piwik no script img

Rauch-Frosch und Große Jaguartatze

■ Die Welt der Maya - die am weitesten entwickelte indianische Hochkultur Mittelamerikas in einer Ausstellung in Mannheim

„Wer waren die Menschen, die diese Stadt gebaut haben? In den verfallenen Städten Ägyptens ... weiß der Fremde um die Geschichte des Volkes, dessen Spuren ihn umgeben: Amerika aber – heißt es – war von Wilden besiedelt.“ Diese Frage des Maya-Forschers J. L. Stephens fokussiert die Ignoranz der Europäer gegenüber den neuweltlichen Zivilisationen. Stephens hatte 1839 in Mittelamerika die monumentalen Reste einer 900 Jahre zuvor jäh zusammengebrochenen indianischen Hochkultur entdeckt. Die wenigen danach verbliebenen Stadtstaaten zerstörten die spanischen Konquistadoren.

Durch christlich-missionarische Blindheit ging die entwickeltste Schrift des mesoamerikanischen Raumes und damit das Wissen einer ganzen Kultur verloren. Die Spanier vernichteten alle noch erhaltenen Schriftstücke, aus Baumrindenbast oder Leder gefertigte Codices in Hieroglyphenschrift. Lediglich vier (!) dieser Codices und die vielen in Stein gehauenen Inschriften blieben erhalten. Fünfhundert Jahre Kolonialherrschaft schnitten die Nachfahren der alten Maya von ihren kulturellen Wurzeln ab.

Um ihre Kultur zu revitalisieren, war die Dechiffrierung der Schrift seit Anfang der 60er Jahre ein entscheidender Schritt. Ähnlich der sumerischen und ägyptischen Hieroglyphen basiert sie auf einem logosyllabischen System – also aus Wort- wie Silbenzeichen bestehend. Wie radikal sich das Wissen über die Maya seither verändert hat, dokumentiert jetzt das Reiß-Museum Mannheim.

Epochal gegliedert zeigt die bisher umfangreichste Maya-Ausstellung zum Teil bisher öffentlich nicht präsentierte, von Museen aller Welt und jüngsten Ausgrabungen zusammengetragene Exponate. In Kalkstein gemeißelte ehemals farbige architektonische Verzierungen und skulptierte Stelen (reliefierte Steintafeln), kunstvolle polychrom bemalte Keramik, fein gearbeiteter Jade-, Muschel- und Goldschmuck zeugen von hohen künstlerischen und handwerklichen Fähigkeiten. Manche Objekte sind so filigran gefertigt, daß sie heute unmöglich nachgearbeitet werden könnten.

Die in dunkles Rot getauchten Ausstellungsräume lassen durch warmes Licht die figürlichen Darstellungen lebendig erscheinen. Vieles erscheint in den Vitrinen trotzdem isoliert, da dem ursprünglichen Kontext vollständig entrissen, der sich nur über reichlich informative Texttafeln erschließt. Mit der Ägypten-Ausstellung im letzten Jahr zeigten die Mannheimer einen sinnvolleren Weg. Eine rekonstruierte Grabkammer simulierte Authentizität. Die Objekte konnten in ursprünglicher Einheit von Ort, Funktion und Bedeutung „originär“ erfahren werden. In der aktuellen, kontextuell unverbindlicheren Präsentation zeigt sich weniger plastisch, daß es keine universellen ästhetischen Vorstellungen von Kosmos, Wahrheit und Schönheit gibt. Jede Kultur findet die für sie adäquate Ausformung schöpferischer Kräfte. Die stilbildenden Elemente der Maya sind naturalistische Formen. Zweidimensionalität und rhythmisch gegliederte, klare Strukturen. Den Begriff Kunst als solchen kannten sie gar nicht. Ihre „Kunstwerke“ waren ein in Form gebrachtes spezifisches Weltbild. Ähnlich vielen afrikanischen Kulturkreisen gilt bei den Maya ein Werk als bedeutend, wenn ihm spirituelle Macht innewohnt. Es verkörpert allgemeine Werte der Gemeinschaft und spiegelt nicht die Gefühle eines Individuums wider.

Die Welt der Maya war ein Ort homogener Magie, alles war erfüllt von lebensspendender Energie. Es gab keine Trennung von Geist und Materie. Die Sterne und Planeten versinnbildlichten verstorbene Ahnen und göttliche Wesen, die den Ablauf von Zeit und Geschichte regulierten. Mittels Blutopferritualen und Trancetänzen wurden Götter, Vorfahren und way – die zweite Seele einer jeden Person, ein Tier oder Schutzgeist – beschworen, um heilige Objekte oder Gebäude mit deren übersinnlichen Kräften zu „beseelen“.

Zoomorphe Mischwesen und göttliche Fabelwesen tummeln sich so als Inkarnation eines reichen mythologischen Universums auf Steinreliefs oder sind plastisch als Schmuck oder Skulpturen dargestellt. Naturalistische wie abstrahierende Darstellungen auf Keramiken schildern detailreich höfisches Leben und religiöse Zeremonien. Ein häufiges Motiv sind Totenköpfe. Fein strukturiert aus Jade gearbeitet oder in Reliefs gemeißelt, symbolisieren auch sie die Verehrung der magischen Kräfte des Jenseits.

Bei den religiös wie politisch enorm wichtigen Opferzeremonien wurden starker Tabak oder aus Pilzen gewonnene Halluzinogene als Rauschmittel eingenommen. Die Maya-Fürsten legitimierten sich über öffentliche Blutopfer als Mittler zwischen den Welten und bestätigten ihren Herrscherstatus aus göttlicher Abstammung. Einer der steinernen Türstürze in Mannheim bildet die königliche Frau Wak Tun bei einem Blutopfer ab. Mittels Selbstkasteiung, Tanz und Drogen in Trance verfallen, erscheint ihr einer ihrer Vorfahren. K'awil, der Gott der königlichen Dynastien, symbolisiert als Visionsschlange die Brücke zum Jenseits. Aus dem weit geöffneten Rachen der Schlange ragt der Kopf des Ahnen hervor. Ein anderes, noch teils farbiges Relief zeigt die Frau Xok, wie sie sich eine dornenbewehrte Schnur durch die Zunge zieht. Ihr danebenstehender Mann, König Itzam Balam, zapfte sich im nächsten Schritt des Rituals selbst Blut aus Zunge oder Penis.

Den Maya-Kosmos reflektierte auch die Struktur der großen städtischen Akropoliskomplexe. Auf den zentralen Plätzen, einem symbolischen (Ur-)Meer, standen die Stelen (mayisch: Baumstein) der Fürsten, politische und religiöse Ereignisse dokumentierend. Die Stelen symbolisierten den Wald zwischen dem Meer und den Bergen, den Pyramiden, auf denen sich die Tempel mit den Toren zum Jenseits befanden. Die architektonischen Elemente wurden nach dem Lauf der Sterne und der Sonne ausgerichtet. Die Sonne „las“ aufsteigend Inschriften und Bilder. Das Erreichen des höchsten Punktes bedeutete eine maximale rituelle „Ladung“ des Objektes.

Die Maya besiedelten in Stadtstaaten ein Gebiet, das heute auf die Staaten Belize, El Salvador, Guatemala, Honduras und Mexiko aufgeteilt ist. Bis zu 30.000 Einwohner lebten in den größten Städten, gleichzeitig Prestige- und Statussymbole der Herrscher und Kultur- und Verwaltungszentren eines feudalistischen Systems. 200 Einwohner pro Quadratkilometer und mehr im Umland entsprechen einer dichter besiedelten Region im heutigen China. Eine immer intensivere Ackerbaukultur mittels Hochäckern, Terrassenbau und künstlicher Be- und Entwässerung war erforderlich, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren. Gleichzeitig wuchsen Bürokratie und Eliten, immer weniger Menschen arbeiteten in der Landwirtschaft bei steigendem Bedarf an Nahrungsmitteln. Verheerende Hungersnöte und Kriege um die letzten Ressourcen endeten in einem demographischen Desaster. Der Kollaps der klassischen Maya raffte zwei Drittel der Bevölkerung hinweg. Ende des 10. Jahrhunderts waren fast alle alten Zentren verwaist.

Der Mythos der symbiotisch mit der Natur lebenden und friedliebenden Indianer ist längst revidiert. Die Maya betrieben exzessiven Raubbau an den Ressourcen des tropischen Regenwaldes. Holz wurde in Massen zur Kalkbrennung und als Baustoff benötigt. Auch die Kriegsführung radikalisierte sich über die Jahrhunderte. Prestige-Scharmützel, vor allem um Gefangene für Opferungen zu gewinnen, wandelten sich zu hegemonialen Eroberungszügen, die ganze Landstriche verwüsteten und deren Bevölkerung vernichteten. Thomas Miles

„Die Welt der Maya“ in Mannheim. Reiß Museum, 68159 Mannheim, Tel.: 0621-293 97 29. Bis 16.01.1994 tägl. 10–17 Uhr, Mi. und So. 10–19 Uhr, montags an Werktagen geschlossen. Es finden neben den normalen Führungen zusätzlich (Lichtbilder-)Vorträge statt, Termine auf Anfrage

6.10.1993 bis 27.2.1994: „Land der Maya – Fotografien aus Guatemala und Mexiko“. Sonderausstellung mit Aufnahmen von Landschaften, Flora und Fauna

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen