„30 Millionen D-Mark oder Lire?“

Der Konkursverwalter von Saarstahl überzeugt die Gläubiger, vorerst den Betrieb weiterzuführen / Sozialpläne wurden drastisch gekürzt  ■ Aus Völklingen Frank Thewes

Konkursrichter Jürgen Grünert muß zwischendurch noch eine „organisatorische Frage“ klären: „Betrifft Gläubiger Nummer 627“, ruft er ungeniert ins Mikrofon der Völklinger Stadionhalle, „waren das 30 Millionen DM oder Lire?“ Es handelt sich natürlich um Mark, denn bei der Gläubigerversammlung des vom Konkurs getroffenen Saarstahl-Konzerns wird über geringe Summen erst gar nicht geredet.

So müssen die ausgeschiedenen Arbeiter, die seit dem Konkurs mit vergleichsweise bescheidenen Ausfällen von bis zu 2.000 Mark monatlich leben, mit langen Gesichtern zusehen, wie braungebrannte Bankmanager und Rechtsanwälte eine Firmenpleite abzufangen pflegen. Und das geht so. Die Gläubigervertreter lauschen zunächst den (nicht sonderlich konkreten) Ausführungen der Konkursverwalter zur Lage des Unternehmens: Bis Ende 1993 soll die Zahl der Beschäftigten um weitere 400 auf 4.500 sinken; im Mai waren es noch 7.200. Trotz dieses Abbaus, so Konkursverwalter Hans Ringwald, habe der Stahlabsatz gehalten werden können. Inzwischen sei die Betriebskasse um monatlich 16 Millionen Mark entlastet worden. Co-Verwalter Jean Lang zählt die Nachfolgekonkurse von Tochterfirmen auf: die Liste nimmt kein Ende.

Mit welchen Mitteln Saarstahl künftig rechnen kann, ist noch offen: Die Konkursverwalter setzen auf einen neuen „Massekredit“ der Banken. Doch darüber ist noch nicht entschieden. Unklar bleibt, ob die Holding-Gesellschaft DHS für Schulden von Saarstahl aufkommen muß. In diesem Fall drohen auch der daran beteiligten Dillinger Hütte, dem nunmehr größten saarländischen Stahlkonzern, ernsthafte Turbulenzen.

Trotz der vielen großen und kleinen Klippen verkündet Ringwald: „Die globale Steuerung haben wir im Griff.“ Das scheint die Gläubiger so zu beeindrucken, daß sie der Fortführung des Unternehmens widerstandslos zustimmen und damit vorerst auf ihr Geld verzichten. (Allerdings kann sich wohl auch niemand vorstellen, wie das vor allem aus möglicherweise verseuchten Böden bestehende Saarstahl-Eigentum versilbert werden kann.)

Die Abstimmungen fallen aber allein schon deshalb einstimmig aus, weil Auszählungen so unglaublich kompliziert sind. Schließlich haben sich hier in der Halle 5,2 Milliarden Stimmen versammelt: Für jede Forderung von einer Mark erhält jeder Gläubiger eine Stimme. Deshalb haben die das Sagen, die das meiste Geld (zu kriegen) haben: die Landesregierung und die Banken. Und so machen Diskussionsbeiträge der Herren W. und S. bisweilen Gegenargumente überflüssig und Abstimmungen hinfällig. Die beiden Herren sind sich nämlich völlig einig, daß dem wichtigen Gläubigerausschuß auf keinen Fall ein Vertreter der ausgeschiedenen Arbeiter angehören soll. Deren Vertreter, Rechtsanwalt Hans-Georg Warken, blitzt selbst mit seiner Bitte ab, doch wenigstens am Informationsfluß der Konkursverwaltung beteiligt zu werden.

Ohnehin sind nur wenige ausgeschiedene Stahlkocher im rechtlichen Sinn Gläubiger ihrer Ex- Firma. Für alle anderen bleiben in der Stadionhalle nur Gästeplätze. Denn die meisten Beschäftigten haben ihre Forderungen gegen das Unternehmen an die Stahlstiftung abgetreten – in einer dubiosen „freiwilligen Verpflichtungserklärung“ (s. taz 25.8.1993).

Dabei, so Rechtsanwalt Hans- Georg Warken, seien viele regelrecht ausgetrickst worden: „Die ganze Abtreterei ist total sittenwidrig.“ So seien unter anderem unkündbare Arbeitnehmer zur Unterschrift genötigt worden. Selbst Mitarbeiter der überhaupt nicht vom Konkurs betroffenen Tochterfirma Saarstahl Drahtkorb verzichteten auf ihre Ansprüche – nach Ansicht von Juristen „grob rechtswidrig“.

Durch den Konkurs hat die Saarstahl-Betriebskasse für die ehemaligen Beschäftigten kaum noch Geld übrig: Rentenzahlungen bleiben aus, über das Unternehmen abgeschlossene Lebensversicherungen hängen in der Luft, und selbst alte Sozialpläne werden teilweise drastisch gekürzt. Probleme, die nach Ansicht von Konkursrichter Grünert „nicht kurzfristig lösbar sind“. Die Stimmung auf den Gästeplätzen bleibt daher gedrückt. Erwin Senz von der neugegründeten Interessengemeinschaft der Sozialplangeschädigten nimmt jeden Tag „vier bis acht frustrierte Leute“ auf. Das Lob der Konkursverwalter für „die äußerst disziplinierte Belegschaft“ beeindruckt die Opfer wenig. „Das ist“, sagt Rechtsanwalt Warken, „eine Beerdigung dritter Klasse: Die Leiche trägt die Kerze selbst.“