■ Aus dem Dornröschenschlaf erwacht: Serie: Die neuen Quartiere (4.Folge) / Die Planungen für die Staakener Felder sollen aus dem vergessenen Natur- und Siedlungsareal eine Gartenstadt mit 2.000 neuen Wohnungen machen
Aus dem Dornröschenschlaf erwacht
„Bis zum November 1989 lebten wir in Staaken (West-Berlin) wie auf dem Dorf. Wenn es hoch herging, kurvten fünfzig Autos am Tag um die Schleife am Brunsbütteler Damm.“ Fred Stieger, der ehemalige Polizist des Quartiers und Pächter einer kleinen Parzelle am Spandauer „Bullengraben“ neben der früheren Mauer, legt noch einen drauf: „Richtig laut wurde es nur, wenn drüben die Glocken der Staakener Dorfkirche läuteten. Jetzt sieht alles ziemlich kaputt aus.“
Die heutige Kaputtheit der rund 40 Hektar großen „Staakener Felder“ zwischen der früheren Grenzkontrollstelle Heerstraße und der nördlich gelegenen Eisenbahnlinie nach Spandau zeugt vom Vergessen einer Natur- und Siedlungsszenerie im Schatten der Mauer. Ebenso wie in den Erinnerungen des Schupos sind Rudimente im Gedächtnis der gemeinsamen Topographie geblieben: ost-westliche Kastanienalleen, lange Entwässerungsgräben und Grünverbindungen, altes Kopfsteinpflaster, der Staakener Dorfkern aus dem 13. Jahrhundert mit angrenzenden Parzellen und Obstgärten, landwirtschaftliche Nutz- und Brachflächen im Niemandsland.
„Die historische Bedeutung der Feldfläche im Zusammenhang mit dem Dorf Staaken hat sich durch den wechselnden Grenzverlauf zur Stadt Berlin und den Mauerbau mehrfach gewandelt“, erklären Spandaus Baustadtrat Klaus Jungclaus und Walter Göllner, leitender Baudirektor im Bezirk, unisono. „Staaken wurde 1951 aufgrund eines Flächentauschs der sowjetischen und britischen Besatzungsmächte geteilt. Dabei blieb nur die östlich (Staaken-Ost) an das Dorf Staaken angrenzende Feldflur im Westteil Berlins.“ Das übrige Staaken-West (DDR) lag nun gemeinsam mit dem Flugplatz Staaken im Landkreis Nauen. Durch den Mauerbau 1961 wurde das Dorf getrennt, seine Entwicklung stagnierte.
Im Gegensatz zu der statischen Situation in Staaken-West, das geprägt war von den Grenzkonstrollstellen für Automobile und Bahnen, veränderte sich der Charakter der Staakener Felder auf der Westberliner Seite in den siebziger Jahren. Zwei Großsiedlungen am Brunsbütteler Damm und entlang der Heerstraße mit Sechs- und Zwölfgeschossern entstanden, am Gärtnerring wucherten Einfamilienhaus- und Kleingartensiedlungen in den „Bullengraben“. Mit dem „Beitritt“ 1990 von Staaken- West zum Bezirk Spandau dehnte Berlin seine Landesgrenze wieder nach Westen aus. Die günstigen Wohnungsbaupotentiale entlang des früheren Grenzverlaufs sowie das kleine Dorf sollen zu einer „Gartenstadt“ (Göllner) mit Wohnungen für insgesamt 10.000 Einwohner anwachsen, die die heterogene Siedlungsstruktur zusammenflickt, ihr einen neuen Rahmen gibt.
„Als Raum der Berliner Stadterweiterung zwischen der Heerstraße und der künftigen ICE- Neubaustrecke Berlin-Hannover“, erklärt Walter Göllner, „interessiert den Bezirk das Gelände unter den Perspektiven landschaftlicher Renaturierung, der Schaffung neuer Wohn- und Gewerbebereiche sowie der Wiederbelebung der zerstörten dörflichen Struktur.“ Die Staakener Felder, für die im südlichen Bereich, entlang der Heerstraße, die Bebauungspläne bereits zur Prüfung vorliegen, erfahren dabei keine definitive städtebauliche Neuordnung, sollen doch die vorhandene Topographie und historische Spuren quasi die gestaltenden Elemente der Planung liefern. Göllner: „Die Staakener Felder liegen wie in einem Dornröschenschlaf da und müssen nur geweckt werden. Bei den mit dem Senat verabredeten Rahmenplänen bestimmten darum keine Reißbrett-Planungen das zukünftige gestalterische Vorgehen. Bereits die Annäherung an das Gelände zeigt, daß nichts neu erfunden werden mußte, sondern das Vorhandene ergänzt, erweitert und transformiert werden kann.“
Göllner plant, das Areal in drei Stufen wachzuküssen – unter dem Primat ökologischer und gartenstadtgestalterischer Aspekte. Das städtebauliche Gesamtkonzept sieht vor, daß in der ersten Bauphase östlich des Einfamilienhausgebiets am Gärtnerring drei- bis viergeschossige Wohnblöcke für rund 1.000 neue Wohnungen mit offenen Wohnhöfen entstehen sollen. Entlang der Heerstraße sind Flächen für Gebäude des Einzelhandels und für Büros reserviert. Auf dem einstigen Grenzstreifen, an der Bergstraße, soll sich die städtebauliche Figur aus der naturräumlichen Besonderheit des „Wiesengrundes“ ableiten und das tiefliegende grüne Oval mit langen Zeilen rahmen.
Die drei südlichen Wohn- und Arbeitsstandorte mit Kitas und einem neuen Schulbau können, so der Architekt Manfred Schiedhelm in seinem städtebaulichen Gutachten zur Entwicklung der Staakener Felder, „aus der Lage des Wiesengrunds und den vorhandenen Grabenfragmenten zu einer in Ost-West-Richtung verlaufenden Parkfläche verbunden werden“. Der Wiesengrund etwa wird durch eine breite Öffnung mit dem Grünraum der Bergstraße verbunden. In Nord-Süd-Richtung teilen ebenfalls Grünschneisen die Wohnviertel und nehmen so Bezug zum Ramingraben, zur Allee an der Bergstraße oder zum Hahneberg.
Das Dorf Staaken soll von einem „grünen Dorfmantel“ eingehüllt werden, um es von den Neuplanungen abzusetzen. Zugleich ist vorgesehen, die historische Parzellenstruktur und die landwirtschaftlichen Nutzflächen wiederzubeleben. Göllner: „Es geht darum, daß beispielsweise wieder ablesbar wird, wie sich entlang der Dorfstraße die Kammstruktur ausbildete, an die sich Wohnbauten, Remisen und Stallungen angliederten und diese in Obstgärten übergingen.“ Nördlich des Bullengrabens könnte schließlich in einem dritten Bauabschnitt und in Anlehnung an den künftigen „Regionalbahnhof Staaken“ ein weiteres Wohngebiet für 500 Wohneinheiten entstehen, das sich um die vorhande „Grundschule 14“ aufbaut. Um die neue Siedlung vom Verkehr auf dem Nennhauser Damm zu entlasten, ist vorgesehen, den Brunsbütteler Damm in Richtung Flugplatz zu verlängern und die Straße am Industriegebiet vorbeizuführen.
Das Gartenstadtkonzept für die „Staakener Felder“ aus Blöcken und Zeilen, großen Höfen und zentralen Standorten für soziale Infrastruktureinrichtungen sowie Arbeits- und Dienstleistungsflächen nimmt das Programm der Gartenstädte der 20er Jahre wieder auf und entwickelt es fort. Nicht das derzeit propagierte Bild der Vorstadt als kleine bauliche und urbane Einheit soll wiederbelebt werden, sondern das „Wohnen an der Peripherie der Stadt“. Göllner reklamiert dabei keineswegs das Modell „Gartenstadt Staaken“ aus dem Jahre 1914 des Architekten Paul Schmitthenner, das wenig mit dem planerischen und sozialen Impetus der klassischen Moderne – den Bauten der Hufeisensiedlung in Britz, von Onkel Toms Hütte in Dahlem oder der „Weißen Stadt“ in Reinickendorf – gemein hat. 1914 entstand in Sichtweite der Staakener Felder mit Hilfe des Reichsinnenministeriums für die Arbeiter der Spandauer Munitionsfabriken eine Siedlung, die sich mit dem Etikett „Gartenstadt“ schmückte, in der anheimelnde, dörfliche Architekturelemente zu einer Idylle kombiniert sind.
Die neuen Planungen hingegen verstehen sich als Transformation einer Siedlungsbewegung, die sich nicht allein als durch Grünflächen aufgelockerte Stadt von begrenzter Größe begreift, sondern sich Wohnen und Landschaft in einer städtebaulichen Symbiose vorstellt. Die Gebäudetypologien sollen dabei aus den besonderen Freiflächensituationen entwickelt werden. Statt aufgelockerter Bebauung sucht man nach relativer Dichte, die baulichen Strukturen sollen kompakt geschaffen werden, die mehrgeschossigen Hochbauten den Eigenheimbrei überwinden helfen.
Noch liegen die Felder morgens im Frühnebel, der zur Zeit noch von Müllfahrzeugen zerrissen wird. Um möglichst schnell neuen Wohnraum schaffen zu können, ist es notwendig, daß der Senat das Gebiet im Herbst als „städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“ ausweist, damit Bodenpreise und Bauvorhaben gesteuert werden können. Zugleich muß nachgedacht werden, wie die Gartenstadt mit dem Bau einer U-, S- oder Regionalbahn an die Stadt angebunden werden kann. Diese bilden das Alpha und Omega einer ökologisch orientierten Planung, die wertlos und pervertiert würde, gäbe es keine „Wege“, den Bewohnern aus ihren Automobilen zu helfen. Die Gartenstadt erstickte sonst im eigenen grauen Dunst.
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