■ Was auf dem Bonner Parteitag ausgeblendet wurde:: Das Ende des Prinzips Verantwortung
Welche Rolle soll Deutschland in der Welt spielen? Kurz vor Ende ihres Parteitags stimmten die Delegierten des Sonderparteitags von Bündnis 90/Die Grünen für eine schlüssige Formel: Deutschland ist der Kriegsdienstverweigerer der Weltgemeinschaft.
Es ist wenig tröstlich, daß sich eine große Minderheit für diese Art gesteigerter Schlichtheit nicht hergeben mochte. Denn eine deutliche Mehrheit der Versammlung erlag der Versuchung, sich die Sache einfacher zu reden, als sie wirklich ist. In der Bonner Beethovenhalle wurde überreichlich zu großen Bekenntnissen gegriffen, nur damit sich die Delegierten am Ende in einer kleinen Gewißheit trennen konnten: Wir sind eine gewaltfreie Partei ohne Wenn und Aber.
Doch jede willkürlich herbeigeredete Selbstgewißheit hat auch ihren Preis. Und in diesem Fall wiegt der moralische vielleicht schwerer als der politische. Die Grünen sind mittlerweile eine normale, etablierte Partei, die nicht daran gemessen werden will und soll, ob sie die Vereinigung der besseren Menschen ist. Gezählt und gewogen werden müssen ihre Beiträge zu einer veränderten, besseren Wirklichkeit. Daß der plakative und im übrigen wirkungslose Ruf nach Abschaffung der Bundeswehr ein kleiner Beitrag zur großen Koalition ist, gehört indessen zu den zweitrangigen Ergebnissen dieses Parteitags. Joschka Fischer und andere Realos werden sich über solche Ärgernisse damit hinwegtrösten, daß das pazifistische Rundumbekenntnis einen eindeutigen Platz im Parteienspektrum und damit Stimmen sichert.
Das wirkliche Versagen der Bonner Versammlung liegt woanders. Im Rückzug auf die identitätsstiftenden Etiketten Gewaltfreiheit und Pazifismus ist etwas anderes auf der Strecke geblieben, das zum grünen Selbstverständnis von Anfang an gehörte: Das Prinzip Verantwortung. Daß Politik und Parteien Verantwortung nicht nur für das Hier und Jetzt, sondern auch für die Zukunft und die anderen übernehmen müssen, gehört zu den Fundamenten dieser Partei. Das Prinzip Verantwortung verlangt, daß der Grundsatz der Gewaltfreiheit neu abgeklopft wird. In einer Welt, zu der Bosnien und Somalia gehören, in der sich leider als Illusion erwiesen hat, daß Krieg als Mittel der Politik ausgedient habe, kann sich niemand einfach darauf berufen, er wolle aber gewaltfrei sein.
Beides könne sich als Irrtum erweisen, hieß es gelegentlich und leise in der Beethovenhalle: in Bosnien zu intervenieren oder nicht. Daß die Zeiten der zweifelsfrei richtigen Prinzipienentscheidungen vorbei sind, wenigsten das hätten die grünen Beschlüsse ausdrücken müssen. Tissy Bruns
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