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„Disappearing“ im Medienzeitalter

Der Messias kommt mit Boeing, einer Jungfrau und siebzig Tonnen Equipment direkt auf Ihren Bildschirm geflogen. The Magic David Copperfield missioniert die letzte Bastion der Ungläubigen im christianisierten Europa  ■ Von Klaudia Brunst

Wenn Jesus noch einmal auf diese Welt käme, er käme via CBS. Dort allerdings träfe er heuer auf einen, der den Kanal bereits mit Wundern aller Art besetzt hält. Und zwar seit Jahren – und mindestens so erfolgreich wie seinerzeit dieser Zimmermannssohn aus Jerusalem.

Vor zweiundzwanzig Jahren wurde die amerikanische Unterhaltungsöffentlichkeit ihres neuen Messias zum ersten Mal gewahr. Da wurde ein zwölfjähriger Knabe als jüngstes Mitglied in die Gesellschaft der Amerikanischen Magier aufgenommen. Ein Kind russischer Immigranten zauberte sich in Metuchen, New Jersey, durch die Nachbarschaft. „Disappearing“ war sein Lieblingstrick, und bald schon speiste der neue Jesus von Nazareth die Millionen in ihrem unersättlichen Unterhaltungshunger.

Der Kreis seiner Jünger ist etwas größer, nicht mehr zwölf, sondern gleich 50 feste Mitarbeiter beschäftigt David Copperfield, um seine Wunder marktgerecht zu präsentieren. Eine eigens gecharterte Boeing 747 bringt 70 Tonnen Equipment von Ort zu Ort, damit der Meister eine kleine Auswahl seiner besten Wunder der internationalen Gemeinde zeigen kann. Dieser Tage gerade erobert „The Magic“ nun die letzte Bastion der Ungläubigen. Mit neunzig Shows in sieben Wochen wird nun auch Europa missioniert. 300.000 Menschen werden ihn so mit eigenen Augen sehen können, werden erleben, wie er eine Jungfrau von ihrem Kopf befreit, wie ein junges Mädchen durch seinen Bauch kriecht, wie er scheinbar schwerelos durch den Raum fliegt.

Und RTL hat diese Mission bestens vorbereitet. Für eine erkleckliche Summe hat der Sender das Recht am Bild des David Copperfield gekauft, regelmäßig streuen die deutschen Fernseh-Unterhaltungsmacher nun Specials aus Amerika in ihr buntes Programm ein, damit auch jeder weiß, wer da gerade auf Europa niederkommt.

Und es ist ein sympathischer Messias, der uns da die Heilsbotschaft des 21. Jahrhunderts bringt. Fleißig, strebsam, erfolgreich ist er. Charmant, bescheiden und schön. „Oh ja“, erklärt er Hans Meiser, zu gern würde er wirklich Wunder vollbringen können. Aber das, was er zeige, seien in Wahrheit eben nur Illusionen. Der hier wird wohl nie ans Kreuz genagelt werden, und wenn doch, dann ist es sicher wieder so ein Copperfield-Spezialtrick.

Jahrhundertelang hat die Magie die Menschen verzaubert, das Spiel mit den überirdischen Kräften war lange ein einträgliches Geschäft. Aber als die Bilder laufen lernten, verlor der Zauberer langsam seinen Zauber. In einer Zeit, wo durch unsichtbare Wellen eine Stimme ins heimische Küchenradio fliegen kann, wo der Blue- Screen die Menschen auf der Mattscheibe schweben läßt, ist das Kaninchen im Hut keine Weltsensation mehr. David Copperfield hat nun die Magie dem Fluß der Zeit angepaßt. Vielleicht ist er gar nicht der größte Magier aller Zeiten, aber er ist der zeitgemäßeste. Wenn er etwas verschwinden läßt, dann nimmt er gleich die amerikanische Freiheitsstaue oder den Speisewagen des legendären Orient-Express. Wenn The Magic schon durch eine Wand geht (und er ist nicht einmal der erste, der das tut), dann geht er natürlich gleich durch die chinesische Mauer.

Das bringt Einschaltquoten, und wenn auch das Fernsehen der denkbar ungeeignetste Ort für augenscheinliche Wahrhaftigkeit ist, so ist es doch die weltweit größte Distributionsmaschine. „Alles was Sie hier auf dem Bildschirm sehen, sehen auch Millionen anderer Zuschauer. Und alles passiert live“, erklärt der Meister zu Beginn seiner jährlichen CBS-Show „The Magic of David Copperfield“. Keine Kamera würde angehalten werden, keine technischen Tricks spielten hier eine Rolle, verspricht uns der sympathische Messias. Und wir müssen ihm glauben, wollen wir uns faszinieren lassen. Und wir wollen uns faszinieren lassen.

Auf seiner Europatournee sind die Tricks eine Nummer bescheidener, denn die Technik, die beim „disappearing“ eben doch eine große Rolle spielt, wäre viel zu aufwendig, als daß man sie so einfach über den großen Teich einfliegen könnte. Schon die Reiseversion seiner Magiekunst bedarf eines 80köpfigen Stabs, der einen Arbeitstag lang die Bühne präpariert, um nur den Herrn und Meister am Ende seines Zwei-Stunden-Programms über den Bühnenboden schweben zu lassen.

Aber was der smarte Mann uns zeigt, ist für europäische Verhältnisse schon illusionär genug. Claudia Schiffer sitzt am Berliner Premierenabend im Publikum der Deutschen Oper. Sie kam etwas verspätet, weswegen sich der Showstart um dreißig Minuten verzögerte. Aber das Warten hat sich gelohnt. Denn kaum hat sich Copperfield auf die Bühne gezaubert, hat den tosenden Eingangsapplaus entgegengenommen (CBS und RTL sei Dank), da holt er die Schöne auch schon auf die Bühne, läßt sie einen kleinen Löwen auf ein Stück Berliner Mauer sprayen, schreibt die Telefonnummer eines Herrn aus Reihe 27 dazu und präsentiert uns nur Sekunden später, daß er all diese Grafitti-Kunst schon vorab geahnt hat: Aus einem Umschlag, der die ganze Zeit auf der Bühne auf seinen Auftritt wartete, zieht The Magic nun nämlich ein Papier, auf dem der kleine Löwe und die Telefonnummer sauber abgebildet sind. „Haben wir uns vorher schon einmal gesehen?“ fragt David die schüchterne Claudia. „Nein“, schüttelt der Star seinen schönen Kopf, und natürlich glauben auch die vielen unten im Parkett nicht, daß sich die große Claudia Schiffer für so eine schnöde Absprache hergeben würde.

Die Illusion ist hergestellt. Der Meister ist als Magier etabliert. Und nun kann er aus dem vollen seiner vollelektronischen Trickkiste schöpfen. Jetzt, da wir ihm alles glauben, da wir unser Mißtrauen abgelegt haben, wollen wir uns einfach nur verzaubern lassen. Eingelullt von schöner Rockmusik und einer noch schöneren Bühnen- Light-Show folgen wir David Copperfield auf dem sorgsam gelegten Pfad seiner Illusionsshow. Fragen gar nicht mehr, wo die Fäden wohl hängen könnten, wo der Spiegel wohl steht. Schließlich sind wir nicht hier, um den Messias zu steinigen, wir wollen ihn nur zaubern sehen.

Und weil er sein Handwerk wirklich beherrscht, traut er sich sogar ins Publikum, zaubert hier einen Ring weg, läßt dort eine Rose schweben. Keine Kamera kann hier angehalten werden, keine technischen Tricks sind hier möglich. Das können wir mit unseren eigenen Augen sehen. Aber was sind schon unsere eigenen Augen wert, in einer Zeit, wo man sein noch nicht geborenes Kind schon per Polaroid fotografieren lassen kann?

Wenn Jesus noch einmal auf die Welt käme, käme er wohl doch nicht via CBS. Wasser zu Wein machen, das ist einfach nicht telegen genug. Da müßte sich der liebe Gott schon ein paar neue Tricks einfallen lassen. Vielleicht ließe sich noch etwas machen, wenn sein Sohn sich diesmal im letzten Moment vom Kreuz befreien würde. David Copperfield könnte ihm da sicher irgendwie helfen.

Ab heute fliegt David Copperfield in Hamburg, am 15.10. schwebt er nach Zürich, die Dortmunder sehen ihn am 20./21.10.

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