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Am Schirm bewirtet

■ Bericht über Jewish Americans in der Berliner Kulturszene

Schon ab der ersten Filmminute gibt es kein Zurück! Wer hier mal bloß aus Exotismus reinzappen will, bleibt hängen, denn: It's partytime bei Holly Jane Rahlens. Blumen, Lachen, Bagels – und wir sind mittendrin im Strudel. Die Gastgeberin im eleganten „kleinen Schwarzen“ führt die rasante Kamerafahrt: Blicke herum in der Wohnung, Blicke in die Kamera, aufs Büffet, auf die Gäste. Dynamisch, bewegt und schon so interessant, daß alles viel zu schnell geht.

Daß Holly Rahlens, die temperamentvolle Erzählerin, eine gute Gastgeberin ist, das verwundert nicht. Aber daß sie übers sonst eher sterile Medium Fernsehen uns alle mitempfängt, bewirtet und amüsiert – das ist schon eine Rarität. „Halt“, möchte man dem schweifenden Kameraauge zurufen, „wer sind denn die da?“ Aber das kommt ja noch, um diese Leute wird sich die nächste Dreiviertelstunde drehen. Also hören wir erst mal dieser Stimme zu, die mit amerikanischem Akzent nicht Kommentar absondert, sondern eher die „Kinoerzählerin“ spielt. Seit zwanzig Jahren lebt die amerikanisch-jüdische Autorin in Berlin. Und genau die Fülle all dieser Jahre schwingt mit in den Personenportraits und erweckt den angenehmen Eindruck einer gereiften Arbeit.

Radelnd plaudern auf dem Heimtrainer

Dabei gleitet Holly Jane Rahlens übrigens nie in Selbstdarstellung ab. Denn sie, die ihr Erzähltalent schon oft im Hörfunk bewiesen hat, spielt nun einen weiteren Joker aus: die Kunst, angeregt zuzuhören. Diese Fähigkeit spiegelt sich in der entspannten, ungekünstelten Frische, mit der die Interviewten reden, uns locker zu sich an den Tisch einladen oder auf dem Heimtrainer radelnd ihre Gedanken entwickeln. Die Eingangsszenen kommen verspielt- dokumentarisch daher oder gezielt-gespielt: Mit viel „Hallo“ warten wir auf den gefillten Fisch. Ironisch, verwackelt und komisch ist das, leicht woodyesk.

Auch das unaufdringliche Leitmotiv von George Gershwins „Rhapsody in Blue“ zeigt gleich zu Anfang, wie es weitergehen wird: bruchstückhaft und knallvoll mit Details. Jetzt also sind sie dran, die aparten Gesichter dieser gemischten Gesellschaft. Eine nach der anderen treffen sich die sechs Personen auf der Party, finden ihre Autorin, geben sich den Erzählfaden in die Hand und ziehen uns mit auf ihre Großstadtpfade.

Sie sind eine Minderheit: Künstler, amerikanische Juden, die obendrein noch gerne in Deutschland leben, ohne falsche Scheu, eher mit aufklärerischer Offenheit sprechen einige von ihrem religiösen, kulturellen Hintergrund, der hier in Deutschland natürlich etwas Prekäres hat. Da gibt es verständliche Komplikationen mit der family back home.

Alan Marks zum Beispiel war von klein auf an, wie er sagt, „antideutsche Propaganda“ gewöhnt. Trotzdem fragte sich der Pianist, „was hat der Central Park mit Schubert zu tun“, und machte sich auf nach Berlin. Er schätzt, wie sie alle, das kulturelle Potential und vertraut darauf. Nette Vorstellung, daß diese kritisch gefärbten Lobeshymnen zur self-fulfilling prophecy mutierten und uns vor uns vor gesamtdeutscher Borniertheit bewahrten.

Bei allem Interesse an der anderen jüdischen Kultur läßt dieser Film nie puren Voyeurismus zu. Dafür sind die taktilen Bilder des Kameramanns Wanda Schulz viel zu nah dran. Sie werfen Bekanntes aus der Hauptstadt (Lob für den location scout) in sechs verschiedenen Bewußtseinsspiegeln zurück.

Während die Autorin ihren Leuten – David Tabatzki, dem Kabarettisten, Harvey Friedmann, dem Schauspieler und Marathonläufer, der Choreographin Leonore Ickstadt, dem Dokumentaristen Edward Serotta und der Jung-Regisseurin Kati Koerner ihre Geschichten entlockt, erleben wir Berliner, wie unendlich bunt und belebend der Blick von außen auf Vertrautes ist. Nebenwirkung dieser Bilderrhapsodie: Sie rüttelt durch und regt an.

Der Film zeigt Impressionen, Begebenheiten, Reflexionen, Stadtteile. Er flackert und glitzert, ohne das tödliche Künstlerklischee vom Glamour zu bedienen. Und nie erschlafft unser Insider-Blick beim Wiedererkennen von „typischen Einstellungen“, sondern bleibt hellwach beim Wiederentdecken.

Seltene Wärme und quirliger Charme

Dabei verströmen diese Gesichter, Geschichten und auch die gemischten Gefühle eine Qualität, die sonst bedauerlich selten den Bildschirm durchbrechen: Wärme und quirligen Charme. Gaby Hartel

„Zwischen gefilltem Fisch und gemischten Gefühlen“, in B 1, dem Dritten des SFB, 22.15 Uhr

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