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Stellungnahmen

■ „Otto Schilys Ärger mit ,Mister‘ Müller“, taz vom 28.9.93

Zu dem Artikel stelle ich folgendes fest:

1. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß es einigen nicht paßte, als ich Gudrun Ensslin verteidigte, andere haben mir die Übernahme der Verteidigung von Wolfgang Berghofer übel genommen, wiederum anderen gefiel es nicht, daß ich diesen oder jenen verteidigt habe, und einigen hier in der Bundesrepublik und anderswo gefällt es nicht, daß ich Richard Müller verteidigt habe.

2. In dem taz-Artikel wird behauptet, das Landgericht Lübeck sei zu einer „auffallend milden Strafe“ gelangt. Diese Ansicht sollen auch angeblich irgendwelche anonymen „Ermittler und Beobachter“ vertreten haben.

Richtig ist jedoch, daß meines Wissens die vermeintlich „auffallend milde Strafe“ die höchste Strafe ist, die je in einem Cocom- Verfahren verhängt worden ist. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß das Gericht zugunsten meines Mandanten besonders die Tatsache gewürdigt hat, daß er sich kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist dem Verfahren gestellt hat. Ist etwas dagegen einzuwenden, daß ein Anwalt daran mitwirkt?

3. Mein Mandant hat, wie er nicht bestreitet, einige im allgemeinen Handel frei erhältliche Computer ohne die erforderliche Ausfuhrgenehmigung in Comecon- Länder geliefert. Das ist meiner Auffassung nach, die ich seinerzeit auch als Verteidiger in der Hauptverhandlung vorgetragen habe, nur eine Ordnungswidrigkeit nach Paragraph 34 AWG. Als Vergehen hat das Gericht den Sachverhalt nur deshalb gewertet, weil das Bundesverteidigungsministerium zu der nach meiner Ansicht unrichtigen Feststellung gelangt ist, die Sicherheit der Bundesrepublik sei durch den Computerexport beeinträchtigt worden. Das liegt an der seltsamen Konstruktion der Vorschrift im Paragraph 34 AWG, die die Bundesregierung zur Gerichtsinstanz macht, weil sie praktisch darüber entscheidet, ob ein Sachverhalt als Straftat oder Ordnungswidrigkeit anzusehen ist.

4. Ich bin auch nach wie vor der Überzeugung, daß die rechtlichen Grundlagen für die Restriktionen im Osthandel fragwürdig waren, da ein parlamentarisch nicht kontrolliertes und kontrollierbares Gremium, der Cocom-Ausschuß in Paris, darüber befand, was exportiert werden durfte und was nicht. Selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung meinte dazu, daß dieses Verfahren verfassungsrechtlich problematisch sei.

5. Die US-amerikanische Computerherstellerfirma, von der die in den Osten gelieferten Geräte stammten, hat meinen Mandanten seinerzeit förmlich mit Angeboten überschüttet, obwohl sie wußte oder wissen mußte, daß er in den USA auf der „schwarzen Liste“ stand. Gegen die Verantwortlichen in dieser Firma ist meines Wissens kein Strafverfahren eingeleitet worden.

6. Auch politisch gesehen waren die Cocom-Barrieren fragwürdig, weil ein gemeinsames Europa voraussetzt, daß der Osten technisch nicht zu weit in Rückstand gerät. Kritik an den Cocom-Regeln ist aus allen Parteien geäußert worden, zumal auch der Eindruck entstanden ist, daß über den Cocom- Ausschuß mindestens zum Teil eher Konkurrenzinteressen als Sicherheitserfordernisse durchgesetzt werden sollten.

7. In dem taz-Artikel wird eine Behauptung wiedergegeben, die angeblich in einem „Pentagonreport“ enthalten sei, wonach „200 bis 300 Millionen Dollar“ angeblich auf Konten meines Mandanten geflossen seien. Daß die taz neuerdings Behauptungen von Geheimdiensten, deren Abschaffung sie sonst so vehement fordert, für bare Münze nimmt, ist interessant. Beweiskräftiger werden solche zielbewußt in Umlauf gesetzten Gerüchte deshalb nicht.

8. Der Generalbundesanwalt hat ein Ermittlungsverfahren wegen geheimdienstlicher Tätigkeit im Jahre 1989 mangels Tatverdacht eingestellt. Es ist richtig, daß ein neues Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, mit dessen Durchführung die Staatsanwaltschaft in Schleswig-Holstein beauftragt wurde. Welche Erkentnnisse zu der Einleitung des Ermittlungsverfahrens geführt haben, weiß bis heute weder die Verteidigung noch der Beschuldigte. Akteneinsicht soll die Verteidigung erst innerhalb der nächsten Wochen erhalten.

Sobald Akteneinsicht gewährt ist, wird die Verteidigung zu den vermeintlichen Verdachtsgründen Stellung nehmen, und zwar bei der Staatsanwaltschaft, die die Aufgabe hat, den Sachverhalt zu klären.

Der Umstand, daß Journalisten irgendwelche Behauptungen über vermeintlich vorhandene Unterlagen aufstellen, wird die Verteidigung nicht veranlassen, anders zu verfahren.

9. Seltsam ist, daß die taz meinem Mandanten zum Vorwurf machen will, daß er sich wieder kaufmännisch betätigt, Firmen gegründet hat und – horribile dictu – sogar „Osthandel betreibt“. Vielleicht sollte sich zur taz auch herumsprechen, daß der Handelsaustausch mit den osteuropäischen Ländern für die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik eine positive Bedeutung hat.

10. Wie schlampig die taz recherchiert hat, ergibt sich – neben anderen unzutreffenden Angaben – aus der Tatsache, daß behauptet wird, mein Mandant habe ein Grundstücksareal von der Treuhandanstalt erworben. Diese Behauptung ist nachweislich unrichtig. Mein Mandant hat weder persönlich noch unmittelbar über eine ihm gehörige Firma ein Grundstücksgeschäft mit der Treuhandanstalt abgeschlossen. Die Spekulationen der taz über eine angebliche Interessenkollision sind daher ohne jede Grundlage.

11. Daß die taz es an jeglichem Respekt gegenüber einem Menschen fehlen läßt, der sich nach eingestandener Schuld und Annahme der Strafe wieder eine solide Existenz aufgebaut hat und ein gesetzestreues Leben führt, erstaunt mich um so mehr, als die taz doch sonst dafür eintritt, daß auch ein Mensch, der mit einem Kapitalverbrechen schwere Schuld auf sich geladen hat, den Weg wieder zurück in die Gesellschaft finden soll. Die Vorgänge, wegen derer mein Mandant verurteilt worden ist, liegen mehr als zehn Jahre zurück. Ist es moralisch oder aus irgendeinem anderen Grunde zu beanstanden, wenn mein Mandant an viele gemeinnützige Einrichtungen und auch an eine politische Partei Spenden vergibt, zumal seine Ehefrau Mitglied der SPD ist? [...] Otto Schily, Bonn

Anmerkung des Autors:

Typische Politiker-Masche: Vieles wird dementiert, was gar nicht behauptet wurde. Wo wird Herrn Schily das Recht abgesprochen, Mister Müller anwaltlich zu vertreten? Es ging um die Frage, ob der Müller-Anwalt der geborene Vorsitzende eines Treuhand- Untersuchungsausschusses ist. Die ausgiebige Exegese der umstrittenen Cocom-Bestimmungen geht an den Fakten im Fall Müller vorbei. Den Pentagon-Bericht gibt's unter anderem bei der Bibliothek des US-Kongresses – für Bundestagsabgeordnete sicherlich gratis. (Die Summe findet sich auch in einer deutschen Polizeiakte von 1992.)

Natürlich nimmt die taz bisweilen, nicht immer, die Behauptungen von Geheimdiensten für bare Münze. So gibt es etwa keinen Grund, die Stasi-Dokumente anzuzweifeln, nach denen Schily- Mandant Müller von Ostberlin aus unter dem Decknamen „Mister“ Top-Beschaffungsagent des sowjetischen Militär-Geheimdienstes war. Der sollte natürlich sofort aufgelöst werden, genauso wie die CIA, aber deren Dossiers über Müller und andere hätten wir dann halt doch ganz gerne.

Die taz hat konkrete Dokumente zitiert und keinesfalls „irgendwelche Behauptungen über vermeintlich vorhandene Unterlagen“ aufgestellt. Gerade zu diesen neuen Quellen äußert sich Schily wohlweislich nicht.

Müllers Erwerb des von seiner Firma genutzten Ostberliner Areals war bewußt als Vermutung/ Schlußfolgerung formuliert („eigentlich kann...“). Auch wenn alles in oberbester Ordnung wäre – die entscheidende Frage war doch: Was, wenn der Treuhanduntersuchungsausschuß das unter einem Vorsitzenden Schily untersuchen möchte?

Wo wird denn Müllers Recht bestritten, Osthandel zu betreiben? Der Punkt im Artikel war vielmehr: Braucht er dazu unbedingt dubiose Briefkastenfirmen in Liechtenstein? Die Parteispende wurde überhaupt nicht „moralisch beanstandet“. Daß sie der SPD heute peinlich ist, geht aus einer publizierten Äußerung der SPD- Vorstandssprecherin hervor. Thomas Scheuer

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