piwik no script img

Die Rebellionen des Südens

■ In Italien und Spanien bedrohen freche Fußball-Emporkömmlinge aus Genua und Bilboa die Vormachtstellung der Dauermeister aus Mailand und Barcelona

Berlin (taz) – Auch angesichts der seit geraumer Zeit eher enttäuschenden Vorstellungen des AC Mailand hat Silvio Berlusconi nichts von seiner Arroganz eingebüßt. „Es ist schwer, ins Spiel zu kommen, wenn der Gegner so unterlegen ist, daß er dich nicht motiviert“, sagte der Milan-Präsident nach dem blamablen 0:0 gegen den FC Aarau im Europacup, das die verwöhnten Fans im San-Siro-Stadion trotz des Weiterkommens im Hinspiel mit ungewohnt trübseligen Gesichtern den Heimweg antreten ließ. Da, so meint zumindest Berlusconi, faktisch alle Kontrahenten von Olympique Marseille bis zum Schweizer Meister dem AC weit unterlegen sind, kam die lange Zeit unumstritten beste Mannschaft Europas schon seit Monaten nicht mehr ins Spiel.

Die rosige Sicht des Silvio Berlusconi ist verständlich, denn würde er die Dinge ernsthaft analysieren, käme er nicht umhin, sich kräftig an die eigene Nase zu packen. Sein Konzept, den AC Mailand durch die vollständige Verpflichtung zweier hochklassiger Teams mit insgesamt sechs Ausländern auf Jahre hinaus unbesiegbar zu machen, ist gescheitert und hat lediglich Unruhe in die Mannschaft gebracht. Unter Trainer Arrigo Sacchi spielte im wesentlichen immer die gleiche Formation um die Holländer Gullit, Rijkaard und van Basten und bestach neben famoser Technik vor allem durch blindes Verständnis, exzellente Raumaufteilung und schnelles, sicheres Kombinationsspiel.

Bei Sacchis Nachfolger Fabio Capello begann ein munteres Bäumchen-wechsle-Dich, jede Woche saßen andere Nationalspieler auf der Tribüne, mittlerweile ist der Spielfluß versiegt, Leute wie Donadoni, Savicevic oder Brian Laudrup spielen eher für sich, als für die Mannschaft. Das begeisternde Offensivspiel gehört der Vergangenheit an, in seiner Not weicht Capello sogar auf eine Art Catenaccio aus. Das reicht immer noch zur Tabellenführung, vom alten Glanz aber ist nichts mehr zu spüren. In sieben Spielen der italienischen Liga hat der AC Mailand noch kein einziges Tor kassiert, dafür aber auch erst acht geschossen. Am Sonntag war Lazio Rom zu Gast in San Siro, das Spiel endete mit einem Ergebnis, dessen Existenz die Milan-Anhänger schon fast vergessen hatten: 0:0.

Eines der exponiertesten Opfer des Mailänder Niedergangs war in der letzten Saison der Niederländer Ruud Gullit, der nur hin und wieder zum Einsatz kam. Er tat das einzig Richtige, wechselte den Klub, ging nicht zu Bayern München, sondern zu Sampdoria Genua und blühte dort förmlich auf. Am Sonntag erzielte er beim 4:1 gegen Atalanta Bergamo zwei Tore und hat plötzlich sogar wieder Lust auf die Nationalmannschaft. Allerdings nur, wenn Johan Cruyff Trainer wird und sich das Oranje-Team gegen England für die WM 1994 in den USA qualifizieren kann.

Besagter Cruyff hat derweil andere Sorgen, ist seinem FC Barcelona nach dem rasanten Niedergang von Real Madrid (mit drei Punkten aus fünf Spielen nur auf dem 15. Rang) ein neuer Konkurrent um die spanische Meisterschaft erwachsen. In geduldiger Kleinarbeit hat Jupp Heynckes mit den beschränkten Mitteln, die ihm in Bilbao zur Verfügung stehen – bei Athletic dürfen nur Basken spielen – ein kompaktes, solides Team geformt. Früher war Bilbao ein Synonym für robuste Kämpfer und Treter wie den berüchtigten Andoni Goikoitxea, der Maradona den Knöchel und Schuster das Knie zertrümmerte und nicht umsonst „Schlächter von Bilbao“ genannt wurde, Heynckes brachte den rauhen Basken das Fußballspielen bei. „Jetzt wird der Ballkontrolle mehr Wichtigkeit beigemessen“, freut sich das 19jährige Supertalent Julen Guerrero, das bereits von den großen Klubs umworben wird. Noch zieht es Guerrero jedoch vor, in Bilbao zu spielen, auch wenn der „Trainingsplatz eine halbe Stunde von den Umkleideräumen entfernt liegt, die gerade mal zwanzig Quadratmeter groß sind“.

Cruyff hat gerade rechtzeitig die Notbremse gezogen und mit der Verpflichtung des weltbesten Stürmers, Romario vom PSV Eindhoven, ein Manko behoben, das in der letzten Saison fast die Meisterschaft gekostet hätte: die mangelnde Chancenauswertung. Wenn der Brasilianer, der sein Land gegen Uruguay zur WM schoß, auch nur den Hauch einer Torchance hat, dann trifft er, so wie am Wochenende beim 3:2 gegen Osasuna, wo er mit seinem zweiten Tor, einem feinfühligen Heber über den Torwart hinweg, sogar das Publikum in Pamplona zu Ovationen hinriß. Vor allem an Romario dachte Jupp Heynckes vermutlich, als er nach dem glücklichen 2:1 des Tabellenführers gegen Zaragoza vorsorglich mahnte: „Wir dürfen uns nicht jetzt schon ausruhen.“ Matti Lieske

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen