■ Die Wiederkehr der Universalpflanze Hanf
: Mutter Erdes stärkster Stoff

Interview mit Mathias Bröckers über ein ungewöhnliches Buchprojekt:

Wahrheit: Du hast gerade ein Buch herausgegeben, „Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf, Cannabis, Marihuana“, das schon vor Erscheinen für Aufregung sorgt, in der Presse und bei Papierherstellern.

Bröckers: In der Presse gab's eigentlich nur einen Vorab-Verriß in der Zeit, da hat jemand mal kurz das amerikanische Original von Jack Herer überflogen und dann von oben herab konstatiert, das alles sei nur ein neuer Trick alter Hippies, die ihr Dope legalisieren wollen und behaupten, es sei eine ideale Nutzpflanze. Daß solche Dünnbrett-Argumente kommen, wußten wir aber schon vorher und haben deshalb vom Kölner Umwelt- Institut „Katalyse“ ein Gutachten erstellen lassen, das das Potential des Hanfs mit anderen Nutzpflanzen vergleicht und zu einem Ergebnis kommt, das die Thesen des Buchs klar bestätigt. Von daher war das mit der Aufregung in der Presse nur journalistische Schlamperei, beim Papier aber war sie echt. Dies ist nämlich das erste Buch seit über hundert Jahren, das in Deutschland wieder auf Hanf-Papier gedruckt wird.

Das heißt, ich kann es rauchen...

Auf keinen Fall, du rauchst doch auch kein Hanfseil, kein Segeltuch, und kein Leinen oder deine Jeans. Die ersten Levi's waren nicht aus Baumwolle, sondern aus Hanf, wie tausend andere Dinge damals. Daß man ab 1850 dazu überging, aus Holz Papier zu machen, ermöglichten neue Maschinen, und der Fortschritt der Chemie – davor bildeten Hanffasern den wichtigsten Rohstoff für Papier. Dank ihrer natürlichen Haftfähigkeit hielten sie ohne chemische Leimung zusammen – deshalb blättert sich die 500 Jahre alte Gutenberg-Bibel aus Hanfpapier noch heute wie am ersten Tag, während die ab 1850 hergestellten ätzenden Holzpapiere in den Bibliotheken zu Staub zerfallen.

Wo kommt das Papier für dieses Buch her, Hanfanbau in Deutschland ist doch verboten.

Das Papier wurde aus spanischem Hanf hergestellt. In Spanien ist der Anbau erlaubt und der Hanf wird dort zu Zellstoff verarbeitet. Als Lutz Kroth von Zweitausendeins vor ein paar Monaten bei seinem Papierhändler Hanfpapier bestellte, fühlte der ihm erst mal quasi an den Kopf: so was hatte man da noch nie gehört. Wir wußten aber einen Hersteller in China, doch der konnte nicht rechtzeitig liefern, deshalb wurde das Papier aus 50 Prozent Cannabis und 50 Prozent Altpapier dann in einer deutschen Papierfabrik produziert.

Warum nicht 100 Prozent Cannabis?

Weil das ein viel zu gutes Papier für ein Buch wäre, so hochwertig wie Banknotenpapier, das in einigen Ländern heute noch aus Hanf gemacht wird.

Jack Herers These ist, daß die „Marihuana“-Kamapagne, mit der von USA ausgehend die Pflanze weltweit seit den 30er Jahren diskriminiert wurde, nur ein Vorwand war, um die Nutzpflanze Hanf auszuschalten.

Ja, in den 10er und 20er Jahren waren neue Maschinen entwickelt worden, die den Hanf als Rohstoff plötzlich wieder interessant machten. Bis dahin waren die 4 bis 5 Meter hohen Pflanzen sehr schwer zu ernten gewesen, und die Gewinnung der Fasern war ziemlich aufwendig – das alles wurde jetzt ganz wesentlich erleichtert. Zudem hatten Experimente des US-Landwirtschaftsministeriums gezeigt, daß der bei der Fasergewinnung entstehende hölzerne Abfall der Stengel ein idealer Papierrohstoff ist: Ein Hanffeld brachte viermal soviel Papier wie ein gleich großer Wald, und zu seiner Verarbeitung und Bleichung war sehr viel weniger Chemie nötig war als für Holzpapier. Der Zellulosereichtum des Hanfs machte ihn außerdem als Lieferant von Kunststoffen interessant und Henry Ford experimentierte damit für die Automobil-Produktion. Er entwickelte „das Auto, das vom Acker wuchs“, die Karosse bestand aus Hanf-Kunststoff, betankt wurde es mit Hanf-Öl...

Auf der gerade beendeten Autoausstellung wäre ein solches Pflanzen-Auto die Sensation gewesen...

Henry Ford präsentierte dieses Hanf-Auto schon 1941! Aber da war es bereits zu spät, eine Seilschaft von Öl-und Chemiemagnaten sowie des Holzpapierfabrikanten und Medienzars Hearst hatten 1937 ein „Marihuana“-Gesetz durchgepaukt, das den Hanfanbau schlagartig zum Erliegen brachte. Mit einer Kamapagne – „Marihuana, Mörder der Jugend“ –, die in der Geschichte der Horror-Propaganda ihresgleichen sucht und bis heute nachwirkt. Jedes Kind kennt mittlerweile Marihuana, aber kein Mensch weiß mehr, was Hanf ist. Historisch war er von der Steinzeit an der universale Bio-Rohstoff der Zivilisation, er lieferte Kleidung, Nahrung und Medizin, Seile und Segel, Brennstoff und Papier. Die berauschende Wirkung seiner Blätter und Blüten war von Anfang an bekannt, ein Drogenproblem damit gab es aber nicht.

Noch bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts rauchten die Bauern in Deutschland abends ihren „Knaster“ als billigen Tabakersatz...

Na klar, und wenn du ihnen erzählt hättest, das sei ein gefährliches Rauschgift, hätten sie dich ausgelacht. Es war doch nur der gute alte Hanf, den sie da ins Pfeifchen stopften. Ein „Problem“ gibt es mit der Rauschwirkung der Pflanze erst, als diese irrwitzige Prohibitions-Kampagne in USA losgeht, die das vergleichsweise harmlose Kraut plötzlich zum gefährlichsten Rauschgift überhaupt stilisiert. Wie die Alkohol-Prohibition dafür sorgte, daß in Amerika soviel gesoffen wurde wie nie zuvor, hat die Hanf-Prohibtion erreicht, daß Cannabis zum weitest verbreiteten illegalen Genußmittel der Welt wurde – und als Nutzpflanze nahezu ausgestorben ist.

Glaubst Du wirklich, daß die Wiedereinführung des Hanfanbaus den „Planeten retten“ kann, wie es das Buch behauptet.

Natürlich sind die ökologischen Probleme so komplex, daß sie nicht mit einer einzigen Maßnahme allein gelöst werden können, aber es gibt keine andere Pflanze, die so einfach anzubauen, so optimal nutzbar ist und derart hohe Erträge abwirft wie Cannabis. Sie wächst in 100 Tagen über vier Meter hoch, erledigt Schädlinge von selbst, muß nicht gespritzt werden und verbessert die Böden. Würde nur ein Fünftel der in der EG brachliegenden Fläche im nächsten Frühjahr mit Hanf bepflanzt, könnte allein das aus den Samen gepreßte Öl den gesamten deutschen Dieselbedarf decken...

Und die Dorfjugend täte sich überall in den Feldern gütlich...

Seit den 60er Jahren wurden THC-arme Hanfsorten gezüchtet, von denen du schon einen ganzen Sack rauchen mußt, bevor's ein bißchen kitzelt, also echtes Matratzengras; doch selbst der Anbau solcher Sorten wird vom Bundesgesundheitsamt nicht genehmigt. Ich hoffe, daß wir mit diesem Buch die Enthysterisierung der Cannabis- Debatte einleiten können, weil nach 50 Jahren dämonisierender Desinformation jetzt endlich die Fakten über Hanf vorliegen.

Mit Enthysterisierung meinst du die Legalisierung von Cannabis ?

Es geht um zwei Dinge: zum einen um die Abrüstung eines sinnlosen, längst verlorenen Drogenkriegs, und zum andern um den Stopp jenes Kriegs gegen die Natur, den wir mit Kettensägen und chemischen Giftmüll täglich weiterführen. Insofern kann die Parole nur lauten: Drogen-Schwerter zu Hanf-Pflugscharen. Konversion also. Wir müssen es schaffen, die milliardenschwere Hanf-Verfolgungsindustrie des internationalen Drogenkriegs in die globale Hanf- Industrie des 21. Jahrhunderts zu verwandeln. Hanf ist Mutter Erdes stärkster Stoff, die nützlichste Pflanze der Welt, und sie wächst auf jedem Acker. Für jede Tonne Papier aus Hanf können 12 ehrwürdige Bäume stehen bleiben. Wenn Cannabis als Nutzpflanze wieder selbstverständlich wird und die taz auf baumfreiem brandenburgischem Hanf-Papier erscheint, wird sich das „Drogenproblem“ mit dieser Pflanze wie von selbst lösen: Es ist ein hausgemachtes Kind der Prohibtion. Interview: Karl Wegmann

Verlag Zweitausendeins, 463 Seiten, 30 DM