: Großer Erfolg durch Hungerstreik
■ betr.: „Kriegsschauplatz Santiago de Chile“ und „Blutiger Neolibe ralismus“, taz vom 13.9.93
[...] Was passierte am 11.9.93 in Santiago? Die chilenische Menschenrechtsbewegung hatte wenige Tage zuvor einen großen Erfolg verbuchen können, als es der Vereinigung der Familienangehörigen der Verschwundenen/Verhafteten durch einen Hungerstreik gelang, Staatspräsident Aylwin dazu zu zwingen, seinen umstrittenen Gesetzentwurf zur Bestätitgung der Amnestierung von Menschenrechtsverletzungen zwischen 1973 und 1978 zurückzuziehen. [...]
So wurden auch die blutigen Vorfälle am 11.9.93 nur unzureichend und ohne Zusammenhang wiedergegeben. Astrid Prange, war offensichtlich nur telefonisch durch eine „kanadische Beobachterin, die zwei Chilenen bei der Demonstration begleitete“ informiert. Klischeehaft spricht der Artikel von „Konfrontation“ zwischen DemonstrantInnen und Carabineros: hier einige AktivistInnen und dort Carabineros, die — im Exzeß, so wird uns suggeriert — wie zu Zeiten des Pinochet-Regimes Tränengas, Wasserwerfer und scharfe Munition einsetzen.
Auch der Kommentar auf Seite 10 erfaßt in keiner Weise die wesentlichen Strukturen des aktuellen politischen Prozesses, da er nicht auf die Rolle der zivilen Regierung eingeht. Mehr als drei Jahre formaler Demokratie haben wiederholt gezeigt, daß die Aylwin-Administration nicht nur — wie sie vorgibt — wenig gegen Militär- und Polizeigewalt unternehmen kann, sondern sie im Gegenteil eben diese Repression benötigt, um ihr Konzept des paktierten Übergangs und die korrekturlose Fortführung des von Pinochets implantierten Wirtschaftsmodelles durchzusetzen. Politische Proteste gefährden die Stabilität der „jungen Demokratie“. Mehr als einmal hat sich Innenminister Enrique Krauss von der Christdemokratischen Partei (DC) schützend hinter die Sicherheitskräfte gestellt. [...] Es ist falsch, von „Zusammenstößen“ oder „Konfrontation“ zu sprechen; es muß heißen: gewaltsame Unterdrückung der chilenischen Menschenrechtsbewegung und ihrer legitimen Forderungen nach vollständiger Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen. Falsch ist auch, sich allein auf den Konflikt zwischen dem abgewählten Diktator Pinochet und der zivilen Nachfolgeregierung Aylwin zu konzentrieren. Regierungsinteressen gegen soziale Bewegungen — so lautet an dieser Stelle der Hauptkonflikt. [...] Wigbert Flock, Chile-Informationsbüro Münster
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