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Bodybuilding statt Radiobasteln

■ Das Waller Jugendfreizeitheim wird 40 Jahre alt / Vom Vereinsheim zum offenen Treff

Tischtennis wurde schon immer im Waller Freizi gespielt, doch von Selbstverteidigung für Mädchen und Bodybuilding haben die Jugendlichen bei der Eröffnung des Jugendfreizietheims 1953 sicher nicht einmal geträumt. Damals bot das Haus allerlei Verbänden Räume - von den Volkstanzgruppen bis zu den Pfadfindern —, heute wendet sich die Einrichtung an alle Kinder und Jugendlichen im Stadtteil.

So sehr viel hat sich eigentlich nicht in den 40 Jahren geändert, meinen die vier heutigen MitarbeiterInnen. Sicher, es gibt weniger feste Angebote, Vereine spielen keine Rolle mehr. Aber damals wie heute gab es einmal wöchentlich Disco, zunächst „Tanzabend“ geheißen. Immer mal wieder versuchen bestimmte Gruppen, das Freizi als „ihr“ Haus anzusehen und andere hinauszudrängen — in den 70ern etwa diverse Motorradclubs. Eine pädagogische Neuerung jedoch Anfang der 80erJahre zuzeiten der hohen Jugendarbeitslosigkeit: Das Freizi ist seitdem nicht mehr nur Freizeittreffpunkt, sondern bietet die Möglichkeit, den Hauptschulabschluß nachzuholen.

Neu auch die Arbeit mit Mädchen. Zwar hatte es schon in den 50er Jahren spezielle Angebote für Mädchen gegeben wie etwa die Handarbeitskurse, später die Mädchengymnastik, doch zu den heutigen Selbstverteidigungsgruppen, dem eigenen Mädchenraum, ja dem Mädchentag, an dem die Jungs keinen Zutritt haben und die Mädchen ungestört flippern und kickern können, war es noch ein langer Weg.

Schon recht bald nach der Eröffnung durften die Jugendlichen mitbestimmen — das Ausmaß hing jedoch immer von der jeweiligen Gruppenzusammensetzung ab. So gab es immer wieder Phasen, in denen eine verantwortungsvolle Gruppe das Freizi am Wochenende ohne Betreuung öffnen durfte. Auch mit dem politischen Interesse scheint es derzeit nicht so weit her zu sein: „Es wird unheimlich viel konsumiert zur Zeit“, sagt Jutta Geschwander. Flippern, Disco, sich Musik reinziehen — nur beim Bodybuilding werden die meisten so richtig aktiv. In den 70er Jahren hingegen hatten sich einige brennend interessiert für die antifaschistische Geschichte des Stadtteils, in den 80ern für die Friedensbewegung.

Ein bißchen desinteressierter sind sie vielleicht, die heutigen BesucherInnen, jedoch nicht gewalttätiger. Da hat Sozialarbeiter Ernst Schütte schon ganz andere Zeiten erlebt: Damals in den 80ern etwa, als all die arbeitslosen Jugendlichen im Freizi "rumhingen" und aus Frust soffen. Auch mit rechten Jugendlichen habe man derzeit keine Probleme: Rund 70 Prozent der BesucherInnen sind türkischer Herkunft, da traue sich nur selten ein Rechter her. „Im Moment ist es schon ein bißchen heile Welt hier“, meint denn auch Claudia Leers, aber nach der wochenlangen Besetzung es Hauses im vergangenen Jahr, als eine Stelle gestrichen werden sollte, habe man ein bißchen Ruhe nötig.

Vollkommen ist die Freizi- Welt dennoch noch lange nicht: Dringlichster Wunsch der Jugendlichen seit Jahrzehnten ist die Wochenendöffnung. Dringlichster Wunsch der MitarbeiterInnen: Daß die präventive Arbeit der 19 Bremer Freizis endlich mal anerkannt werde und nicht alle paar Jahre wieder die Sparschere daherkomme — auch jetzt wieder stehen fünf Stellen in diesem Bereich auf der Sparliste. „In Krisenzeiten wird gern auf die Freizis zurückgegriffen, dann sollen wir Auffanglager für alle möglichen Krisenphänomene sein — Stellenstreichungen erleichtern diese Arbeit nicht gerade“, sagen die SozialarbeiterInnen.

cis

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