark-Stück haben, sondern fünf einzelne Markstücke. Das ist für ihn mehr Geld. Auch beim Süßigkeitsaufteilen mit den Geschwistern gibt es Streit. Peter meint, immer zu wenig abzukriegen. Und auf den Teller häuft er sich oft viel zu viel Essen. Beim zählen hält er theatralisch die Finger in die Höhe. Ein neuroti

Preisfrage: Welche Menge Kinder, welche Teilmenge mit kurzen Hosen?Foto: Jörg Oberheide

sches Kind? Keineswegs, Peter leidet an Rechenschwäche. Er hat nicht nur Schwierigkeiten im Matheunterricht, sondern auch damit, Mengenverhältnisse richtig einzuschätzen. So ist die Riesenportion auf dem Teller bei ihm keine Gier, sondern pure Fehleinschätzung der Menge.

Die Erklärungen für Peters Verhalten bekamen die ratlosen Eltern im „Zentrum zur Therapie der Rechenschwäche“, auch Arithmasthenie oder Dyskalkulie genannt. Vorangegangen war ein langer Leidensweg. Erst paukte die Mutter mit dem Jungen, dann abends der Vater, als das nichts half mußte Opa ran. Doch das sonst so wache Kerlchen blieb ausgerechnet in Mathe begriffsstutzig. Rechenschwäche ist in Deutschland erst seit wenigen Jahren ein Begriff. In Amerika gibt es bereits seit längerem sogenannte Mathe-Kliniken. Erziehungswissenschaftler haben herausgefunden, daß die rechenschwachen Kinder oft Probleme mit der visuellen Wahrnehmung haben. Kinder, die in bestimmten Entwicklungsphasen in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt waren, haben nicht die Erfahrungen gemacht, die Notwendig sind, um Räume richtig einzuschätzen. Sie haben häufig eine „unausgeprägte Seitigkeit“, verwechseln rechts und links, und haben Probleme mit dem Einschätzen von Mengen.

Im Fragebogen, den die Eltern

hier bitte das Foto

mit den Kindern von

hinten

bei der Aufnahme im Rechentherapiezentrum ausfüllen müssen, wird deshalb ausführlich nach Krankheitsphasen gefragt. Und bei der Frage, wieviel Zeit die Eltern und Kind täglich mit Mathe-Hausaufgaben verbringen, werden nicht selten zwei Stunden und mehr genannt. Aber wie soll das Kind etwas pauken, was ihm schier unverständlich bleibt?

„Sie sollen sich konzentrieren, doch die Kinder wissen nicht worauf“, sagt Heiner Schwarz vom Rechentherapiezentrum in der Argonnenstraße. Eine zeitlang mogeln die Kinder sich mit purem Zählen durch, doch sobald die Finger nicht mehr ausreichen, scheitert das Schummelsystem. Die fünf MitarbeiterInnen des Zentrums wünschen sich, daß die Kinder möglichst schon nach dem ersten Schuljahr kommen. Eine Stunde pro Woche wird spielerisch mit dem Kind gelernt. Die falschen Vorstellungen der Kinder werden beiseitegeschoben. Schritt für Schritt wird ein Verständnis für Mengenverhältnisse und Rechnen erworben. „Ziel ist das selbstständige Mitlernen in der Schule“, sagt Magrit Blüther, eine der TherapeutInnen, „doch das dauert eine Weile, durchschnittlich zwei Jahre.“

und bis das rechenschwachem Kind vor dem Matheunterricht keine Angst mehr hat, sind die Eltern um einiges ärmer geworden. Eingangstest und Beratung

kosten zusammen 130 Mark, der monatliche Beitrag liegt bei 290 Mark. Staatliche Zuschüsse bekommt das Bremer Zentrum nämlich nicht.

Vivianne Agena

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