: Freund und Feind – nun vereint
Gegner des georgischen Staatschefs Schewardnadse folgen seinem Kampfappell gegen Abchasien / Separatisten stehen wenige Kilometer vor Gebietshauptstadt Suchumi ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath
Gestern waren sie noch erbitterte Feinde. Die Anhänger des ersten frei gewählten georgischen Präsidenten Swiad Gamsachurdia und die Einheiten, die die offizielle Macht um Eduard Schewardnadse in Tbilissi vertreten. Die „Swiadisten“ ließen sich in ihrer Hochburg in Westgeorgien keine Chance entgehen, um dem verhaßten „Regime“ in der Hauptstadt einzuheizen. Ihr „Duce“ Gamsachurdia war im Januar 92 in den Nordkaukasus geflohen, nachdem oppositionelle Militärs und Paramilitärs ihn aus Amt und Würden gebombt hatten.
In den letzten Tagen schienen die Freischärler Gamsachurdias sogar dem Krieg zwischen Abchasen und Georgiern in dem separatistischen Schwarzmeerparadies die entscheidende Wendung zu geben. Mehrfach wurde von Vorstößen auf die Hauptstadt Suchumi von Süden her berichtet. Im Norden stehen abchasische Einheiten bereits an der Stadtgrenze.
Meldungen um den Kaukasuskonflikt sind grundsätzlich mit äußerster Vorsicht zu genießen. Zu viele Konfliktparteien versuchen ihr Süppchen darauf zu kochen. Dem drohenden Fall Suchumis schickte Schewardnadse einen dramatischen Appell übers georgische Fernsehen voraus. Er forderte alle wehrfähigen Männer auf, Suchumi mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Angeblich sollen auch die Swiadisten die Reihen der regulären Truppen aufgefüllt haben. Aus Tiflis wurden 2.000 Freiwillige ins Kampfgebiet geflogen.
Ende Juli hatten Georgien und die Vertreter der abtrünnigen autonomen Republik Abchasien einen Waffenstillstand ausgehandelt, der allerdings nicht lange vorhielt. Dennoch kehrten über 10.000 Flüchtlinge in die ausgestorbene Hauptstadt zurück. Rußland war als Vermittler aufgetreten. Trotzdem mußte sich Moskau den Vorwurf gefallen lassen, die Destabilisierung im Kaukasus gezielt zu betreiben. Immer wieder wurden Anschuldigungen erhoben, russische Armee-Einheiten würden zur Unterstützung Abchasiens in die Kämpfe eingreifen.
Russische Intervention entspricht nicht der offiziellen Außenpolitik Moskaus. Dennoch ist der Abchasienkonflikt ein Spiegelbild der innenpolitischen Kämpfe in Rußland. Die reaktionäre Opposition um Vizepräsident Ruzkoi und üble nationalistische Rechtsausleger lassen ihre Hilfe abchasischen Vasallen zuteil werden. Beweise liegen vor. Der Präsident Abchasiens, Ardzinba, pflegt engste Kontakte zu diesen imperialen Revanchisten. Und auch russische Armeeteile, die nach dem Zerfall der UdSSR auf georgischem Territorium verblieben waren, handeln oft in Eigenregie. Ihre Kommandierenden teilen das Weltbild der Moskauer Gesinnungsgenossen.
Der russische Verteidigungsminister Gratschow versuchte am Wochenende erneut zu vermitteln. Schewardnadse schlug sein Angebot aus, 5.000 Soldaten nach Suchumi zu fliegen, um die Kriegsparteien auseinanderzuhalten. Gratschow war wütend. Schewardnadse wollte lediglich 200 Soldaten als Friedenstruppe an der Front zulassen. Alles andere komme einer russischen Intervention gleich. In der Tat hätte Schewardnadse es schwer, seinen Landsleuten zu erklären, warum ausgerechnet Rußlands Militärs die Aufgabe der Friedenssicherung übernehmen sollen. Denn die Mehrheit der Georgier traut Rußland nicht. Gratschow kündigte an, wirtschaftliche Sanktionen gegen die beiden Kriegsparteien zu verhängen. Bisher soll Rußland Abchasien die Stromversorgung gekappt haben, seit Sonnabend sind auch die Telefonleitungen nach Abchasien unterbrochen. Schewardnadse bekundete sein Vertrauen in die „Ernsthaftigkeit“ Boris Jelzins, meinte aber im gleichen Atemzug, es seien russische nationalistische Kräfte, die die Stabilität in Georgien unterminierten: „Boris Nikolajewitsch, glauben Sie nicht, es ist an der Zeit, für Georgien Partei zu ergreifen?“
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