„Freiwillig gehen wir nicht!“

Mecklenburg: Ostdeutsche Bauern kämpfen gegen den Enkel eines ostelbischen Großgrundbesitzers mit guten Kontakten  ■ Aus Altentreptow Jantje Hannover

Gepflügte Felder soweit das Auge reicht, dazwischen schmale baumbestandene Alleen und hier und da ein tiefblauer See, der aussieht, als würde er jeden Moment überlaufen. Doch die Idylle trügt. Auf dem Mecklenburger platten Land herrscht Zoff. Und das nicht erst seit vorletzter Woche, als die Niederlassung der Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft (BVVG) in Neubrandenburg kurzerhand von aufgebrachten Landwirten besetzt wurde. Der Stein des Anstoßes: Während immer mehr ostdeutsche Bauern als Arbeitslose ein unfreiwilliges Dasein zwischen Heim und Herd fristen, machen sich westdeutsche Alteigentümer und Neueinrichter das ehemals volkseigene Land zu eigen. Mittelsmann dabei: die Treuhandanstalt mit ihrer Tochter BVVG.

Michael Frese und Gerhard Radloff aus dem Kreis Altentreptow zählen zu den wenigen ostdeutschen Genossenschaftsbauern, die nach der Wende den Sprung in die Selbständigkeit gewagt haben. „Das alles hier wird von uns bewirtschaftet.“ Gerhard Radloff holt weit aus, um das Pachtland der 1991 gegründeten GbR mit einer Armbewegung zu umschreiben. 1.750 Hektar Land sind es insgesamt, eine riesige Fläche, aber die mageren Mecklenburger Böden geben nicht viel her. Bleibt es allerdings bei der jüngsten Entscheidung der Treuhand, müssen die studierten Agraringenieure bald kleinere Kreise ziehen, wenn sie ihr Revier optisch abstecken wollen: 300 Hektar sollen aus der Gesamtfläche herausgelöst werden, weil ein westdeutscher Alteigentümer sein großväterliches Erbe zurück haben will.

„Freiwillig geben wir nichts ab. Soll er doch sehen, wie er an sein Land kommt.“ Die jungen Existenzgründer sind wütend entschlossen, dem Karlsruher Bundesrichter Falk Freiherr von Maltzahn die Stirn zu bieten.

Nur ein einsamer Grabstein in den Altentreptower Feldern gibt Kunde vom letzten Gutsbesitzer von Wodarg. Falk von Maltzahns Großvater blieb beim Einmarsch der Roten Armee 1945 als einziges Familienmitglied auf dem Hof zurück – und wurde erschossen. Der Besitz der von Maltzahns, insgesamt 1.500 Hektar, wurde dann im Zuge der Bodenreform von den sowjetischen Besatzern enteignet und an landlose Bauern verteilt. Dieses Land will der adelige Jurist nun zurückhaben. Ein Antrag auf 821 Hektar liegt bei der BVVG vor. Und weil Behörden ja nicht so recht spuren und ein von Maltzahn nicht irgend jemand ist, hat er der Treuhandtochter ein Ultimatum gestellt: bis zum 11. August, dann wolle er sich rühren.

Das hat gewirkt, 300 Hektar bekommt er jetzt erst mal zurück. Vorerst nicht als Eigentum, denn das wäre nach dem Einigungsvertrag, der sogenanntes Bodenreformland von Restitutionsansprüchen ausnimmt, nicht zulässig. Maltzahn bekommt es zunächst als Pachtland mit Kaufoption nach dem sogenannten Siedlungskaufmodell. Von diesem hoch subventionierten Verfahren sind die Nachfolgebetriebe der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) von vorneherein ausgeschlossen.

Für die Alteigentümer ist der Griff nach ostdeutschen Böden allemal lukrativer als die eher bescheiden bemessene Entschädigung, die der Gesetzgeber für die Opfer der Bodenreform von 1945 bis 1949 eigentlich vorgesehen hat.

Für die Mecklenburger Landwirte hatte anfangs alles ganz gut ausgesehen. Ostdeutsche Bauern, die dem Kollektivismus abschwören und sich selbständig machen – das paßte exakt ins damalige Konzept der Bundesregierung, der es vor allen Dingen um die Privatisierung der Landwirtschaft ging. Die LPG Grapzow, wo Michael Frese als Produktionsleiter gearbeitet hatte, ging 1991 in Liquidation. Das volkseigene Gut, in dem Gerhard Radloff Abteilungsleiter war, wurde verkauft – an Westdeutsche, versteht sich; ein Antrag Radloffs war abgeschmettert worden.

Von über hundert ortsansässigen Landeigentümern haben sich die beiden dann ihre Flächen zusammengepachtet, meistens von ehemaligen LPG-Mitgliedern. Dazu kamen 620 Hektar von der Treuhand. „Die haben uns damals geradezu ermuntert: Werdet euch einig, dann kriegt ihr Flächen und könnt auch investieren“, sagt Michael Frese. Aber genau dieses Land ist heute ihr Risiko. Denn wo Alteigentümer Pachtverträge über zwölf Jahre erhalten, bekommen ostdeutsche Unternehmer nur ein Jahr zugesichert. Mit Berechnung, wie man heute sieht: Das Land dient der Treuhand als stille Reserve für den Hunger der ostelbischen Großgrundbesitzer.

Zu dumm, daß das Betriebskonzept der Altentreptower mit einem Investitionsvolumen von rund zwei Millionen Mark auf die Gesamtfläche konzipiert war. „Wir bleiben auf einem Schuldenberg sitzen“, befürchten die Landwirte, die ihre Eigenheime als Kreditsicherheit verpfändet haben. Mit ihnen bangen neun Angestellte um ihre in der Landwirtschaft so rar gesäten Arbeitsplätze. Der Schock um die bedrohte Existenz ist noch ziemlich frisch. Anfang September klopfte Erich Bunzmann, Diplomingenieur und Berater des Freiherrn, unangemeldet an die Haustür der Freses. „Der hat uns voll ins Gesicht gesagt: Herr von Maltzahn hat genug Geld und Macht, um seine Interessen durchzusetzen“, sagt Heike Frese.

Ob es dieser Mangel an Diplomatie ist, der das Stimmungsbarometer vor Ort gegen den Bundesrichter schlagen läßt? Heike Frese war über die Anteilnahme der Bevölkerung überrascht: „Die halten mit einem Mal alle zu uns.“ Dabei reicht der Sympathisantensumpf weit über die Altentreptower Kreisgrenze hinaus. Selbst die CDU in der Landeshauptstadt Schwerin, um Wählerstimmen mehr denn je bemüht, schreibt sich die Interessen der ortsansässigen Landesbevölkerung auf ihre Fahnen. Das Land Brandenburg hat schon Anfang dieses Jahres Klage gegen die Richtlinie der Treuhand, die die Landvergabe regeln soll, beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Und Klaus Domke, Geschäftsführer beim Kreisbauernverband, fordert: „Schluß mit der Vergabe an Ortsfremde!“

Mit 300 Hektar ist in Mecklenburg kein Staat und erst recht keine Landwirtschaft zu machen. Maltzahn wird expandieren müssen, auf wessen Kosten auch immer. Derzeit ist er nirgendwo an die Strippe zu kriegen. Wahrscheinlich steht er irgendwo in Altentreptow mit dem Spaten auf dem Acker, während ein frischer Landwind seine Robe zerzaust.