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Das Zaubermittel Tourismus

Trotz Widerstands wächst die Tourismusindustrie in Goa – staatlich subventioniert: Viel Platz an der Sonne für deutsche Unternehmen  ■ Von Christine Plüss

Vor einigen Wochen standen im indischen Bundesstaat Goa elf Menschen vor Gericht. Zur Last gelegt wird ihnen unerlaubte Versammlung und Erregung öffentlichen Ärgernisses. Es sind die ProtagonistInnen der spektakulären Aktion am Flughafen von Goa, die 1987 international Aufsehen erregte. Mitgieder und SympathisantInnen der Gruppe der „Wachsamen Goaner“ empfingen die Passagiere des ersten Charterfluges der Saison mit einem großen Transparent in deutscher Sprache: „Condor-Touristen, fliegt zurück.“ Ein Flugblatt klärte die verblüfften deutschen UrlauberInnen über die Probleme des Tourismus in Goa auf: Die breite Bevölkerung profitiert wirtschaftlich nicht vom Chartertourismus. Im Gegenteil, die Luxusbauten der Hotelmultis machen die Leute ärmer, entziehen ihnen das Lebensnotwendige wie Wasser, Land, Elektrizität und verbauen Fischern, Palmweinzapfern und Bauern den Zugang zu ihren traditionellen Beschäftigungen.

„Die Anklage und überhaupt das ganze Verfahren sind völlig lächerlich“, sagt Professor Sergio Carvalho von den „Wachsamen Goanern“. „Unzählige Male wurden wir bereits vor Gericht zitiert, die Verhandlungen sechs Jahre lang hinausgezögert und verschlampt.“ Roland Martins, der als Sekretär der „Wachsamen Goaner“ ebenfalls auf der Liste der Angeklagten steht, fügt bei: „Die schlimmsten Befürchtungen, die wir im Hinblick auf den Ausbau des Luxus- und Chartertourismus hegten, sind längst Wirklichkeit geworden. Wovor wir damals warnten, wird heute von der Tourismusbranche und gar vom deutschen Honorarkonsul in Goa, David Menezes, unterschrieben. Condor und TUI hätten sich längst dafür einsetzen müssen, daß das Gerichtsverfahren eingestellt wird.“

Von einem solchen Engagement ist aber im fernen Deutschland wenig zu verspüren. Die Pressestelle von Condor, der Chartergesellschaft der deutschen Lufthansa, läßt auf Rückfrage verlauten, Goa und die Proteste seien für sie kein Thema mehr. Condor fliege in der kommenden Saison ohnehin Goa nicht mehr an, weil das Passagieraufkommen nicht mehr genügend sei. Der größte deutsche Reiseveranstalter TUI unterstreicht zwar im Katalog die Bedeutung einheimischer Organisationen, die sich in Goa „um eine ,wachsame‘ Entwicklung im Tourismus“ bemühen. Einsetzen mag sich der „umweltbewußte“ Reiseprofi nicht so richtig: „Wir sehen die touristische Entwicklung Goas, insbesondere unter deutschem Aspekt, differenzierter“, heißt es aus Hannover. Die TUI mische sich nicht in die Angelegenheiten anderer Staaten ein.

Doch gerade deutsche Unternehmen wie Condor, die 1985 als erste Chartergesellschaft Goa in ihr Programm aufnahm und PauschaltouristInnen in großer Anzahl einzufliegen begann, haben in der Tourismuspolitik eine entscheidende Rolle gespielt. Denn die Ankunft der ersten Charter- Maschine läutete eine völlig neue Ära in Goas Tourismusentwicklung ein.

Den Weg bereitet dazu haben unbestritten die „Freaks“, die zivilisationsmüden AussteigerInnen aus den Industrienationen, die seit den sechziger Jahren unentwegt in Scharen ins goanische Paradies pilgern. Ganze Dörfer an der goanischen Küste haben sich auf die RucksacktouristInnen eingestellt, für viele Fischer und Bauern ein willkommenes Zubrot zum Haushaltsgeld. Mehr und mehr Einheimische sehen jedoch mit Besorgnis, wie sich die „Freak-Kultur“ in ihrem Lebensraum breitmacht, und wehren sich gegen die krassen Auswüchse wie Drogenmißbrauch und nächtliche „Beach-Parties“.

Die eigentliche massentouristische Offensive setzte 1987 ein, als die ehemals portugiesische Kolonie den Status eines indischen Bundesstaates erhielt. Im Einklang mit der Zentralregierung in Delhi legte die goanische Regierung einen ersten Tourismusplan vor, der aufgrund der wachsenden Proteste aus der Bevölkerung, die sich auch international Gehör verschaffte, vorerst in einer Schublade verschwand. Aber nur, um knappe zwei Jahre später in noch viel gigantischerer Form und mit der Schützenhilfe der Welttourismusorganisation (WTO) wieder aufzutauchen. Laut Experten der WTO verkraftet Goa 2,5 Millionen TouristInnen im Jahr, rund doppelt so viele wie heute. Der Tourismus wurde flugs zur Industrie erklärt und kommt somit in den Genuß der ganzen Palette staatlicher Subventionen und Investitionsanreize für ausländisches Kapital.

Diese wurden 1991 nochmals substantiell ausgebaut, als das hochverschuldete Indien mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ein neues Umschuldungsabkommen abschließen mußte. Denn die internationalen Gläubiger, allen voran der IWF, sehen in der Tourismusförderung das Zaubermittel, schnell an Devisen zu kommen, um die Schuldenverpflichtungen einhalten zu können. Die Tourismusförderung benötigt ein attraktives Investitionsklima, und so profitierten die ausländischen Investoren von äußerst günstigen Bedingungen wie Steuerfreiheit, stark subventioniertem Bauland, billigen Krediten oder freiem Rücktransfer der Gewinne. Für Strom und Wasser bezahlen die Luxushotels nur gerade die Hälfte des Preises, den Einheimische für das rare Gut berappen müssen. Zudem finanziert der Staat aus Steuergeldern die Anschlüsse sowie die Zufahrtsstraßen und andere kostspielige Infrastrukturen. In Wirklichkeit bedeuten diese Investitionsanreize einen erheblichen Einkommensverlust für die Staatskasse.

Das Nachsehen haben die vielen Fischer und Palmweinzapfer, die ihren traditionellen Erwerb verloren haben, weil sich heute ausländische Feriengäste am Strand und unter den Palmen tummeln. Bauern klagen über Ernteausfälle infolge Wassermangels, während sich die TouristInnen nach Belieben im kostbaren Naß der Swimmingpools vergnügen. Was damit insgesamt für die einheimische Wirtschaft verlorengeht, kann kaum mit den unsicheren und schlechtbezahlten Arbeitsplätzen im Tourismus wettgemacht werden. Neuesten Schätzungen zufolge leben heute bereits 35 Prozent der Bevölkerung Goas unter der Armutsgrenze. Insbesondere der Bauboom übte eine starke Sogwirkung auf Menschen wirtschaftlich schwächerer Nachbarstaaten; doch die Zugewanderten enden allzuoft arbeitslos in den schnell wachsenden Slums.

Im harten Kontrast dazu wächst das Tourismusangebot: Ende 1992 verfügte Goa bereits über 14.500 Betten; an die 40 Hotels bieten internationalen Standard, zehn davon sind Luxushotels. Die Baupläne für über 30 weitere Luxusherbergen sind bereits bewilligt. Insgesamt sind am 75 Kilometer langen Sandstrand Goas 60 neue Hotels in Planung.

Eigentlich hat Goa eine sehr fortschrittliche Umweltgesetzgebung zum Schutz der ökologisch fragilen Strandzone. Doch nahezu sämtliche Hotels der Luxus- und gehobenen Mittelklasse haben bei Bau und Betrieb ihrer Anlagen Gesetze und Schutzbestimmungen grob verletzt. Ganze Hotelkomplexe werden ohne Bewilligung hochgezogen, in der 200 Meter breiten Schutzzone am Strand Gebäude errichtet, Brunnen gebohrt, Palmen und Büsche gerodet. Sanddünen werden mit Bulldozern plattgewalzt, damit die TouristInnen freie Meersicht genießen können. Diese massiven Eingriffe haben gravierende Folgen auf den Süßwasserhaushalt im Hinterland und gefährden direkt das Überleben der Bauern.

Unermüdlich prozessieren UmweltschützerInnen gegen die illegalen Anlagen; unzählige Gerichtsverfahren gegen indische und multinationale Hotelketten sind anhängig. Mehrere renommierte Häuser wie das Leela Beach Hotel, laut eigener Werbung mit der deutsch-schweizerischen Kempinski, einer Tochtergesellschaft von Lufthansa, liiert, wurden schon zum Abbruch einzelner Bauten gezwungen. Aber immer wieder finden die Hoteleigner Tricks und Wege, drohende Strafen abzuwenden oder Gerichtsurteile zu umgehen. Oft mit der Unterstützung der lokalen Politiker, die gern beide Augen zudrücken, denn für sie fällt im Fünf-Sterne-Tourismus einiges ab an Spekulationsgewinnen und anderen Geldern, die in Anpassung an lokale Gegebenheiten „Palmöl“ genannt werden.

„Bei jedem neuen Hotelprojekt wird nun noch dreister vorgegangen“, stellen Norma und Claude Alvares, die Rechtsanwältin und der engagierte Journalist der Umweltorganisation „Goa Foundation“, fest. „Die zwei neuesten Hotelbauten im Süden Goas werden bereits mitten in der Strandschutzzone direkt auf den Dünen errichtet.“ Ihr Bericht aus den Gerichtsakten hört sich an wie ein Fortsetzungskrimi, wobei eine der letzten Folgen dem Goa-Penta-Hotel gewidmet ist.

Der Bau an diesem millionenschweren Luxushotelprojekt im Süden Goas wurde vor drei Jahren in Angriff genommen, die nötige Bewilligung dafür allerdings erst im nachhinein aufgrund eines ersten Gerichtsverfahrens eingeholt, als der Rohbau die zugelassene Höchsthöhe bereits weit überschritten hatte. Ein erneutes Gerichtsurteil verfügte den Abbruch des dritten Stockwerkes, was von der Hoteldirektion geschickt umgangen wurde: Eine künstliche Erdaufschüttung läßt das Hotel von der einen Seite als zweistöckig erscheinen.

Auch die vorgeschriebene Anlage zur Abwasserreinigung, ohne die eigentlich kein Hotel in Betrieb genommen werden kann, funktionierte nicht. Zudem wurde in der Strandschutzzone illegal Grundwasser angezapft, um zumindest einen der Swimmingpools zu speisen. Als durch einen Geschäftsbrief des Hotels auch noch ans Licht kam, daß der „Advocate General“, der die Interessen des Staates zu vertreten hat, im Sold des Penta-Hotels stand, war sogar für das Oberste Gericht von Goa das Maß voll. Die Betriebsbewilligung wurde suspendiert, der Skandal war perfekt.

„Penta Hotels are Lufthansa Hotels“, besagt der Werbeprospekt, der an der Rezeption des Goa Penta aufliegt. Einmal mehr tauchen hier in unrühmlichem Zusammenhang deutsche Beteiligung und die Töchter der Lufthansa auf. Maßgeblich beteiligt am Bau dieses Hotels ist die Penta-Hotelkette mit Sitz in Berlin, die zu 63 Prozent der deutschen Lufthansa gehört. In der Zentrale der Penta-Kette in Berlin gibt man sich äußerst diskret: Über das Goa Penta könnten keine Aussagen gemacht werden; man stehe in Verkaufsverhandlungen, und die dürften keinesfalls gefährdet werden. Zudem sei das Goa Penta ja noch gar nicht offiziell eröffnet. Daß da bereits Gäste logierten, sei einzig und allein auf die Initiative des Mitbesitzers und Erbauers zurückzuführen. Dies alles erklärt aber wenig, weshalb der an der Rezeption des Goa Penta aufliegende Werbeprospekt sämtliche Penta-Reservationsstellen in Europa, USA und Japan auflistet, über die das Haus gebucht werden kann. Und auf der Penta-Reservationszentrale in Frankfurt war noch Anfang Juni zu erfahren, das Goa Penta könne gebucht werden, es sei ganzjährig offen.

Zu Spitzenzeiten der Hochsaison herrscht in Goa, das im letzten Winter bereits von zwölf Charterprogrammen angeboten wurde, dermaßen Zimmerknappheit, daß sich offensichtlich keiner der Verantwortlichen aus der Reisebranche mehr um die Sündenregister ihres Angebotes kümmern mag. Und, falls es noch nötig war, liefert ja das anstehende Gerichtsverfahren gegen die „Wachsamen Goaner“ den Beweis, daß die goanischen Behörden beflissen law and order wahren; insbesondere, wenn so klingende Namen aus der Touristikbranche wie TUI oder Condor auf dem Spiel stehen.

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