■ Großmäulige Werbung um schwedische Privatschulen: Die Schüler fragt keiner!
Stockholm (taz) – Vorbei die Zeiten, als es in Stockholm nahezu hoffnungslos war, einen Kindergartenplatz zu finden. Im Gegenteil: Kindergärten preisen sich mit täglich wilder wuchernden Blüten des Selbstlobs an. Kann sich so ein „Daghem“ nicht mindestens mit besonderen Attributen wie Naturschutzarbeit, Abenteuerspielplatz, Schwerpunkte im musikalischen und bildnerischen Bereich schmücken, ist der Kampf ums letzte Kindergartenkind von vornherein verloren. „Wir helfen deinem Kind, sich Bilder, Farben, Gesang, Reime und Rhythmus zu erarbeiten“, lockt eine Hochglanzbroschüre frisch aus dem Briefkasten: „Schnürsenkel schnüren, Knöpfe knöpfen, Kartoffeln schälen. Lust, Freude, Rücksichtnahme und Zukunftshoffnung.“
Der plötzliche Kampf ums Kind hat seinen Grund in der von der konservativen Regierung Bildt losgetretenen Privatisierungswelle. Seit die Einrichtung von Schulen und Kindergärten jeder Privatperson, jeder Firma freisteht, sind gewaltige Überkapazitäten entstanden. Der kommunale Kinderkarten, der ein Drittel seiner Plätze nicht mehr vollkriegt, kann dichtmachen. Ähnliches gilt für die Schulen. Gezahlt wird nämlich pro Schülerkopf und Jahr aus der Staatskasse, je nach Gemeinde zwischen 15.000 und 20.000 DM. Die Folge: Die weniger attraktiven Schulen müssen Klassen zusammenlegen, Kurse absagen, LehrerInnen entlassen.
Was zu ganz neuen Kunden bei Werbeagenturen und Druckereien für Reklamebroschüren geführt hat. Einen vorläufigen Höhepunkt stellt dabei die Werbung eines Gymnasiums im Raum Stockholm dar. Unter der Parole: „Die Schule, die geiler ist als die meisten anderen!“ hat das Botvidsgymnasium in Botkyrka eine Werbekampagne vom Zaun gebrochen, die jetzt sogar die Gerichte beschäftigen wird. Die Schule hatte in Zeitungsanzeigen nämlich behauptet, „Stockholms beste Lehrer“ zu haben, was verschiedene KollegInnen anderer Schulen nicht ruhen ließ. Es hagelte mehrere Anzeigen wegen unlauteren Wettbewerbs. Der ganze Aufstand um die gut angelegte Werbekampagne hat dennoch Früchte getragen: 50 neue Schüler konnten nach den Sommerferien gezählt werden. Von insgesamt 1.400 Pennälern kommen mittlerweile 400 aus anderen Kommunen ins Gymnasium nach Botkyrka.
Nach den Schüerinnen und Schülern fragt natürlich mal wieder kaum jemand. Die Wahl der Schule wird ihnen weiterhin von den Eltern aufgedrückt, und eine Privatumfrage ergibt als Urteil über die SuperlehrerInnen aus Botkyrka: die gleiche Mischung wie überall. Was hinter den Schulbänken viel mehr interessiert und spürbar wird, ist die Tatsache, daß die Gelder für die Schulen, ob privat oder staatlich, kräftig heruntergekürzt worden sind. Auf der Strecke bleiben als erstes die Kurse, bei denen das „Unternehmen Schule“ auf dem freien Markt die wenigsten Kronen verdienen kann. Nach einer aktuellen Statistik sind in diesem Schuljahr die Stunden für Spezialunterricht für lernschwache Schüler um 25 Prozent zusammengestrichen worden, die Möglichkeiten von Ausländerkindern, Unterricht in ihrer Heimatsprache zu haben, gar um 40 Prozent. Schulklassen wurden durchweg größer, die LehrerInnen weniger. Die Zeiten, in denen das Schulessen – Schwedens Schulen sind Ganztagsschulen – umsonst war, sind in immer mehr Gemeinden Vergangenheit geworden. Letzte Woche streikten einige tausend SchülerInnen in Stockholm einen Tag lang und demonstrierten – „In der Schule von Carl Bildt sollen nur die Starken überleben!“ – in der Innenstadt. Motto: „Wir hatten einmal Europas beste Schulen.“ Reinhard Wolff
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