piwik no script img

Sklavenglöckchen und Jazztrompeten

■ Die afroamerikanische Schriftstellerin Toni Morrison erhielt den Nobelpreis für Literatur

Berlin (taz) – „White ladies“/ „colored women“ stand auf den Toilettentüren, die Toni Morrison als junges Mädchen in den Südstaaten sah. Als Tochter einer sechsköpfigen Arbeiterfamilie aus Ohio ist sie 1931 genau in die Zeit hineingeboren, die sie als die erste Atempause für die Schwarzen Amerikas empfand, das „Jazz Age“, die „Harlem Renaissance“, die urbane Erlösung aus dreihundert Jahren Plantagenplackerei. Der Jazz ist für Morrison das Wiegenlied der neuen schwarzen Neighborhoods, die Erregung, Verführung, das Gestotter der Straße und der Zusammenhalt; die Stadt war damals ein Utopia, alle waren Immigranten, der Dschungel machte alle gleich. Bei William Faulkner, ihrer literarischen Wahlverwandtschaft, fand Morrison den Sprachduktus, den sie suchte: „The Sound and the Fury“ schildert den brutalen Untergang einer Familie, der von einem Idioten erzählt wird.

Sie studierte mit Stipendien, in Washington, Texas und schließlich in Cornell, wurde Redakteurin für schwarze Literatur beim Random Verlag, versuchte sich kurz an einer ziemlich desaströsen Ehe, und zog schließlich mit ihren beiden Kindern nach Ohio zurück. In ihrem ersten Roman, „The Bluest Eye“ (1970) wurde schon deutlich, daß sie nicht vorhatte, einen Onkel-Tom-Roman zu schreiben. Ihr größter Verdienst besteht wohl darin, die „Black is beautiful“-Party ruiniert zuhaben. Als andere die Erinnerung wegfeiern wollten, zeichnete Morrison die Blessuren nach, die zur Erbschaft schwarzer Frauen gehören: der Haß auf die krausen Haare, die eigene Haut, die Angst vor deren Geruch, das Gefühl, daß die weißen Geschlechtsgenossinnen die Ladies sind, während man selbst als „Woman“ mehr dem Kreatürlichen angehört. „Very Blue Eyes“ ist das größte, was der Heldin ihres Romans widerfahren könnte.

Während andere ihre „Roots“ in afrikanischer Folklore suchen, während Whoopy Goldberg oder Tina Turner auf dem Ticket „Urban Jungle Woman“ reisen, hört man bei Toni Morrison noch immer das Sklavenglöckchen an der Fessel ihrer Heldinnen klimpern. Aus den Ghettoblastern schnappt Morrison Geschichten über schwarze Frauen auf, die einen Vergewaltiger erschlagen, die ihre Crack- abhängigen Söhne ermorden; aber auch über schwarze Gemeinschaften, die eigene Banken, Schulen und Geschäfte betreiben. Liegt sie als Feministin quer zum schwarzen Nationalismus? „Ohne die Schwarzen“, sagte sie Time Magazine, „wären die USA balkanisiert worden. Die Schwarzen wurden in diesem Land als Puffer benutzt, um den Klassenkampf und andere gesellschaftliche Flächenbrände zu verhindern. Wie soll die enorme Gewalt gegen Schwarze durchbrechen? Ich kann dazu nur sagen, daß gegen Gewalt im allgemeinen etwas getan werden muß.“

Hat Toni Morrison einen politisch korrekten Nobelpreis bekommen, als Frau (die achte seit Selma Lagerlöff), als Feministin und als Schwarze? In der Begründung hieß es, sie habe „durch eine Romankunst, geprägt von visionärer Kraft und poetischer Prägnanz, eine wesentliche Seite der amerikanischen Wirklichkeit verlebendigt“. In diesem kaum preisverdächtigen Satz steht doch das Wesentliche: Toni Morrison hat die Wahrheit gesagt. mn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen