„Sie wollen die Wende mit der Brechstange“

■ Interview mit Klaus Lang, Tarifexperte der IG Metall, zur Kündigung der Tarifverträge

taz: Herr Lang, hat die Kündigung der Tarifverträge durch die Arbeitgeber die IGM überrascht?

Klaus Lang: Wir haben mit einer harten Tarifauseinandersetzung gerechnet, aber daß die Metallarbeitgeber in Westdeutschland den tarifpolitischen Katastrophenkurs fortsetzen würden, den sie Anfang des Jahres in Ostdeutschland begonnen haben, dies kam schon überraschend. Sicher, die vorzeitige und provokative Kündigung der Tarifverträge ist nicht rechtswidrig, aber es handelt sich um einen einmaligen Fall in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Das Signal ist eindeutig: Es geht den Arbeitgebern darum, die tarifpolitische Wende wider alle Vernunft mit der Brechstange durchzusetzen. Dabei nehmen sie offenkundig eine Verschärfung der Krise und den Konflikt mit der IG Metall und den Belegschaften bewußt in Kauf.

Die Metallarbeitgeber sprechen von „zum Teil dramatischen Verlusten“ in ihrer Branche. Wird hier bewußt schwarzgemalt?

Der Metall- und Elektroindustrie geht es sicherlich nicht gut, aber festzuhalten gilt auch, daß eine Volkswirtschaft, die im vergangenen Jahr hinter den Japanern noch Vizeweltmeister bei den Exporten war, nicht so am Rande des Abgrundes steht, wie uns das die Metallarbeitgeberverbände weismachen wollen. Es kommt hinzu, daß es sich bei den Schwierigkeiten in der Metall- und Elektrobranche um eine Absatzkrise handelt. Wer in dieser Situation die Nachfrage durch Lohn- und Gehaltskürzungen weiter einschränken will, verstärkt die Krise. Das käme dem Versuch gleich, einen Verhungernden durch den Entzug von Essen zum Leben erwecken zu wollen.

Auch die IG Metall weiß, daß einzelne Unternehmen schwere Verluste machen. Wie kann die Gewerkschaft kurzfristig darauf reagieren?

Also zunächst einmal muß man ja sehen, daß die Unternehmen ihre Belegschaften dann nicht beteiligen, wenn sie Extragewinne machen. Vor zwei Jahren hat die Bundesbank festgestellt, daß die Industrieunternehmen in der Bundesrepublik über flüssige Mittel in Höhe von 670 Milliarden DM verfügen. Es wäre vielleicht auch die Aufgabe einer vorrausschauenden Unternehmenspolitik gewesen, in dieser Zeit Zukunftsvorsorge zu betreiben. Zum anderen gibt es ja über die Tarifvereinbarungen hinaus in den Betrieben übertarifliche Leistungen. Diese werden in den Betrieben schon jetzt tagtäglich abgebaut. Für viele Belegschaften gibt es deshalb schon in diesem Jahr eine reale Nullrunde bei den Einkommen. Auf diesem Hintergrund jetzt auch noch das tarifliche Fundament zu senken, wäre völlig unakzeptabel.

Bedarf es in der Metallindustrie eine Kostenentlastung oder nicht?

Das Wichtigste ist eine Absatzverbesserung. Darüber hinaus ist der Weg, Kostenentlastungen über Personal- und Sozialabbau zu realisieren, absolut falsch. Mit der IG Metall und den Betriebsräten kann man aber über eine verbesserte Arbeits- und Betriebsorganisation reden, mit denen langfristig die Produktivität gesteigert werden kann.

Gehören dazu auch flexiblere Arbeitszeitregelungen, die andere Maschinenlaufzeiten erlauben?

Unsere Tarifverträge sind in dieser Frage viel flexibler, als die Arbeitgeberverbände der Öffentlichkeit weismachen wollen. Das Problem ist doch, daß die Möglichkeiten der längeren Laufzeiten wegen der Absatzkrise nicht genutzt werden.

Das Vorgehen der Arbeitgeber hat auch einen verbandspolitischen Hintergrund. Vor allem die kleineren Unternehmen verlangen eine Wende. Sie drohen mit Austritt aus dem Verband. Es soll eine zunehmende Zahl von Unternehmen gegen, die mit ihren Betriebsräten am Tarifvertrag vorbei Bedingungen aushandeln. Hat die IG Metall einen Überblick über die Zahl der Unternehmen? Gibt es einen solchen Trend?

Es gibt solche betrieblichen Absprachen in Einzelfällen, aber wir haben darüber keine Zahlen. Daß der Metallarbeitgeberverband von den Mitgliedsfirmen kritisiert wird, hat er selbst zu verantworten. Hier rächt sich die jahrelange Politik des Verbandes, denn der hat ja immer so getan, als seien die von ihm mit unterschriebenen Tarifverträge gleichsam eine Ausgeburt des Teufels. Da darf man sich nicht wundern, wenn eines Tages die Mitglieder rebellisch werden.

Gesamtmetall spricht jetzt davon, daß die Kündigung eine „einvernehmliche Lösung“ mit der IG Metall erleichtere. Tut sie das?

Das ist eine tolle Logik. Erst nehme ich die Keule und schlage auf jemanden ein, und wenn er dann ohnmächtig ist, fordere ich ihn auf, mit mir zu reden. Wir haben ja schon vor Wochen erklärt, daß wir angesichts der Krise eine Pause im Verteilungskampf einlegen wollen. Jetzt haben die Arbeitgeber aber signalisiert, daß sie nominale Lohnsenkungen, also einen Verteilungskampf nach ihrer Lesart, wollen, und das führt natürlich zu einer Verschärfung der Auseinandersetzung.

Interview: Walter Jakobs