: Grüner Punkt: Ende oder Wende?
■ Öko-Unfug und Pleiten-Management: Das Duale System demontiert weiter kräftig das Umweltbewußtsein der VerbraucherInnen Von Marco Carini
Hans-Jürgen Cierzon, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Duales System Hamburg (ARGE), versprüht Optimismus: „Ich glaube nicht, daß es wieder Probleme gibt“. Vergangene Woche klang das noch ganz anders: Da drohte die ARGE, die gelben Wertstoff-Säcke ab dem 1.Oktober am Straßenrand einfach stehen zu lassen, sollte die Bonner Zentrale des Dualen Systems Deutschlands (DSD) nicht endlich ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Hamburger Entsorger-Verbund nachkommen.
Denn das DSD, das im Mai jegliche Zahlungen eingestellt hatte, steht bei den Hamburger Entsorgern mittlerweile mit über 14 Millionen Mark in der Kreide. Eine Banküberweisung hat wieder ein hoffnungsfrohes Lächeln auf die Lippen von Hans-Jürgen Cierzon gezaubert. Rund 4,2 Millionen Mark, 75 Prozent des Geldes, das den Hamburger Sortierern für ihre Leistungen im September zusteht, ging am Dienstag auf das Konto der ARGE ein.
Denn Mitte vergangener Woche war man sich in Bonn einig geworden: Das DSD versprach, in Zukunft pünktlich seine Hamburger Vertragspartner zu entlohnen, und die wandelten im Gegenzug den 14 Millionen-Ausstand in ein verzinsliches Darlehen um, mit dessen Tilgung das Duale System erst beginnen muß, wenn es schwarze Zahlen schreibt. Doch das kann dauern. So rechnet Cierzon allenfalls damit, daß mit der Darlehensbegleichung „noch in diesem Jahrhundert“ begonnen wird.
Ob die Überweisung vom Dienstag nur ein Finanz-Strohfeuer war, wird sich schon bald zeigen. Mitte Oktober und Mitte November werden die nächsten Millionenbeträge aus Bonn fällig. Bleiben sie wie in der Vergangenheit erneut aus, steht das Duale System in Hamburg schon wieder vor der Hamlet-Frage: Sein oder nicht sein?
Fünf Monate lang waren die Bonner DSD-Funktionäre, so Cierzon, „nahezu abgetaucht“. Durch die schleppende Zahlungsmoral der Produkt-Hersteller, die eifrig Grüne Punkte auf ihre Waren druckten, die fälligen Lizenz-Gebühren aber nur teilweise abführten, war das DSD in ökonomische Schieflage geraten und stellte seine Zahlungen an die kommunalen Müllsortierer ein. „Die Verantwortlichen waren für uns grundsätzlich nicht zu sprechen und haben uns nur zwei freche Briefe geschickt, in denen sie bestehende Verträge außer Kraft gesetzt und einseitig zu ihren Gunsten verändert haben“, erläutert Cierzon das Geschäftsgebaren der Bonner DSD-Zentrale. Erst als die ARGE drohte, ihre Sortierbänder stillzulegen, zeigte sich das DSD vergangene Woche verhandlungsbereit.
Doch nicht nur das Duale Finanzchaos des Grünen Pleitepunkts gefährdet die Zukunft der gelben Säcke. „DSD hat versprochen, kurzfristig Recyclingkapazitäten für jährlich 800.000 Tonnen Kunststoff aufzubauen“, erinnert sich Cierzon. Doch nur ein Fünftel der Menge kann heute wiederverwertet werden. Aufgrund der so entstandenen Verwertungsengpässe drohten Hamburg und andere Bundesländer damit, den Grünen Punkt durch Rücknahme der sogenannten Freistellungserklärung auszuhebeln. „Das Duale System muß endlich realistische Zahlen nennen“, fordert Cierzon, „wir brauchen Fakten statt Blabla.“
Auch wenn der bundesweite Zusammenbruch des Dualen Systems Anfang vergangenen Monats noch einmal verhindert werden konnte, wird immer deutlicher: Der Grüne Punkt, mit dem Bundesumweltminister Klaus Töpfer 1991 den Einstieg aus der Wegwerfgesellschaft einläuten und die Deutschen zu Recycling-Weltmeistern machen wollte, ist inzwischen zum Symbol für Pleiten und Pannen, kriminelle Müllschiebereien und falsche Versprechungen geworden.
Dabei war das Grundprinzip denkbar einfach: Durch eine Lizenzgebühr auf alle Produkte, die das grüne Emblem tragen, sollte die Wirtschaft eine zweite Müllabfuhr finanzieren und Recyclinganlagen aufbauen, in denen die Verpackungen umweltschonend zu neuen Produkten verarbeitet werden. Ökologische Kreislaufwirtschaft lautete der hehre Anspruch. Die Wirklichkeit aber sieht anders aus.
Dubiose DSD-Partnerfirmen, die für eine umweltgerechte Verpackungs-Verwertung Millionenbeträge kassierten, ließen den sortierten Müll auf wilden Kippen im Ausland verschwinden. Ob in Asien oder Osteuropa, überall rottet der Grüne-Punkt-Wohlstandsmüll, made in Germany, vor sich hin.
Dabei muß bei weitem nicht alles, was heute gesammelt und getrennt wird, auch wiederverwertet werden. So sehen großzügige gesetzliche Übergangsregelungen vor, daß bis Mitte 1995 nur zwischen 20 und 60 Prozent aller verkauften und ausgedienten Verpackungen vom Dualen System wieder eingesammelt und auch davon nur Teile wiederverwertet werden müssen. So brauchen zum Beispiel bis 1995 nur lächerliche 6 Prozent aller in den Handel geratenen Verbundverpackungen einem Recycling zugeführt werden, der Rest darf weiterhin auf Deponien und in Verbrennungsöfen wandern.
Ein weiteres Problem: Nicht jede Wiederverwertung nutzt der Umwelt. Wenn Verpackungsmüll um die halbe Welt gekarrt wird, um dann unter hohem Energieeinsatz recycelt zu werden, ist die Öko-Bilanz oft negativ. Beim Recycling von einer Tonne Alt-Papier etwa fällt fast eine halbe Tonne schwermetallhaltiger Klärschlamm an, und bei der Aufarbeitung von Aluminium entstehen dioxinhaltige Salzschlacken, die dann zumeist auf eine Sondermülldeponie wandern. Recycling – nicht immer die sauberste Lösung.
Zudem kann von echtem Recyceln kaum die Rede sein, wenn viele Verpackungen ein einziges Mal verwertet und aus Verbundpackungen nur Baustoffplatten, aus Kunststoffabfällen im zweiten Leben immer nur Plastik-Zaunpfähle und Minigolf-Bälle werden. „Downcyceln“ nennen Kritiker solch groben Öko-Unfug, der nicht mehr ist als eine kurze Umleitung auf dem Weg zur Deponie.
Kaum nachvollziehbar: Erst 256.000 der rund 800.000 Hamburger Haushalte sind an das Duale Sammelsystem angeschlossen, obwohl längst alle HamburgerInnen beim Kauf jeder grünbepunkteten Ware über erhöhte Preise das Duale System finanzieren. Ab der kommenden Woche sollen nun die Gelben Säcke auch die AltonaerInnen beglücken, danach sind die Neustadt, St. Pauli, Waltershof und Finkenwerder an der Reihe, im kommenden Jahr Eimsbüttel und die Bezirke Nord und Hamburg-Mitte.
Während Umweltminister Klaus Töpfer an seinem Lieblingskind noch immer verbissen festhält, ist für die SPD-regierten Bundesländer längst klar: Der Grüne Punkt in seiner jetzigen Form muß auf den Müll; spätestens nach der Bundestagswahl 1994. Dann sollen nur noch Verpackungen mit dem Grünen Punkt ausgezeichnet und getrennt gesammelt werden, die ökologisch sinnvoll verwertet werden können. Alle nicht verwertbaren Produktbehälter sollen durch hohe Verpackungssteuern aus den Regalen verdrängt, sämtliche Getränkeverpackungen mit einer Pfand- und Rücknahmepflicht belegt werden.
Eine entsprechende Bundesratsinitiative des Hamburger Umweltsenators Fritz Vahrenholt wird derzeit in den Ausschüssen des Bundesrats verhandelt, hat aber kaum Chancen, von der Bundesregierung akzeptiert zu werden. Doch auch die Bonner Blockadekoalition, so hoffen die SPD-Umweltminister, wird am Bundestags-Wahlabend vom Wähler das Prädikat „nicht wiederverwertbar“ aufgedrückt bekommen.
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