: „Erweckungsprediger auf der Tupperparty“
■ SPD-Delegierte im Unterbezirk West mucken auf / Wieviele Stadtwerke-Arbeitsplätze opfern für Klöckner?
In einer mitreißenden Rede referierte Scherf am Mittwoch abend vor den Delegierten des SPD-Unterbezirks Bremen- West das, was Wedemeier als „Schwerpunkte sozialdemokratischer Regieungspolitik“ auf 17 Seiten ausgeschrieben hatte. Sozialdemokratischer Erfolg von acht Jahren Arbeit sei die große Entschuldung und damit Rettung der Selbständigkeit des Bundeslandes Bremens, Häfen- Perspektive und offensive Ansiedlungs-Politik trügen sozialdemokratische Handschrift, Ausbau der High-Tech-Infrastruktur insbesondere um die Universtät herum, Verkehrsanbindung der Wirtschaftsstandorte, Konzentration der sozialen Hilfen auf die, die es wirklich nötig haben. Scherfs rhetorisches Talent zog den Saal in den Bann — mit dieser Selbstsicherhei, und diesem Pathos, das mußte jedem klar sein, können enttäuschte Wähler wieder gewonnen werden.
Scherf setzte dabei auch ein paar ganz individuelle Akzente: Auf dem Gelände der AG-Weser, meinte er, müsse „mehr als ein bißchen Theater“ entstehen. SPD-Leute in den Gewerkschaften dürfe man nicht „in ein rechtsradikales Hetzermilieu“ abdriften lassen, rief er — auf den GdP-Mann Schulz gemünzt — laut in den Saal. Und zu Kröning müsse man sagen, „der beste sozialdemokratische Finanzminister ist nicht der, der alle gegen sich aufgebracht hat.“ Im Sparen müsse man Partei ergreifen. Wedemeier müsse auf seine sozialpolitischen Aussagen festgelegt werden. An der Sozialhilfe herumzudoktern sei „sozialdemokratischer Schweinkram“.
Die Delegierten hörten es — und glaubten es nicht. Bei der Sozialhilfe — Wedemeier lobt sich, Bremen habe sie um 2 Prozent in 1993 erhöht — erinnern sich alle noch an den peinlichen Streit, an dessen Ende ein Prozent Erhöhung ab 1. Juli 1993 und ein Prozent erst am 1. Januar stand. Moritz Thape, Finanzsenator aus der Vor-Wedemeier-Zeit, erinnerte daran, daß der Prozeß, der jetzt die Sanierungs-Milliarden bringt und den ganz als Wedemeier-Erfolg (“vor acht Jahren eingeschlagen“) buchen will, durchaus älter sei, nämlich in seiner Amtszeit begonnen worden ist. Christoph Butterwegge kritisierte, daß die Uni in dieser Senats-Position nur noch als Ausbildungsstätte von wirtschaftsnahen Berufen erscheine. Und Öko-Technologie komme nicht als Antwort auf Umweltgefahren vor, sondern nur als Wachsumsbranche. Diese Passagen könnte auch die Handelskammer geschrieben haben. „Das wollen CDU und FDP auch, das ist kein sozialdemokratisches Profil.“
Dem Delegierten Wolfram Kaiser erschien Scherf wie ein „Erweckungsprediger auf einer Tupperparty“. Da werde nur viel Verpackung versprochen.
Der dreiseitige Antrag des UB-Vorstands zur Halbzeitbilanz, passagenweise aus der Wedemeier-Rede abgeschrieben, wurde schlicht vertagt. Und Reinhard Barsuhn, der für die SPD-Fraktion eine allgemeine Bilanz vorgelegt hatte, mußte sich fragen lassen, warum er denn zum Abstimmungsverhalten beim Mißtrauensvotum gegen Fücks nichts gesagt habe. „Wir sind doch die, die ihrem Fraktionsvorsitzenden ins Gesicht lügen“, erklärte ein Delegierter.
Zum Thema Klöckner hatte der UB-Vorstand einen Antrag aus dem UB-Ost vorgelegt, in dem handschriftlich nur „Ost“ durch „West“ ersetzt worden war. Was der UB-Vorstand verschwiegen hatte: Der letzte Absatz, in dem Bedingungen für den Stadtwerke-Verkauf genannt wurden, war schlicht weggelassen. Butterwegge „ewischte“ den UB-Vorstand bei diesem Trick. „Für wielange wird Klöckner gerettet? Wieviele Arbeitsplätze werden bei den Stadtwerken dafür weggenommen?“, fragte Annelise Leinemann. Bei der AG- Weser habe man „sehr viel Geld“ ausgegeben und die Werft sei doch geschlossen worden. Nur die mitternächtliche Stunde verhinderte, daß auch dieser Antrag von den Delegierten grundlegend verändert wurde.
Im SPD-Landesvorstand soll der Bremer Westen demnächst von vier selbstbewußten Kandidaten vertreten werden: den „neuen“ Frauen, Annelise Kasche und Cornelia Wiedemeyer, und bei den Männern von Thomas von der Vring und Detlef Albers (als Schriftführer). K.W.
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