Katzenjammer für die Hamburger Altparteien

■ Bürgerschaftswahlen bescheren SPD, CDU und FDP fast 20 Prozent Stimmenverluste / Jubel bei den Grünen / „Republikaner“ und die fünf Prozent

Hamburg (taz) – CDU-Kandidat Dirk Fischer flüchtete sich in Floskeln, Senatschef Henning Voscherau ließ sich zunächst überhaupt nicht im Rathaus blicken, NDR-Chefredakteur Robert Hetkämper forderte den Bürgermeister über den Bildschirm auf: „Kommen Sie zu uns.“ Hamburgs Altparteien sahen sich gestern abend vor einem Scherbenhaufen. Fast 20 Prozent Verluste für die beiden großen Parteien, die FDP hochkantig aus der Bürgerschaft geflogen.

Ein Desaster, das sich schon am Tage zuvor in einer Infas-Umfrage angedeutet hatte. Diese hatte für SPD und CDU in Hamburg einen dramatischen Kompetenzverfall auf sämtlichen Politikfeldern ausgewiesen. Eine „deutliche Quittung“, wie Hamburgs FDP-Chef Robert Vogel als erster erkannte. Eine Quittung, die sich schon 1991 mit der niedrigsten Wahlbeteiligung aller Zeiten angedeutet hatte und die gestern für Jubel bei den Grünen und dem Senkrechtstarter „Statt Partei“ sorgte. Dabei hatte Markus Wegner, Ex-CDU-Mitglied, Gründer und Spitzenkandidat der Hamburger „Statt Partei“, noch am Morgen ein ungutes Gefühl: „Alles über drei Prozent wäre ein Super-Ergebnis“, erklärte jener Mann, dessen Verfassungsklage gegen seine alte Partei die Neuwahlen erst erzwungen hatte.

Auch die zweite Siegerin des Abends, die grüne Spitzenkandidatin Krista Sager, stieß am Wahltag zunächst nicht ins Optimismus- Horn, sondern versuchte den Vorwahloptimismus ihrer ParteifreundInnen zu dämpfen, denen die Meinungsumfragen im Vorfeld der Wahl bis zu 15 Prozent prognostiziert hatten. Wenn es denn überhaupt zweistellig werde, meinte Sager, dann sei sie schon zufrieden.

Am Abend war sie dann sehr, sehr zufrieden. Die Grünen bei 14 Prozent, Krista Sager am Ziel. „Klar sind wir das“, beantwortete die Spitzenkandidatin der GAL die Frage nach dem künftigen Koalitionspartner der SPD. Und fast vorfreudig kündigte sie Hamburgs SPD-Vorsitzendem Helmuth Frahm „harte Koalitionsverhandlungen“ an. Frahm ließ sich gestern noch kein Wort entlocken. Das schlechteste Wahlergebnis seiner Partei nach dem Krieg hatte ihn sichtlich mitgenommen.

Dabei waren gerade jene PolitikerInnen optimistisch in diesen Wahltag gestartet, die am Abend ziemlich bedröppelt dastanden. CDU-Spitzenkandidat Dirk Fischer bemühte sich trotz der desolaten Wahlprognosen für seine Partei, locker zu bleiben, scherzte mit den Wahlhelfern, „daß sie jetzt nur nicht die Urne umschmeißen“, und setzte seine Hoffnung auf Petrus. Der erste Sonnentag seit Wochen an der Elbe werde „bestimmt zu einem positiven Wahlergebnis“ beitragen.

Bürgermeister Henning Voscherau hatte alle Bedenken vorerst verdrängt. Aufgeräumt berichtete der Senatschef den Reportern in seinem Wellingsbütteler Wahllokal von einem Privatbesuch in seiner alten Studienstadt Marburg am Tag vor der Wahl. Schon um 5.30 Uhr sei er aufgestanden, um ja seine Stimme pünktlich abgeben zu können. Das böse Erwachen kam spätestens mit der ZDF- Hochrechnung um 18.40 Uhr. Minus acht Prozent. Da läßt man sich schon mal etwas Zeit auf dem Weg zurück ins Rathaus. Für das Zögern Voscheraus auch verantwortlich: die Zitterpartie gegen Rechts. Sah es zunächst so aus, daß DVU und „Republikaner“ beide klar nicht im Parlament sitzen würden, pendelten die „Republikaner“ bis zum späten Abend zwischen 4,9 und 5,1 Prozent. Rund 2.000 Menschen demonstrierten am Abend gegen den Stimmenzuwachs der Rechtsradikalen in der Hansestadt.

Sollten sie es nicht geschafft haben, dürfte das an der gegenüber 1991 deutlich höheren Wahlbeteiligung liegen. Den ganzen Tag über meldeten Rundfunksender, daß die Nichtwählerquote nach den ersten Trends doch nicht ganz so hoch liegen würde wie bei den Hamburg-Wahlen 1991: „...48,8 schon um 14 Uhr...“, „um 17 Uhr schon so hoch wie vor zwei Jahren“. Damals hatten nur 66 Prozent der WählerInnen ein Kreuzchen gemacht. Knapp 70 Prozent waren es gestern.