: Mit Rechentricks an die 50-Prozent-Marke
■ Beim Treffen des Klimabündnisses spielt Berlin Vorreiter – bei der Aushöhlung der Selbstverpflichtungen der europäischen Städte zur Reduzierung der Schadstoffe
Nur wenig ist noch zu spüren von der kurzen Zeit des rot-grünen Berliner Senats. Gestern luden gleich zwei Übriggebliebene zu einer Pressekonferenz: das Klimabündnis der europäischen Städte und die Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit. Zu Gast waren zwei Vertreter der indigenen Völker des Amazonasregenwaldes. Anlaß des Besuches ist die Jahresversammlung des Klimabündnisses, die am Montag im niederländischen Enschede beginnt.
1991 war Berlin dem internationalen Klimabündnis mit den Amazonas-Völkern beigetreten, auf Beschluß der rot-grünen Mehrheit. Der Beitritt bedeutet Verpflichtung: Zum einen soll der Kampf der Amazonas-Völker um ihren natürlichen Lebensraum unterstützt werden. Jede Mitgliedsstadt darf etwa bei öffentlichen Bauten keinerlei Tropenholz mehr verwenden. Außerdem aber müssen die europäischen Städte bis zum Jahr 2010 den Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) halbieren – eine gewaltige Aufgabe.
„Als das beschlossen wurde, wußte keine der Städte, wie das umgesetzt werden könnte“, sagt Klaus Müschen, der Leiter der Energieleitstelle Berlin. Als im vergangenen Jahr das neue Berliner Energiekonzept vorgestellt wurde, ging Umweltstaatssekretär Lutz Wicke davon aus, daß damit „vielleicht“ eine Verminderung von 25 Prozent erreicht werden könne, mehr sei nicht drin. Auch die Schuldigen sind gefunden: Müschen fordert von der Bundesregierung eine Erhöhung der Energiepreise, denn bislang lohne Energiesparen nicht: „Inflationsbereinigt ist Autofahren heute billiger als vor zwanzig Jahren.“
Für die Konferenz am Montag hat sich der Senat etwas Neues ausgedacht: Die angestrebte Halbierung des CO2-Ausstoßes soll pro Kopf der Bevölkerung errechnet werden. Das neue Ziel wäre dann eine Reduzierung von derzeit 9 auf 4,5 Tonnen CO2 pro Kopf. Bislang geht das Bündnis von einer absoluten Verminderung um 50 Prozent aus, Stichdatum 1991. In Berlin, wo immer mehr Menschen wohnen und verkehren, ließe sich das so nicht machen, meint Müschen, die Bevölkerungsentwicklung müsse berücksichtigt werden. Ob so wohl durch die Hintertür doch noch die 50 Prozent geschafft werden?
Evaristo Nugkuag, Sprecher der indianischen Dachorganisation COICA, fordert „die Bürger der europäischen Städte auf, mehr Engagement zu zeigen“. Seit drei Jahren wartet COICA schon auf die Bewilligung einiger Projektanträge durch die europäischen Städte. Immerhin, Berlin zahlt jährlich den „Klimapfennig“ pro EinwohnerIn, also 35.000 Mark, an die Indigena-Organisation. Dazu kamen 1993 weitere 30.000 Mark, die der Senat in einen „Regenwaldfonds“ einbringt. Der soll im nächsten Jahr auf 80.000 Mark aufgestockt werden und dient vorrangig der Unterstützung der COICA. Beträge aus der Portokasse, eigentlich. Aber im Projekthaushalt der Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit schon eine ganze Menge. Dort nämlich kommt das Geld her, erklärt Ursula Nix von der Landesstelle. Wenn deren Topf nicht erhöht wird, dann werden hier also Gelder von anderen Entwicklungsprojekten in den Regenwald umgeleitet – sicher nicht die Idee des Klimabündnisses. Bernd Pickert
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