Seveso-Dioxin doch in Schönberg?

■ Neue Geheim-Unterlagen belegen: In der Schönberg-Deponie schlummert das Ultragift / Schließung droht / Müllnotstand für Hamburg? Von Marco Carini

Auf der Giftmülldeponie Schönberg lagern nach Informationen des Westdeutschen Rundfunks (WDR) 41 Fässer, randvoll mit dem Seveso-Gift „Dioxin“. Der Fernseh-Journalist Ekkehard Sieker verfügt nach eigenen Angaben über Geheim-Unterlagen, aus denen hervorgeht, daß es sich bei den Dioxin-Fässern, die 1983 in einem Spezialofen des Chemiekonzerns Ciba Geigy in Basel verbrannt wurden, um Doubletten der echten Seveso-Fässer handelt. Spekulationen in diese Richtung konnten bislang nie bewiesen werden.

Die Fässer mit dem Giftmüll aus Seveso hingegen wanderten nach Dokumenten, die dem WDR und der taz vorliegen, nach Schönberg. Der Etikettenschwindel war nach WDR- Informationen erforderlich, um zu vertuschen, daß in der Chemie-Firma Icmesa, deren Explosion 1976 die norditalienische Kleinstadt Seveso mit Dioxin verseuchte und vielen Menschen das Leben kostete, eine mit Dioxin stark angereicherte Substanz für militärische Zwecke hergestellt worden war. Diese Produktion wird nun laut WDR durch Unterlagen der Seveso-Untersuchungskommission und Aussagen von Wissenschaftlern und ehemaligen Icmesa-MitarbeiterInnen zweifelsfrei bestätigt.

Bislang hieß es amtlicherseits: Das freigewordene Dioxin, von dem bereits ein Millionstel Gramm tödlich ist, sei erst durch die Explosion entstanden. Bei einer der Verbrennung in Basel vorgeschalteten Analyse der Orginalfässer wäre die wirkliche – streng geheime – Produktion der Icmesa, einer Tochter des Schweizer Pharma-Konzerns Hoffmann-La Roche, bekanntgeworden. Das Management des Konzerns allerdings bestreitet diese Vorwürfe vehement.

Nach Unterlagen, die der taz vorliegen, wurde das Seveso-Gift zwischen dem 16. und 23. September 1982 von der Firma Mannesmann Italien, eine Tochter der Düsseldorfer Mannesmann AG, in Schönberg angeliefert, etikettiert als „Chlornitrium“. Nach Informationen der Lübecker Grünen wurde der Dioxin-Deal von dem Lübecker Schönberg-Betreiber Adolf Hilmer und dem französischen Abfall-Makler Bernhard Paringaux eingefädelt. Das Umweltministerium von Mecklenburg-Vorpommern hat solchen Behauptungen allerdings bisher stets widersprochen.

So erklärte der inzwischen wegen der umstrittenen Schönberg-Verträge geschaßte Schweriner Umwelt-Staatssekretär Peter-Uwe Conrad wiederholt, es sei ausgeschlossen, daß dioxinhaltige Seveso-Abfälle in Schönberg abgelagert wurden. Sollten sich allerdings konkrete Hinweise auf eine illegale Dioxin-Lagerung auf Europas größter Sondermüll-Halde ergeben, müsse „die ganze Deponie umgegraben werden“.

Der Grund: 1982 wurde noch nicht aufgezeichnet, welcher Abfall wo abgekippt wurde. Aufgrund der jetzt bekannt gewordenen Informationen scheint eine Total-Sanierung, möglicherweise sogar eine zumindest zeitweilige Schließung der Deponie unumgänglich. Für Hamburg, den Hauptlieferanten der Abfallkippe würde das bedeuten: Müllnotstand.

Im Fernsehen sehen Sie die ARD-Reportage “Das Geheimnis von Seveso“ im 1. Programm, heute um 21.41 Uhr.