: Der Ruf nach dem Umzug wird lauter
■ Berliner Politiker nach dem Nein zur Olympia-Bewerbung: Schneller Regierungsumzug gefordert / CDU gibt Anti-Olympia-Bewegung Mitschuld am Votum des IOC / Keine Auswirkung auf Immobilienmarkt
Die Bewerbung Berlins um die Olympischen Spiele im Jahr 2000 hat sich nach Ansicht des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen trotz der Niederlage gelohnt. Nach seiner Rückkehr aus Monte Carlo sagte er gestern: „Für die PR-Werte Berlins, auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung, ist viel erreicht worden. In der Stadt wird kein Loch entstehen.“
Die meisten der geplanten Projekte sollten weiter vorangetrieben werden. Möglicherweise werde aber der eine oder andere Bau etwas später als geplant fertiggestellt, da nun der Termindruck weggefallen sei. Die Schubkraft der Olympiabewerbung wolle der Senat aber nutzen. Es sei noch zu früh, eine Entscheidung über eine erneute Bewerbung für die Spiele im Jahr 2004 zu treffen, sagte Diepgen. Obendrein hat er den militanten Olympia-Gegnern die Mitschuld an der Niederlage Berlins in Monte Carlo gegeben. „Die kriminelle Opposition, nicht die demokratische, hat der Berliner Bewerbung um die Olympischen Spiele im Jahr 2000 geschadet“, sagte Diepgen.
Das Scheitern der Berliner Olympia-Bewerbung hat den Ruf nach einem schnellen Umzug von Bundesregierung und Parlament lauter werden lassen. Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) forderte dafür ein klares Datum. Nach der Olympia-Entscheidung für Sydney erwartet auch die Bundesregierung eine erneute Belebung der Debatte über den Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin, sagte Regierungssprecher Dieter Vogel in Bonn, ohne aber Konsequenzen zu nennen. Der Umzug von Bundesregierung und Bundestag ist auch für den CDU-Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus, Klaus Landowsky, noch aktueller und dringlicher. Die Nichtnominierung Berlins erhöhe die Verantwortung in Bonn, die Umzugsentscheidung zu beschleunigen. Die Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg drängt ebenfalls energisch auf einen Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin im Jahr 1998. Berlin brauche mehr denn je Planungssicherheit. Das schlechte Abschneiden Berlins führte Landowsky auf die nicht ausreichende Unterstützung der Bevölkerung, aber auch die aggressive und gewalttätige Anti- Olympia-Bewegung zurück.
Der SPD-Fraktions- und Parteivorsitzende Ditmar Staffelt nannte die Niederlage in Monte Carlo einen „Rückschlag für Berlin, aber keine Katastrophe“.
Mit Erleichterung nahm der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse die Ablehnung Berlins als Olympia-Stadt 2000 auf. Thierse sagte, von Anfang an habe er gesehen, welche Belastungen mit einem Zuschlag verbunden sein könnten und welche Antipathien Berlin dadurch auf sich gezogen hätte. In Zeiten der Spaltung, als die Idee für Berlin als Olympia-Stadt geboren wurde, habe dies etwas Faszinierendes gehabt. Doch die Zeiten hätten sich geändert: „Inzwischen ist Berlin die ärmste Großstadt Deutschlands mit riesigen finanziellen und sozialen Problemen“.
Das Bündnis 90/ Grüne forderte einen Baustopp für alle Olympiabauten. Die Olympia-Kosten müßten eingespart werden, um die für 1994 geplante Nettoneuverschuldung von 7,4 Milliarden Mark herunterzufahren, forderte der Fraktionschef von Bündnis 90/ Grüne, Wolfgang Wieland. Investitionen sollten dem Breiten- und Schulsport sowie der Verbesserung der Infrastruktur im Interesse der Bürger zugute kommen.
Die FDP-Landes- und Fraktionsvorsitzende Carola von Braun kritisierte, daß es versäumt worden sei, für die Bewerbung eine breite Zustimmung zu erreichen. Auch sie wies den Olympia-Gegnern Verantwortung für das Scheitern Berlins zu. Sie warf dem Bündnis 90/ Grüne vor, mit einer Distanzlosigkeit zu Brandstiftern und Bombenlegern dem Ansehen Berlins geschadet zu haben. Besorgniserregend seien aber auch die wenigen Stimmen, die Berlin bei der IOC-Abstimmung erhalten habe. Terroranschläge von rechts, Ausländerfeindlichkeit und neonazistische Parolen hätten dem Ansehen Deutschlands schweren Schaden zugefügt.
Wie die Grünen will auch die PDS einen sofortigen Planungs- und Baustopp. Die riesigen Baugruben am ehemaligen Stadion der Weltjugend seien „ein Denkmal für die olympische Verschwendungssucht des Berliner Senats“, erklärte der PDS-Abgeordnete Harald Wolf. Er forderte die Umschichtung der eingesparten Gelder zugunsten von Sportanlagensanierung, dem Neubau von Schulen und Kitas, der behutsamen Stadterneuerung zu bezahlbaren Mieten und dem Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs.
Berlin hat durch die Olympia- Absage die große Chance, mit einer umweltfreundlichen Stadtentwicklung für das nächste Jahrtausend zu beginnen. Die Spiele wären zu einer unerträglichen Belastungsprobe für die Stadt geworden, sagt der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Wichtige Biotope bleiben nun erhalten. So sei das Naturschutzgebiet „Fließwiese“ in Ruhleben vor der Zerstörung bewahrt worden. Mit den gesparten Millionen für den Olympia-Expreß könnten jetzt Straßenbahnen gebaut werden.
Im Haus der Olympia GmbH, vor dem ebenfalls noch müde das weiße Tuch mit den fünf Ringen weht, rangieren die Mitarbeiter zwischen beherrschter Enttäuschung und geübter Gelassenheit. Es herrsche kein Katzenjammer und die Büros seien nicht mit Tränen geflutet, verlautete aus dem Pressebüro. Die Gesellschaft werde nun aufgelöst, beruhigt der Geschäftsführer der Olympia 2000 GmbH, Axel Nawrocki, den Fuß noch an der fernen Cote d'Azure. Eine Reihe von Verträgen laufe Ende September aus, andere erst Ende des Jahres, bestätigt er entsprechende Zeitungsberichte.
Die Absage hat nach Expertenmeinung keine Auswirkungen auf den Immobilienmarkt in der Stadt. Die Preise für Grundstücke oder Büroräume würden davon nicht beeinflußt. Olympia sei nicht der alles entscheidende Faktor. Mehr Einfluß habe die anstehende Entscheidung zum definitiven Umzugstermin der Regierung.
Enttäuschung herrschte in Brandenburg. Olympia 2000 hätte der Region Berlin-Brandenburg gutgetan, hätte Impulse für den Aufschwung und das Zusammenwachsen gegeben, erklärte Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD). „Jetzt erst recht müssen wir auf einen schnellen Umzug der Regierung nach Berlin dringen; jetzt erst recht brauchen wir den Zusammenschluß der beiden Länder Berlin und Brandenburg.“ dpa/AP/AFP/taz
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