: Radikalkur für Pakistan
Reformen des Interims-Premiers machen selbst vor alten Privilegien nicht halt / Auch das Militär unterstützt die Pläne ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly
Nur etwa 1,5 Millionen Personen zahlen in Pakistan Steuern – bei einer Gesamtbevölkerung von über 120 Millionen. Das ist nicht nur ein Ausdruck der Armut des Landes. Es ist auch darauf zurückzuführen, daß landwirtschaftliches Einkommen und Vermögen nicht besteuert wird. Das wiederum verleitet viele reiche Grundbesitzer und Geschäftsleute dazu, ihre Tätigkeit als landwirtschaftliche auszugeben: Eine Firma nennt sich vielleicht „Punjab Agro Industries“, produziert aber Schrauben; das „Farmhouse“ ihres Besitzers ist eine feudale Villa, das Bewässerungswasser füllt einen Swimmingpool.
Da in einer feudalen Gesellschaft wie Pakistan Landbesitz auch politische Macht bedeutet, hatte es bisher kaum jemand gewagt, eine ernsthafte Reform durchzuführen. An eine solche konnte sich nur ein Politiker wagen, der keiner ist: Moeen Qureshi ist ein Interims-Premierminister, der in knapp sechs Wochen, nach den Parlamentswahlen vom 6. Oktober, wieder ins Privatleben zurückkehren wird. Aus diesem war er erst am 19. Juli herausgerissen worden, als sowohl Premierminister Sharif wie auch Präsident Ishaq Khan zurücktraten.
Das Reformpaket enthält eine ganze Reihe von Maßnahmen, die die tiefverschuldete Nation sanieren sollen. Insbesondere landwirtschaftliche Einkommen und Vermögen sollen nicht länger aus der Besteuerung herausfallen. Um die Wirkung dieser Belastungen für wirkliche landwirtschaftliche Produzenten aufzufangen, kündigte Qureshi eine Erhöhung der staatlich garantierten Preise für Weizen und Speiseöl an. Darüber hinaus soll der weitverbreiteten Praxis, die Kredite staatlicher Banken nicht zurückzuzahlen, ein Ende gesetzt werden. Und um gleich seine Ernsthaftigkeit unter Beweis zu stellen, verfügte Qureshi, daß Personen, die mit ihren Steuern oder der Rückzahlung von Krediten im Rückstand sind, nicht zur Wahl für ein öffentliches Amt antreten dürfen.
In einer Fernsehrede wies Qureshi darauf hin, daß ohne seine Reformen Pakistan keine Auslandskredite mehr erhalten würde. Der ehemalige Weltbank-Direktor kündigte auch gleich die Verteuerung staatlicher Dienstleistungen an – ein typisches Rezept von Weltbank und IWF. Die Maßnahme entspricht den Bedingungen des Währungsfonds für einen kurzfristigen Beistandskredit von 350 Millionen Dollar und ein größeres Darlehen im Umfang von rund einer Milliarde Dollar, die beide zur Zeit verhandelt werden. Die Reformen, so Qureshi, seien auch nötig, um den während der Regierungskrise des vergangenen Halbjahres ausgetrockneten Fluß ausländischer Investitionen wieder zu beleben.
Zudem hat der Premier Pläne zur Privatisierung von Staatsunternehmen entwickelt. Das dadurch eingenommene Geld soll zur Rückzahlung der Staatsschulden genutzt werden. Rund 40 Prozent der Staatseinnahmen müssen derzeit allein für die Bedienung der Kredite aufgewendet werden.
Der Premierminister versucht, die Erhöhung der Steuern und der Kosten für staatliche Dienstleistungen für die große Mehrheit der armen Pakistaner durch ein neues Sozialprogramm auszubalancieren. Auch hier ging er hart mit dem politischen Establishment ins Gericht: In 20 Regierungsjahren hätte es die soziale Gesundheit des Landes ruiniert. Der Bürger sei durch den Staat mehr bedroht als beschützt, es gebe weder Trinkwasser noch ein sauberes Abwassersystem, die Städte gehörten zu den schmutzigsten der Welt, und Pakistan sei das einzige Land, in dem die Frauen eine geringere Lebenserwartung hätten als Männer. Eine Kommission soll nun Vorschläge für die Erneuerung des Justizwesens ausarbeiten, eine zweite für die Einführung eines Systems der sozialen Sicherheit. Die Haushaltsmittel für Gesundheit und Erziehung, insbesondere für Mädchen, sollen erhöht werden.
Wird das radikale Reformpaket die Wahlen vom 6. Oktober – und damit den Abgang Qureshis – überleben? Die Nachfolgekandidaten Benazir Bhutto und Nawaz Sharif unterstützen beide Qureshis Vorschläge. Aber innerhalb der großen Parteien gab es rasch Kritiker, welche die Legitimität des nicht gewählten Kurzzeit-Premiers für eine derartige Reform in Frage stellten. Qureshi antwortete ihnen, er sei durch den Amtseid gebunden, der es ihm nicht erlaube, zuzuschauen, wie sein Land allmählich in den finanziellen Bankrott abdrifte. Dies mag auch die Armee, die zweifellos über das Maßnahmenpaket informiert war, bewogen haben, dagegen keinen Einspruch zu erheben. Vor wenigen Jahren war es noch anders gewesen: Damals hatte Zulfigar Ali Bhutto eine Landreform in Angriff genommen, weil er – obwohl selber Großgrundbesitzer – die Macht des feudalen Landadels brechen wollte. Dieser verbündete sich darauf mit der Armee, die das Heft in die Hand nahm und Bhutto hinrichten ließ. Heute sehen auch die Streitkräfte ein, daß eine Modernisierung der Wirtschaft ohne begleitende politische und soziale Reformen keine Erfolgschancen hat. Vor allem aber das Eigeninteresse der Militärs dürfte den Ausschlag gegeben haben: Werden Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung nämlich nicht drastisch abgebaut, müssen sie auch Kürzungen im Verteidigungsetat befürchten.
Optimistische Beobachter meinen, daß die vorgeschlagenen Reformen durchgeführt werden – wer auch immer die Wahl gewinnt. Die führenden Politiker wollen die Reformen und brauchen einfach einen Sündenbock, der die gesamte Kritik an der Radikalkur auf sich ziehen kann. Und diese Rolle kann Qureshi übernehmen, da er ja ohnehin nach der Wahl kein Amt mehr anstrebt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen