■ Interview mit Nafis Sadik, Direktorin des UNFPA, über Aids und das Wachstum der Weltbevölkerung: „Zutiefst zynisch und falsch“
taz: Frau Sadik, Sie sind nach Berlin gekommen, um sich hier an einen internationalen Runden Tisch zum Thema „Aids, Familienplanung und Bevölkerung“ zu setzen. In welchem Verhältnis stehen diese drei Begriffe für Sie?
Nafis Sadik: Ich werde immer wieder mit der Auffassung konfrontiert, daß Aids bald das für die Umwelt, für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung schädliche zu schnelle Bevölkerungswachstum in der Dritten Welt bremsen oder gar ganz zum Stillstand bringen werde und man sich deshalb gar nicht mehr groß für das Recht auf Familienplanung engagieren müßte. Diese Idee ist nicht nur verantwortungslos und zutiefst zynisch, sondern auch falsch. Es gibt in Uganda oder anderen von Aids sehr stark betroffenen Ländern Regionen, in denen die Bevölkerung tatsächlich abnimmt. Aber auch in Uganda wird, wenn wir das ganze Land betrachten, die Bevölkerung im Jahr 2000 deutlich größer sein als heute.
Sind die Opfer, die Aids fordert, nur wie eine Träne im Ozean?
Ja. Es sind derzeit schätzungsweise 14 Millionen Menschen HIV-infiziert, und ohne wirkungsvolle Gegenmaßnahmen könnte ihre Zahl bis auf 40 Millionen im Jahre 2000 steigen, doch beim globalen Bevölkerungswachstum geht es um ganz andere Zahlen. Die Zahl der Menschen, um die sich die Weltbevölkerung in nur zwei Monaten vermehrt, ist größer als die Zahl derjenigen, die in den neunziger Jahren an Aids sterben werden.
Im UN-System ist eigentlich die Weltgesundheitsorganisation WHO für die Bekämpfung von Aids zuständig. Mischt sich die Agentur, die Sie leiten, der „United Nations Fund for Population Activities, UNFPA“, jetzt auch dort ein?
Die WHO hat natürlich die Federführung und spielt die entscheidende Rolle. Aber wenn wir in der Dritten Welt Leute ausbilden, die wiederum andere Menschen über die Wirkungsweise von Kontrakonzeptiva aufklären, dann können diese fieldworker doch auch über die Gefahren von Aids sprechen. Die Familienplanungsprogramme sind der natürliche Rahmen für eine Offensive der Aufklärung über Aids, denn sie bringen nicht nur Informationen, sondern auch Kondome. Wir haben also die Informationsmaterialien, mit denen unsere Leute arbeiten, mit Material von der WHO erweitert.
Eines ist auch interessant: Wir stoßen bei Aufklärung über Aids bei konservativen Regierungen auf ähnliche Probleme, die wir früher bei der Durchsetzung der Familienplanung hatten. Wenn wir zum Beispiel Kondome propagieren, heißt es, wir würden die Promiskuität oder Sex bei Jugendlichen fördern. Dabei gibt es diese Phänomene ohnehin, und wir wollen nur dafür sorgen, daß die Menschen sich schützen.
Foto: UNFPA
Bringt die notwendige Bekämpfung von Aids neue Aufgaben für den UNFPA, der schon bei der Familienplanung, zumindest finanziell gesehen, nie genug hatte und tun konnte?
Die finanziellen Anforderungen sind kein Problem, denn wir machen gewissermaßen die Aids- Prävention mit, und ob jemand ein Kondom verwendet, um eine ungewollte Schwangerschaft zu vermeiden oder eine HIV-Infektion, es ist und bleibt dasselbe Kondom. Wir verwenden zusätzliche Mittel für Forschung, um über die demographischen Konsequenzen von Aids genauere Erkenntnisse zu gewinnen. Und wir geben mehr Geld für Forschung über Verhütungstechnologie aus, um neue Kontrakonzeptiva zu entwickeln, die auch vor dem Virus schützen.
Die Administration Ronald Reagans hatte mit Rücksicht auf seine moral majority die Unterstützung für UNFPA gestrichen, jetzt hat Clinton diese fundamentalistische Politik revidiert.
Wir haben dank des Kurswechsels der Clinton-Administration für 1993 14,5 Millionen US-Dollar bekommen, und für 1994 hat der Kongreß gerade 40 Millionen bewilligt. Wir hatten erst auf 50 gehofft, weil es hieß, die USA wollten der größte Unterstützer werden, welches derzeit Japan mit 46 Millionen ist. Nächstes Jahr werden wir insgesamt 280 bis 290 Millionen US-Dollar zur Verfügung haben. Ich wollte 1995 eine halbe Milliarde auftreiben und im Jahr 2000 eine, aber das wird nicht ganz hinhauen. Wir schätzen, daß es an der Jahrtausendwende 9 Milliarden US-Dollar jährlich kosten wird, um allen Menschen in den Entwicklungsländern, die Interesse an Familienplanung haben, die notwendigen Informationen und Kontrakonzeptiva zur Verfügung zu stellen.
Um dieses Geld zusammenzubekommen, müssen Sie die Regierungen der Welt davon überzeugen, daß zu schnelles Bevölkerungswachstum wirklich ein zentrales globales Problem ist.
Ja, und viele Regierungen sind sehr träge, ihre finanziellen Prioritäten zu verschieben. Ich hoffe, daß die Internationale Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung im September nächsten Jahres in Kairo eine neuen Anstoß geben wird, das Bevölkerungsproblem ernster zu nehmen. Derzeit werden 1,3 Prozent der Entwicklungshilfe für Bevölkerungsprojekte ausgegeben, wenn das drei oder vier wären, wäre schon viel gewonnen.
Die Konferenz in Kairo wird mit der großen Welt-Umweltkonferenz in Rio vergleichbar sein.
Ich hoffe, sie wird mehr bringen. Rio hat große Aufmerksamkeit erregt, aber finanziell ist nicht viel dabei rausgekommen.
Wie ist der Stand der Vorbereitung für die Kairo-Konferenz?
Das läuft bisher sehr gut. Wir hatten im Mai die zweite Vorbereitungskonferenz in New York. Regierungsvertreter und Repräsentanten von 400 Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt waren da. Es herrscht ein großer Konsens. Als nächstes wird die Generalversammlung der Vereinten Nationen darüber debattieren, und im April werden wir eine letzte Vorbereitungskonferenz haben. Bei den bisherigen Weltbevölkerungskonferenzen 1974 in Bukarest und 1984 in Mexico City gab es harte Konfrontationen zwischen Befürwortern und Gegnern der Familienplanung. Das ist vorbei. Auf der Vorbereitungskonferenz waren viele NGOs mit hervorragenden Beiträgen und Vorschlägen, besonders Frauengruppen, Frauen aus der Dritten Welt, die über das Bedürfnis von Familienplanung besonders für Frauen sprachen. Es gibt bekanntlich Kontroversen unter Frauen über bestimmte Kontrakonzeptiva wie Norplant oder Injektionen. Aber die Frauen aus der Dritten Welt sprechen jetzt für sich und werden von niemandem mehr geführt. Das freut mich sehr. Interview: Michael Sontheimer
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