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Das teuerste Stimmvieh der Welt

Am Donnerstag wird in Monte Carlo die sportliche Weltregierung ihre Entscheidung über den Austragungsort der Olympischen Spiele im Jahre 2000 verkünden. Wer sind sie, die 91 Greise des IOC, die zu den hofiertesten und gehätscheltsten Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft geworden sind: leidenschaftliche Sportfans, knochentrockene Ökonomen oder korruptionsanfällige Machtmenschen?

Als der Hansdampf des globalen Sports, Juan Antonio Samaranch, 1980 zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gewählt wurde, schien die olympische Bewegung in den letzten Zügen zu liegen. Weltfremde Funktionäre, die unerschrocken an die alten Ideale des Pierre de Coubertin glaubten, kämpften einen aussichtslosen Kampf gegen Kommerzialisierung, Professionalisierung und Politisierung ihres hehren Sports. Ein einsamer Haufen von Don Quijotes, die sich auf dem besten Wege in die Bedeutungslosigkeit befanden. Seit Tokio 1964 hatten sie keine gescheite Olympiade mehr hinbekommen, und die Aussichten für die Zukunft waren düster. 1968 in Mexiko hatte das Militär die Spiele in das Blut massakrierter Studenten getaucht, 1972 gab es bei den „fröhlichen Spielen“ von München ein Blutbad, 1976 boykottierte Schwarzafrika, und Montreal erlebte ein finanzielles Debakel, von dem es sich bis heute nicht erholt hat. Ähnlich ging es Grenoble mit den Winterspielen 1968, und die von 1976 mußten gar kurzfristig nach Innsbruck vergeben werden, weil der Bevölkerung von Denver angesichts der Kosten die Lust vergangen war. Dann folgte die Boykott-Olympiade von Moskau, und der Gegenboykott von Los Angeles 1984 war absehbar.

Doch mit dem francophilen Bankier aus Katalonien wurde alles anders. Dabei kam Samaranch zunächst das Glück zu Hilfe. Los Angeles entpuppte sich dank hervorragender Voraussetzungen und nicht zuletzt der Gratisarbeit von 100.000 Volunteers als Milliardengeschäft und weckte die Begehrlichkeit der Wirtschaft und der Metropolen, die plötzlich Schlange nach Olympia standen – während L.A. die Spiele noch vor allem deshalb bekommen hatte, weil sie sonst niemand wollte. Die hemmungslose Vermarktung der fünf Ringe unter der Ägide Samaranchs machte die Spiele zu einem der größten Wirtschaftsunternehmen der Welt, so gigantisch und aufgebläht, daß sie keiner Stadt mehr zuzumuten sind. Sogar Samaranch hat dies angesichts der malträtierten Bergwelt rund um Albertville zumindest in Hinblick auf die Winterspiele eingesehen und vorgeschlagen, diese an verschiedenen Orten abzuhalten.

Selbst in Barcelona mit seinem relativ vernünftigen Konzept hat sich die Olympiabegeisterung angesichts der ins Uferlose gestiegenen Lebenshaltungskosten, der erhöhten Steuern und der ungenutzt vor sich hinrottenden Olympiaanlagen längst in einen Katzenjammer verwandelt. Und auch in Atlanta, dem nächsten Austragungsort, ist die Vorfreude auf einen saftigen Reibach inzwischen der bangen Hoffnung gewichen, nicht zu viel draufzahlen zu müssen.

Nichtsdestotrotz, das Beispiel Berlin zeigt, daß es noch genügend unvernünftige Stadtverwaltungen gibt, die sich von Olympia Manna und Ambrosia erhoffen. Und solange das so ist, bleibt das IOC die sportliche Weltregierung. Die 84 Männer und 7 Frauen, Durchschnittsalter: 63, sind zu den hofiertesten Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft geworden. Sie werden von einem Ende des Erdballs zum anderen gereicht, mit Orden behängt, mit Champagner traktiert, von Polizeieskorten in ihre Luxussuiten gekarrt und sind allenthalben direkten und indirekten Bestechungsversuchen ausgesetzt. Die Zahl der schwarzen Schafe ist ungewiß, gewiß ist, daß es sich um das teuerste Stimmvieh der Welt handelt.

Doch was genau ist eigentlich ein IOC-Funktionär? Ist er tatsächlich jenes dem Mammon, dem Alkohol und der Weiblichkeit zugewandte Geschöpf, für das ihn die meisten Kandidatenstädte halten: wankelmütig, leicht zu beeinflussen und schwer korrupt? Oder handelt es sich um einen knochentrockenen Analytiker, der mit Akribie Bewerbungsschriften liest, Wirtschaftskonzepte abwägt und nüchtern seine Entscheidung fällt? Ist er ein Machtmensch, der die Fäden seiner Funktionärskarriere fest in der Hand hält, Seilschaften knüpft und nach reiner sportpolitischer Opportunität handelt. Oder ist er am Ende gar ein Idealist, ein glühender Sportfan, der sich blenden läßt von einem Publikum wie dem der Stuttgarter Leichtathletik-WM, das in einem rauschhaften Taumel alle Vorurteile über die sturen Deutschen niederharmonisierte und leicht vergessen ließ, daß ein anderer rauschhafter Taumel der Deutschen die Welt vor nicht allzu langer Zeit in den Abgrund stürzte.

Keiner weiß es, am allerwenigsten jene Stadtoberen, die von der Sucht nach Olympia gepackt sind. Die Berliner beispielsweise tendierten erst zur Korruptionsvariante, versuchten dann mit optimistischen Kostenrechnungen Stimmen zu sammeln und hofften schließlich auf den Edel-Fan im Sportgewand. 1,5 Millionen Mark zahlten sie an die Stuttgarter WM- Veranstalter, um diese zur Berlinwerbung zu animieren. Daimler- Benz, IOC-Sponsor und designierter Chef-Absahner eventueller Spiele in Berlin, ging den 47 anwesenden IOC-Funktionären mit Verve um den Bart, Berlins oberster Olympiabär Eberhard Diepgen schwärmte Samaranch dreist von der angeblich begeisterten Stimmung an der Spree vor und quittierte jedes höfliche Grunzen des Oberolympiers mit einem Strahlen, als habe ihm der Herrgott persönlich auf die Schulter geklopft. Die ola von Stuttgart hat, so hofft Berlins Olympialobby, nicht nur den deutschen Rassismus aus den Köpfen geschwemmt, sondern der Bewerbung den nötigen Schub zum Sturz des favorisierten Sydney verliehen.

Die Rechnung ist jedoch ohne den Olympier, das unberechenbare Wesen gemacht, dessen Abstimmungsverhalten auch für Insider schwer vorherzusehen ist. Sicher ist nur, daß er die Einmischung von Politikern haßt und das Votum des US-Repräsentantenhauses gegen Olympische Spiele in China die Chancen Pekings eher steigen ließ. Sicher ist auch, daß er Olympiagegner nicht mag und ungern für eine Stadt stimmen wird, in der sich sein oberster Lehnsherr Samaranch nur unter massivem Polizeischutz bewegen kann. Dann wird es aber auch schon vage. Wird er nach geographischen Gesichtspunkten abstimmen oder nach seinem persönlichen Eindruck der Bewerberstädte, die ihn vermutlich alle gleichermaßen umsorgt haben? Wird er Übertragungszeiten und Vermarktungsmöglichkeiten wie im Falle Atlanta berücksichtigen oder eher nach persönlichen Loyalitäten gehen? Wie groß ist beispielsweise die Gefolgschaft des australischen IOC-Vizepräsidenten Kevan Gosper, dem man Ambitionen nachsagt, 1998 Nachfolger Samaranchs zu werden, und für den Sydney 2000 einen unschätzbaren Rückenwind darstellen würde? Wird am Ende gar die Präsentation der Kandidaten am Donnerstag in Monte Carlo den Ausschlag geben? Matti Lieske

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