: Neun für die Bären-Riege
Gelbe Bären mutierten zu schwarzen Petern – Berlins regierender Olympionike Diepgen: „Irgendwann einmal nachdenken.“ ■ Aus Monte Carlo Cornelia Heim
Monte Carlo (taz) – Gerade einmal neun Stimmen schenkten die 89 IOCler Berlin. Nur Istanbul war mit sieben Stimmen schlechter bedient. Von Anfang an gestaltete sich die Wahl der Olympia-Stadt 2.000 als ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Favoriten Sydney und Peking. Bis zur dritten Runde lag die chinesische Hauptstadt mal drei, mal sieben Stimmen vor Australien. Daß die Macht des Geldes dennoch nicht obsiegte, ist wohl nur dem besonderen IOC- Wahl-Procedere und der Konstellation im dritten Wahlgang zu verdanken: Peking 40, Sydney 37 und Manchester elf Stimmen. Es polarisierte sich – Kapital kontra Ökologie. Der Ökofraktion mag zwar auch die politisch zweifelhaften Implikationen, im Falle eines Zuschlags für das Reich der Mitte, zugute gekommen sein. Aber den Ausschlag gab wohl die Solidarität unter den beiden Bewerbern aus dem Commonwealth: Acht der elf anglophilen IOC- Stimmen wanderten in Richtung Australien. Peking bekam 43, Sydney 45.
Für die Olympische Bewegung eine weise, vielleicht auch richtungsweisende Entscheidung. An der Schwelle ins neue Jahrtausend sind Zeichen gefragt. Und der hautkrebsgeplagte Kontinent Australien, der sich natürlich nicht nur aus reiner Liebe zur Natur mit Greenpeace verbunden hat, ist zumindest in der Lage, Weltspiele mit eine Botschaft zu verknüpfen, die über den reinen sportlichen Wettkampf hinausreicht. Paul Guilding, Exekutivchef von Greenpeace International, benannte den Inhalt der Mission: „We rebuilt Sydney and on this model we are hopefully going zu rebuilt the world.“
Was bleibt für Berlin? Ein blamables Ergebnis. Und ein erheblicher Gesichtsverlust. Zumal, wenn man, wie es die Bärchen-Riege tolpatschig getan hat, bis zur letzten Minute so auftritt, als ob man die Spiele bereits in der Tasche gehabt hätte. Aber, keine Sorge um den Zustand des Regierenden Bürgermeisters. Er ist auch angesichts der niederschmetternden Niederlage der Gabe, die Dinge schön zu färben, nicht abspenstig geworden. Außer den beiden Deutschen IOC-Mitgliedern Bach und Tröger setzten gerade einmal sieben weitere Herren der Ringe auf Berlin. Vermutlich, so sagen die Auguren, haben sich nur die ehemaligen GUSler für das Berliner Motto – Mittler zwischen Ost und West – erwärmen können. Diepgen behauptet tapfer, man habe dennoch mehr Freunde im internationalen Sport als es das Resultat besagen mag. Es sei nun einmal nicht die „Stunde der Europäer“ gewesen. Erst auf hartnäckiges Nachfragen ließ sich Diepgen zu Andeutungen hinreißen. „Ich bin doch nicht so blöde, hier zu behaupten, es seien keine Fehler gemacht worden.“
Punkt eins: Düsseldorf sowie der Inititiativ-Verband Ruhr haben bereits vor Monte Carlo ihr nachhaltiges Interesse für die Austragung der Spiele im Jahr 2.004 bekundet. Und selbiges, Minuten nachdem Juan Antonio Samaranch den Gewinner am Donnerstagabend benannte, noch einmal bekräftigt. Diepgen bat um Nachsicht, daß ihm zu später Stunde und nach einem solchen nervenaufreibendem Tag, das nötige diplomatische Geschick abhanden gekommen sei, um diese Form der Solidarität der Städte gewohnt rhetorisch, sprich unergiebig, zu kommentieren. Kurz, Berlin stand eigentlich allein auf weiter Flur. Denn auch im Süden gibt es Anzeichen, daß einige das Debakel mit Genugtuung verfolgt haben dürften. Beispielsweise Herr Vögele, Direktor der Stuttgarter Messegesellschaft. Dieser dürfte bereits in den Startlöchern sitzen. Andererseits ist zu befürchten, daß die Berliner Bären im Fürstentum trampelhaft soviel Porzellan zerdeppert haben, so daß es für jeden zukünftigen deutschen Olympia-Interessenten sehr schwer werden dürfte, diese Scherben erfolgreich zu kitten.
Aber nicht nur auf kommunaler Ebene war der Zuspruch Berlins mehr als dürftig. Auch die hohe Politik hat sich dezent ausgeklammert. Richard von Weizsäcker, eigentlich ein dem Sport geneigter Mann, war zweifelsohne gut beraten, sein diplomatisches Gewicht nicht in die Waagschale zu werfen. Und Helmut Kohl, der, wie man weiß, ansonsten keine Gelegenheit auszulassen pflegt, Geschichte zu schreiben, hat in Berlins Fall den Griffel überhaupt nicht angefaßt. FDP-Mann Thomas Bach, dem man sehr gute Kontakte zur großen Politik, beispielsweise zu Außenminister Klaus Kinkel nachsagt, könnte den entscheidenden Hinweis im Vorfeld gegeben haben, daß dieses eine Mal kanzlerische Zurückhaltung angeraten wäre.
Die gelben Bären haben uns einen echten Olympia-Bären aufgebunden. Punkt zwei: Auch die Beziehung im deutschen Sport war und ist wohl nicht inniglich. Diepgen wollte über diesen Punkt „irgendwann einmal nachdenken“. Die Rolle, welche die Deutschen im internationalen Sport spielen, scheint jedenfalls bei weitem kleiner, als es uns Walther Tröger, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), und Thomas Bach glauben machen wollten. Manfred von Richthofen, Vizepräsident des Deutschen Sportbundes, versprach jedenfalls noch am Donnerstag: „Nach der Wahl werde ich einige Gründe für diesen Einbruch benennen.“ Und setzte nach: „Worauf sie sich verlassen können.“ Wie schön.
Alle suchen nach dem Schwarzen Peter. Verloren haben viele. So, Punkt drei, auch Daimler- Benz. Millionen wurden vom Unternehmen aus dem Schwabenland in das Unternehmen Berlin 2.000 gesteckt: neun Stimmen geteilt durch einige Milliönchen, macht in der Summe ein gigantisches Verlustgeschäft. Und die Frage drängt sich auf, ob es nicht von Anfang an vermessen war, selbst als Konzern von Welt, gegen die geballte Manpower der chinesischen Drachen ins Rennen zu gehen?
Punkt vier betrifft die Interpretation des Deutschlandbildes. Eberhard Diepgen behauptet nach wie vor, Berlin und die Bundesrepublik hätten durch diese Bewerbung gewonnen. Man habe die Chance ergriffen, sich der Welt in neuem Lichte darzustellen: „vielfältig, grün, freundlich.“ Geschadet hätten lediglich die Proteste der Olympiagegner. Einspruch, Euer Ehren. Mölln und Solingen, Fremdenhaß, Rassismus, das Erstarken der Rechtsradikaeln und die Ausländerfeindlichkeit, das sind die Züge des „neuen“ Deutschen, welche auf internationalem Parkett Bauchgrimmen hervorrufen. Genauso gefühllos wie Diepgen die Sorge eines französischen Journalisten vor einem „zu starken Deutschland“ mit dem Hinweis aus der Welt schaffte, es sei hier nicht der Zeitpunkt für Emotionen, sondern für Fakten, genauso instinktlos hat man die Beschäftigung mit dem wirklichen und dem vergangenen Deutschland gemieden wie der Teufel das Weihwasser.
So gesehen, muß man dem oft gescholtenen IOC zu diesem Votum gratulieren. Ein Denkzettel zur rechten Zeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen