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Ein Dissident kommt frei

■ China: Wei Jingsheng entlassen – nützlich für Olympia-2000-Bewerbung?

Peking/Berlin (AP/taz) – Vierzehneinhalb Jahre hat der chinesische Regimekritiker Wei Jingsheng in Gefängnissen und Arbeitslagern verbracht, davon die meiste Zeit in Einzelhaft. Gestern wurde Wei, der 1979 in einem Schauprozeß wegen „Konterrevolution“ zu 15 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden war, vorzeitig auf Bewährung entlassen. Offizielle Begründung des Pekinger Justizministeriums: Er habe sich „an die Gefängnisregeln gehalten“. Der jetzt 43jährige Wei gehört zu den Dissidenten des ersten „Pekinger Frühlings“, die Ende der siebziger Jahre das Machtmonopol der Kommunistischen Partei kritisierten. Nur war die KP-Führung, insbesondere der gerade wieder an ihre Spitze zurückgekehrte Deng Xiaoping, zur jener Zeit zwar gewillt, der Bevölkerung wirtschaftliche Reformen und eine hauchzarte kulturelle Liberalisierung zu versprechen – auf Weis in Wandzeitungen und Dissidentenzeitschriften geforderte „Fünfte Modernisierung“, die Demokratie, reagierte sie jedoch allergisch. Um so mehr, als diese Forderung mit Beispielen von Machtmißbrauch und Willkürherrschaft hoher Parteifunktionäre, von Menschenrechtsverletzungen im Alltag ebenso wie in Gefängnissen und „Umerziehungslagern“ untermauert wurde. Man nimmt allgemein an, daß Deng 1979 persönlich für die Aburteilung Weis sorgte. Der arbeitete damals als Elektriker im Pekinger Zoo.

Chinesische Funktionäre verweigerten jahrelang Informationen über sein Schicksal. Erst in den letzten Jahren wurde bestätigt, daß er in einem Zuchthaus bei Tangshan, rund 150 Kilometer östlich von Peking, in Einzelhaft gehalten wurde – nach Informationen von „Asia Watch“ bis vor kurzem noch in einer knapp 6 Quadratmeter kleinen Zelle. Zuvor war er über zehn Jahre in einem Arbeitslager in der Westprovinz Qinghai.

Menschenrechtsorganisationen wie Asia Watch begrüßten die Freilassung des Dissidenten, warnten jedoch davor, dies als Zeichen für eine Verbesserung der chinesischen Menschenrechtspolitik zu nehmen. Angesichts der weiterhin zahlreichen politischen Gefangenen wirkt dieser Schritt tatsächlich eher wie ein billiger – und häufig erprobter – Propagandazug. Weis Entlassung kommt 10 Tage vor dem Entscheid des Internationalen Olympia-Komitees (IOC) über den Austragungsort der Olympischen Spiele im Jahr 2000. Ob US- Präsident Clinton über die Gewährung von Handelsprivilegien entscheidet, der Vatikan einen Gesandten nach Peking schickt oder eben das IOC über Olympia entscheidet – in Peking heißt es jedesmal: „Entlassen Sie den üblichen Dissidenten.“ li

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