: Die FDP hofft auf die SPD-Parteibasis
■ Das Ja der SPD setzt die Liberalen unter Druck, eine Grund- gesetzänderung vor der Bundestagswahl ist unwahrscheinlich
Nachdem sich das SPD-Präsidium im Streit um den Lauschangriff der Union angenähert hat, hofft die FDP auf einen ihr bislang unvertrauten Bündnispartner: auf die Parteibasis der SPD. „Wir warten in Ruhe ab, was der Bundesparteitag der SPD sagt“, kommentierte FDP-Sprecher Hans-Rolf Goebel den Präsidiumsbeschluß der Sozialdemokraten, in dem die SPD-Spitze den Großen Lauschangriff unter bestimmten Voraussetzungen erstmals für möglich erklärt hat. Für das Nein der FDP zum Lauschangriff habe der SPD- Beschluß, versicherte Goebel gestern, „keine Auswirkung“.
Daß die SPD den Lauschangriff nach US-amerikanischem Vorbild mit strengen Auflagen versehen will, überzeugte eingefleischte Wanzengegner in der FDP gestern nicht. Um dem US-Vorbild wirklich zu folgen, müßte man das bundesdeutsche Rechtssystem „total umkrempeln“, bemängelte der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Lüder. So sei das Abhören in den USA nur der Bundespolizei FBI erlaubt. Vergleichbare Rechte für das deutsche Bundeskriminalamt würden die Bundesländer kaum zulassen. „Ein Häppchen USA“, so Lüder, das sei „der falsche Weg“.
Auch die Mitarbeiter von FDP- Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger haben immer noch Zweifel, ob die deutschen Verbrechensbekämpfer von den Amerikanern das Siegen lernen könnten. Offensichtlich gebe es in den USA „nur wenige spektakuläre Fälle“, in denen die Wanze zum Erfolg geführt habe.
Tatsächlich sind die Freidemokraten jedoch nicht ganz so gelassen, wie sie tun. Je mehr sich CDU/CSU und SPD in dieser Frage annähern, desto stärker gerate die FDP unter „Druck“, das räumen hinter vorgehaltener Hand auch die Liberalen ein. Der FDP-Rechtspolitiker Jörg van Essen, ein Befürworter des elektronischen Abhörens, hat in seiner Fraktion bereits eine „neue Nachdenklichkeit“ festgestellt. Je mehr sich die beiden großen Parteien näherkämen, so warnt van Essen, desto kleiner werde der „Gestaltungsspielraum der FDP“. Auf einer Fraktionsklausur in der letzten Woche hörten die FDP-Abgeordneten bereits Umfrageergebnisse, nach denen es auch unter ihren Wählern eine Mehrheit für den Lauschangriff gibt. Dieser Trend werde sich durch den SPD-Beschluß „noch verstärken“, prophezeite van Essen gestern.
In dem Programm für den Rest der Legislaturperiode, das die Fraktion auf ihrer Klausur verabschiedete, wird der Lauschangriff überhaupt nicht erwähnt. Van Essen interpretiert das als Versuch, diese innerhalb der Fraktion umstrittene Frage offenzuhalten. Allerdings stehen die Abgeordneten seit dem Münsteraner Parteitag auch unter dem Druck der Parteibasis, die mit großer Mehrheit den Lauschangriff abgelehnt hatte. Der Abhörfreund und Rechtspolitiker Detlef Kleinert hatte in Münster „unglücklicherweise“ – so sagen es seine Gesinnungsgenossen – lauthals angekündigt, die Fraktion fühle sich an den Parteibeschluß nicht gebunden. Seitdem wacht die FDP-Basis mit Argusaugen über die Beschlußtreue ihrer Leute in Bonn.
Aber könnten sich nicht Union und SPD über die Köpfe der FDP hinweg auf das Abhören einigen? FDP-Chef Klaus Kinkel warnte bereits vor einem solchen Bruch des Koalitionsvertrags. Daß die Union ihrem kleinen Koalitionspartner tatsächlich einen solchen Affront zumuten würde, gilt aber auch in der FDP als unwahrscheinlich. Eine Grundgesetzänderung, wie sie für den Lauschangriff nötig wäre, sei schon „gesetzestechnisch“ in der kurzen verbleibenden Zeit bis zur Bundestagswahl im Oktober 1994 kaum möglich, meinte Goebel. Wolfgang Lüder drohte der CDU gestern gar, im Fall des Falles könne die FDP auch den Spieß umdrehen. Gegen die Union gebe es im Bundestag schließlich auch eine „klare Mehrheit für die doppelte Staatsbürgerschaft“. Hans-Martin Tillack, Bonn
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