: „Deutsch- national dürfen Sie mich nicht nennen“
Ein Gespräch mit Wolfgang Schäuble über Europa und Deutschland, Patriotismus, den rechten Rand, Steffen Heitmann und die Themen des „Superwahljahres“ 1994 ■ Von Michael Sontheimer und Antje Vollmer
taz: Herr Schäuble, Sie sind schon von Amts wegen Generalist, welches ist das politische Thema, das Ihre Leidenschaft noch zu wecken vermag, das Sie bewegt und das Sie bewegen wollen?
Wolfgang Schäuble: Es sind eine Reihe von Themen, die mich bewegen, bei denen ich auch mit Freude dabei bin. Zwei besonders: Zum einen würde ich gerne die innere Einheit Deutschlands noch besser vollendet sehen. Zum anderen treibt mich die Frage um, wie wir in diesem Europa nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes zurechtkommen und einen Beitrag zur Lösung der globalen Probleme leisten können, statt wieder die alten Balkankriege zu führen.
Sehen Sie sich eher als „deutschen Patrioten“ oder als „Europäer“?
Das ist für mich kein Gegensatz. Wenn Sie mich fragen, ob ich ein Badener bin oder ein Deutscher, würde ich auch sagen: beides. Ich glaube, daß es heute die Aufgabe eines Patrioten ist, die europäische Vereinigung weiterzubringen. Wenn ich etwas gegen das Waldsterben im Schwarzwald tun will, brauche ich dafür eine bessere Zusammenarbeit in Europa.
Wenn die Welt friedlicher werden soll, müssen Sie die Verteilungskämpfe entschärfen. Solange die einen so herumkrebsen wie sie es derzeit fast überall östlich des ehemaligen Eisernen Vorhangs tun, brauchen Sie über Umweltpolitik gar nicht zu reden.
Wie sieht Ihr Europa aus?
Ich bin nicht der Meinung, daß Europa nur westlich von Jalta liegt. Aber Westeuropa steht für die westliche Wertegemeinschaft, Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit. Eine andere Frage ist dann die der Geographie. Ich sage seit längerem, wir sollten die vier Reformstaaten Polen, Tschechische und Slowakische Republik und Ungarn zumindest in den Schutzbereich der Nato einbeziehen, wenn wir sie schon nicht so schnell wirtschaftlich stabilisieren können.
Ich würde allerdings nicht dazu raten, das gegen den Willen Rußlands zu machen. Wir sollten Rußland nicht in einer Phase tatsächlicher oder vermeintlicher Schwäche demütigen. Ich denke, es wird noch lange dauern, bis die Vision Lafontaines, die Sowjetunion beziehungsweise Rußland in die Nato zu integrieren, verwirklicht werden kann.
Die Russen haben Angst vor neuer Isolierung.
Ja. Aber die Nato muß unter allen Umständen sicherstellen, daß in ihrem Bereich keine Kriege geführt werden. Wie wollen Sie das für das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion garantieren? Die Nato muß ihr militärisches Krisenmanagement ohnehin verbessern. Wir haben ja schon gesehen, wie unterschiedlich die Betrachtungsweise des Krieges in Ex-Jugoslawien ist – zwischen Frankreich und England auf der einen und Deutschland auf der anderen Seite.
Sie haben die Stichworte Patriotismus und europäische Einigung genannt. Steckt darin nicht ein Widerspruch, denn die beiden deutschen Gesellschaften driften seit der Vereinigung nach rechts, und die Ressentiments gegen die europäische Integration werden stärker und von Figuren wie Schönhuber genährt.
Ich bestreite Ihre These, daß wir wegen der deutschen Einigung mehr Sorgen mit dem rechten Rand des politischen Spektrums haben. Ich glaube vielmehr, daß die plötzliche Abwesenheit des sichtbaren äußeren Drucks nach dem Ende des Ost-West-Konflikts dafür sorgt, daß sich das Spektrum stärker ausdifferenziert und wir uns der westeuropäischen Normalität annähern.
Das wäre die nach außen feindlose Gesellschaft, die sich jetzt den Feind im eigenen Land sucht.
Da ist sicher etwas dran. Dazu kommt aber noch die Verunsicherung durch die Wanderungsbewegungen nach dem Zerschneiden des Eisernen Vorhangs. Sie sind nur ein Ausdruck davon, daß die globalen Verteilungskonflikte dramatischer werden. Das spüren die Menschen. Und sie haben die Ahnung, daß wir in einer Welt mit diesen unglaublichen Entwicklungen nicht mehr so tun können, als säßen wir auf einer Insel der Seligen und der Rest geht uns nichts an.
„Wir wollen Deutschland eingebunden halten“
Der Umbruch und das Chaos in Osteuropa und die deutsche Einheit hängen ja unmittelbar miteinander zusammen, dennoch beharre ich darauf, daß ein Rechtsrutsch in Deutschland zu konstatieren ist. Für mich war diese Entwicklung schon klar, als ich in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 in Berlin all diese angetrunkenen jungen Männer mit stumpfen Gesichtern unter Reichskriegsflaggen durch das Brandenburger Tor ziehen sah. Ihre Regierung betreibt das Projekt der Normalisierung vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, wünscht sich ein ungebrochenes Nationalbewußtsein und fördert damit radikale Strömungen.
Ich sehe Ursache und Wirkung gerade umgekehrt. Ich habe im übrigen an die besagte Nacht, in der ich am Reichstag war, eine ganz andere Erinnerung. Die rund eine Million Menschen dort habe ich als friedlich, entspannt und heiter erlebt. Niemand mußte da Angst haben vor dem Wiedererwachen eines aggressiven Nationalismus. Gleichwohl kam es zu den Anschlägen auf Ausländer, die leider in Ostdeutschland anfingen. Aber das hat nichts mit wiedererwachtem Nationalismus, sondern mit einer Überforderung der Menschen zu tun. Ich habe mich manchmal gefragt, ob wir nicht etwas falsch gemacht haben, als wir die Asylbewerber sofort auch auf die neuen Bundesländer verteilt haben. Wir hatten ja auch dafür gesorgt, daß die vietnamesischen Vertragsarbeiter erst mal bleiben konnten.
Grundsätzlich sage ich, das nationale Bewußtsein ist in Deutschland eher schwach entwickelt. Es fehlt uns, um die sozialen Konflikte beherrschbar zu halten. Soweit dieses Bewußtsein als einigendes Band aber vorhanden ist, darf man es nicht den Extremisten überlassen. Ich glaube, man braucht es gerade auch für eine freiheitliche Gesellschaft als emotionale Grundlage der Zusammengehörigkeit der Gemeinschaft. Und wenn aus bekannten Gründen es davon zu wenig gab, kann sich in extremen Situationen etwas hochschaukeln wie bei diesen schrecklichen Anschlägen geschehen. Jetzt gibt es so eine Animosität gegen die Maastricht-Verträge. Aber warum sind denn diejenigen wie der Kohl und der Schäuble, die für die Vollendung der nationalen Einheit eintreten, auch so stur für die Maastrichter Verträge? Weil wir Deutschland eingebunden halten wollen.
Sie haben hier in Bonn als Pragmatiker, als effizienter Macher angefangen, inzwischen wird Ihnen auch die Rolle des konservativen Vor- oder Nachdenkers zugeschrieben. Franz-Josef Strauß hat es immer als Aufgabe der Konservativen verstanden, am rechten Rand integrativ zu wirken. Wir fragen uns inzwischen: Wer kümmert sich eigentlich um die Mitte der Gesellschaft, das liberale Bürgertum, die Intelligenz? Ist deren Partizipation und Integration nicht ebenso wichtig wie die „Sorgen der kleinen Leute“, die sich jetzt auch Scharping zur Herzensangelegenheit machen will? Die Hamburger Wahl zeigt auch, daß die CDU ebenso in der Mitte verliert wie am rechten Rand.
„Ich denke nicht von den Rändern her.“
Ich denke nicht von den Rändern her. Für mich gehören die kleinen Leute allerdings zur Mitte.
Aber die haben nicht das klassische Selbstverständnis etwa des jüdischen Bürgertums in den zwanziger Jahren. Das war gekennzeichnet durch persönliche Verantwortung für das Gemeinwesen, soziale und kulturelle Verantwortung und die gelegentliche Bereitschaft, auch mal ein politisches Amt zu übernehmen.
Wenn Sie auf das jüdische Bürgertum verweisen, das war in der Tat ein erheblicher Teil unserer Elite ...
Und die Ausschaltung oder Auslöschung einer solchen Elite betreibt jede Diktatur.
Natürlich.
Und diese wachsen nur sehr langsam wieder heran, was eine der Schwächen der Bundesrepublik von Anfang an ausmacht.
Wir haben eine Schwäche von Eliten. Wenn ich sage, wir könnten mehr Patriotismus gebrauchen, meine ich nicht so sehr, wie Franz- Josef Strauß, daß es rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben darf. Ich zitiere eher Böckenförde, der gesagt hat, die freiheitliche Verfassung lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann. Dazu gehört ein gewisses Grundverständnis von Werten, aber auch ein Bewußtsein der Zusammengehörigkeit, der Integrität, zu der wiederum das Nationale notwendig gehört. Das Zusammen ist Voraussetzung für eine entspannte Gelassenheit, die die Voraussetzung für Toleranz ist. Geht dieses verloren, wächst statt dessen Unsicherheit, dann dominieren nur noch die nackten Verteilungskonflikte und Abgrenzung ist die zwangsläufige Folge. Der polnische Botschafter hat unlängst einmal gesagt: „Wir sind ein Volk, aber wir sind keine Gesellschaft. Und Sie wollen jetzt unbedingt noch ein Volk werden, obwohl Sie so eine gute Gesellschaft sind.“ Ich denke, es ist gut, beides zu haben.
Wir sprachen über das liberale, weltoffene Bürgertum, die Werte jedoch, die Sie genannt haben, oder wenn Sie wieder vom „Nationalen“ sprechen, das gehört zum deutschnationalen Spektrum.
Deutschnational dürfen Sie mich nicht nennen, das ergäbe ein ganz schiefes Bild.
Aber in der politischen Klasse setzen sich immer mehr diejenigen durch, die ein distanziertes bis gestörtes Verhältnis zu den Intellektuellen haben. Helmut Kohl, Steffen Heitmann, Rudolf Scharping sind keine Politiker, die, altmodisch formuliert, Geist und Macht versöhnen oder gar vereinen. Deshalb die Sorge, daß die Schicht, die beispielsweise in England oder Frankreich entscheidender Teil der starken demokratischen Substanz ist, vollkommen in die Politikmüdigkeit getrieben wird.
Aber die Franzosen und Briten haben wiederum auch ein ganz selbstverständliches und damit entspanntes Verhältnis zum Begriff Nation. Sie haben eine stärkere politische Klasse, in der sich Intellektuelle und Politiker eher mischen. Ich finde, wir haben eine Schwäche der Eliten, die über die Politiker und die Parteien weit hinausgeht. Darauf hat Weizsäcker hingewiesen, aber es ist ja schon fast strafwürdig, das Wort Elite überhaupt auszusprechen.
Wenn sich ein Frankfurter Kreis von Intellektuellen der verschiedensten Couleur zusammentut und Jens Reich als Bundespräsidenten vorschlägt, wird ihm vorgehalten, er sei elitär und parteienfeindlich. Dabei müßten alle ein großes Interesse daran haben, daß wieder so ein selbstbewußtes Bürgertum entsteht, aber die Parteien sorgen sich mehr um die Ränder.
„Eine Elite ohne nationale Komponente?“
Nein. Mir sind die Ränder relativ wurscht. Angeblich bin ich immer noch daran schuld, daß die Union in Baden-Württemberg die absolute Mehrheit verloren hat, dabei wollte ich nie die Asylpolitik thematisieren. Damit gewinnt man nicht, solange man das Problem nicht wirklich lösen kann. Ich laufe nicht mit Parolen den Rändern nach, sondern versuche, die Mitte attraktiv zu machen, dann erledigen sich auch die Probleme mit den Rändern. Weshalb ich gegen eine Schwächung der Volksparteien bin.
Eine Gegenfrage: Können Sie sich eine Elite ohne nationale Komponente vorstellen, solange wir in Nationalstaaten verfaßt sind? Eliten sind ja immer auch auf den Staat bezogen.
Sehr gut. Jüngere Menschen, etwa Studentinnen und Studenten, sind heute zumindest für eine moderate Multikultur, sehr kosmopolitisch, Patriotismus ist kein attraktiver Begriff.
Patriotisch und multikulturell oder besser kosmopolitisch bedeutet keinen Widerspruch.
Hier muß es einen historischen Kompromiß geben. Man könnte sagen: Ich kann stolz auf dieses Land sein, wenn es weltoffen, multikulturell, tolerant ist.
Einspruch. Ich mag dieses Land, weil es das meine ist, zu dem ich gehöre, zu dem ich stehe, ob Stolz oder Scham. Eine andere Frage: Wie – ohne das Nationale – sollen wir denn noch Verantwortung für Hitler und seine Schergen tragen? Das geht doch nur, wenn wir Deutsche sind und uns dazu bekennen. Die kollektive Schande gilt weiterhin.
Deshalb gibt es auch diese Unsicherheit, wenn es um Patriotimus geht, weil dieses Land immer wieder Teile seiner Identität zum Exil verurteilt hat.
Könnten wir nicht die Wiedervereinigung, die Zeitenwende, den Umbruch als eine Chance verstehen, daß die Wunden besser heilen können? Ich habe mich immer dafür eingesetzt, daß wir wieder mehr jüdisches Leben in Deutschland haben.
Wenn dem so ist, warum wollen Sie dann einen Mann zum Bundespräsidenten wählen lassen, den Ignatz Bubis, der höchste Vertreter des deutschen Judentums, für in keiner Weise akzeptabel hält? Warum überhaupt ein so polarisierender Personalvorschlag?
Es ist mir natürlich nicht gleichgültig, was Ignatz Bubis sagt und ich suche auch ein Gespräch mit ihm darüber. Ich glaube nicht, daß er recht hat. Auch er hat nicht ein Monopol auf die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte.
Heitmann polarisiert nicht, seine Äußerungen werden benutzt zum Polarisieren. Das bedaure ich, aber davon darf man sich dann auch nicht zu sehr beeindrucken lassen.
Ich halte Heitmann für das Amt des Bundespräsidenten als geeignet. Was ihm jetzt an polarisierender Wirkung zugeschrieben wird, ist in Wahrheit etwas anderes.
Steffen Heitmann steht gegen die kulturelle Hauptströmung in der Gesellschaft, für mich ist der wie ein feuchtes Handtuch ins Gesicht, wie die Verklemmtheit der fünfziger Jahre. Sie sollten sich fragen, warum Richard von Weizsäcker für den deutschen Konservativismus so viel erreicht hat. Er hat mehr ausgestrahlt als nur die „Republik der kleinen Leute“.
Ich diskutiere ungern über den Bundespräsidenten, aber Weizsäcker ist sicher ein Glücksfall für unser Land. Wenn Sie sich übrigens erinnern mögen: er ist gegen die Stimmen der SPD gewählt worden.
Glauben Sie, daß die CDU Herrn Heitmann als Kandidat halten kann?
Die CDU wäre keine Volkspartei, wenn sie von dieser Medienkampagne nicht beeindruckbar wäre. Aber das wird sie aus- und durchhalten. Umgekehrt würde sich das linksintellektuelle Spektrum gar nicht so viel Sorgen machen, wenn es sich in der Erwartung sicher wäre, daß die CDU nicht fähig wäre, dieses auch durchzudrücken.
Aber mit welcher Methode? CDU und SPD sagen aus unterschiedlichen Gründen: Unsere Kandidaten stehen fest, wir halten die eigenen Reihen zusammen. Beide Seiten wissen, es geht machtpolitisch um viel. Das ist jetzt die symbolische Wahl, an ihr wird die Stärke von Helmut Kohl, die Stärke der CDU, der Koalition, alles wird daran gemessen. Jetzt, vor den vielen Landtagswahlen, geht es für viele einzelne in der Bundesversammlung um ihr eigenes Mandat. Polarisiert könnten sie – vielleicht – gewinnen, nur um welchen Preis? Sie polarisieren die Gesellschaft und nötigen einer großen Gruppe von Menschen eine Person auf, mit der sie sich nicht identifizieren können und die sie als Niederlage empfindet.
Ich bin bei Heitmann anderer Meinung als Sie. Das Argument, die SPD hat angefangen, mögen Sie wahrscheinlich auch nicht hören.
Richtig. Das interessiert aber die große Mehrheit, die Mitglied keiner Partei ist, herzlich wenig.
Aber es gibt natürlich bestimmte Zwangsläufigkeiten. Wir wollen jemanden aus den neuen Bundesländern wählen, da bin ich immer ganz stark engagiert gewesen. In dem Moment, in dem die SPD sich als Partei auf Rau festgelegt hatte, war die Union darauf verwiesen, einen Kandidaten aus ihren Reihen aus den neuen Bundesländern vorzuschlagen. Ich hätte mir auch anderes vorstellen können, als diese Auseinandersetzung, so wie sie jetzt läuft.
„Wir haben uns nie durch Geschlossenheit ausgezeichnet.“
Sehen Sie denn noch mal die Möglichkeit, aus dieser Konfrontation, und sei es zwischen dem zweiten und dritten Wahlgang, rauszukommen?
Ich habe die Frage, ob mir die Herkunft aus den neuen Ländern wichtiger als die Parteizugehörigkeit sei, gelegentlich mit ja beantwortet. Den Gedanken finden Sie auch in dem Beschluß des CDU- Parteivorstands, mit dem wir erklärt haben, Steffen Heitmann ist unser Kandidat.
Der Parteivorstand hat diesen Beschluß einstimmig gefaßt. Schon der CDU-Bundesparteitag in Berlin erinnerte einen Freund aus dem Osten an die SED unter Honecker. Sie haben keine Personalquerelen an der Spitze, aber dafür eine stumme Partei.
Was ist daran so schlimm? Die CDU spürt, daß die Politik derzeit schwierig ist, daß die Mehrheiten geringer geworden sind, daß ein nicht leichtes Wahljahr vor ihr liegt, und deshalb spürt sie zum Glück auch die Notwendigkeit, sich stärker in die Pflicht zu nehmen und zusammenzureißen, als sie das oft früher getan hat. Wir haben uns ja nie durch ein Übermaß an Geschlossenheit ausgezeichnet. In der Debatte über Beschlußvorlagen lassen sich unsere Delegierten nicht zu einem solchen leidenschaftlichen Ingrimm hinreißen, wie man das bei der politischen Linken erleben kann. Ein Parteitag ohne personelle Kontroversen erscheint einem Teil der Öffentlichkeit deshalb als ein nicht besonders interessantes Ereignis. Wir haben keine personellen Querelen.Die CDU hat einen unumstrittenen Vorsitzenden und Kanzler, im übrigen aber wie auch SPD und FDP einen großen Generationswechsel hinter sich. Norbert Blüm, der seit 1982 in der Regierung ist, ist jetzt mit Abstand der dienstälteste Minister.
Vor einem Jahr hat man versucht, uns eine Palastrevolte anzudichten. Das war so unsinnig wie nur was. Daß die jetzt herrschende Ruhe von manchem als Verlust interpretiert wird, beschwert mich nicht sehr.
Wenn wir uns mal die junge Garde in der Union ansehen, sind sie alle tief geprägt von der Erwählungsmethode ohne jede Voraussetzung: Angela Merkel, Herr Hintze. Leute, bei denen man sich niemals vorstellen könnte, daß sie inhaltlich eine Debatte gegen Helmut Kohl oder Sie bestehen könnten. Und wer füllt das Vakuum, welches der teils freiwillige, teils unfreiwillige Rückzug von Rita Süßmuth, Heiner Geißler und anderen hinterlassen hat?
Weder Rita Süßmuth noch Heiner Geißler haben sich zurückgezogen. Und wenn jemand an Einflußmöglichkeiten verliert, könnte das ja auch an einem selbst liegen. Angela Merkel beurteilen Sie übrigens ganz ungerecht. Wir wollen doch mal sehen, wer bei den Grünen, wenn sie wieder im Bundestag sind, von den Helden der Revolution im Osten noch zu finden ist. Die werden ganz schon untergewalzt.
Wo sind auf Dauer Ihre Bündnispartner? Wenn die FDP zum Beispiel nicht in den nächsten Bundestag kommt.
Vor Wahlen denkt man nicht, was alles passieren könnte, sondern was man tun kann, damit es nicht passiert. Wir setzen alles darauf, die Koalition mit der FDP fortzusetzen. Gerade die großen Parteien müssen aber auch ihre eigene Sache vertreten. Danach wird man dann sehen. Grundsätzlich bin ich allerdings der Meinung, daß alle demokratischen Parteien Bündnisse auf Zeit eingehen können.
Habe ich richtig verstanden, daß Sie die schwarze Ampel – CDU, FDP, Grüne – nicht für alle Zeit ausschließen wollen?
Ich habe in Baden-Württemberg immer gesagt: Lotet alles aus. Im übrigen verfolge ich mit einer gewissen Spannung, was bei den Grünen passiert, die sich so redlich bemühen, eine richtig normale Partei zu werden. Den Charme, mit dem sie aus einem Parteienüberdruß profitieren konnten, setzen sie dabei aufs Spiel. Wenn ich mir allerdings die Beschlüsse des Grünen- Parteitags vom letzten Wochenende zum Thema Bundeswehr ansehe, kann ich wenig von gestiegenem Verantwortungsbewußtsein erkennen.
Wenn sich nur eine Große Koalition rechnet, sind Sie doch auch dabei.
Wenn der Wähler – wie in Baden-Württemberg – ausgerechnet so entscheidet, kann man ihn ja nicht abschaffen. Aber man sollte vorher alles tun, damit er sich nicht so entscheidet.
„Ein Wahlkampf, der Zuversicht mobilisiert“
Mit welchen Themen wollen Sie die Abwahl oder die Große Koalition verhindern?
Die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Damit verbindet sich vieles. Zum Beispiel die Frage: Sind wir zu Veränderungen überhaupt noch in der Lage und bereit oder dürfen Besitzstände gar nicht mehr angetastet werden. Da sind wir beim Thema Vollendung der inneren Einheit und der äußeren Sicherheit.
In der Wirtschaft wird von sechs bis sieben Millionen Arbeitslosen in den nächsten Jahren gesprochen, Wirtschaftsminister Rexrodt hingegen verkündet regelmäßig, daß die Talsohle schon durchschritten sei.
Die Arbeitslosigkit ist nicht allein durch eine konjunkturelle Erholung abzubauen. Das sagt der Rexrodt, das sagt Kohl, das sage sogar ich. Wir brauchen deshalb eine stärkere Differenzierung auf dem Arbeitsmarkt.
Aber wie wollen Sie mit diesem Thema die Wahlen gewinnen?
Das ist ja nun wohl nicht Ihre prioritäre Sorge, sondern eher die meine. Eine der großen Chancen der Union liegt auch darin, daß die Menschen in einer solchen Zeit wahrscheinlich zu Kohl mehr Vertrauen haben als zu jemandem anderen.
Wird es einen Wahlkampf geben, der Ängste mobilisiert?
Nein. Es soll einen Wahlkampf geben, der Zuversicht mobilisiert, der Motivation zu wecken sucht, und der um die Mitte geführt wird.
Die CDU hat, denken wir an die Asyldebatte, auch schon andere Wahlkämpfe geführt.
Den Asylwahlkampf haben wir doch nicht geführt, sondern die, die uns gehindert haben, das Problem zu lösen. Ich hatte die Hoffnung, daß wir das Asylproblem vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg gelöst bekommen. Wir waren hier in dem Zimmer wenige Millimeter vor einer Einigung. Ich hätte später heulen können, angesichts der Tatsache, daß man die Frage eigentlich ein Jahr früher hätte lösen und dem Land viel ersparen können. Wir wollten Asyl nicht als Wahlkampfthema, und wir wollen auch nichts Vergleichbares in Zukunft. Man kann so keine Radikalen bekämpfen.
Sie betrachten diese Themen auch als sehr zweischneidig?
Wer Verantwortung trägt und wem dabei an der Demokratie, der Toleranz und dem inneren Frieden liegt, der muß zusammenführen, nicht auseinandertreiben. Wenn Fragen entschieden oder gelöst sind, nimmt auch die Konfrontation wieder ab.
Wird die schlechte Wirtschaftslage nicht der Regierung angelastet?
Wenn ich Sozialdemokrat wäre, würde ich das natürlich versuchen. Aber die Menschen wird nicht so sehr die Frage interessieren, warum ist es so gekommen, sondern: Wer bringt es wieder besser voran?
Da glauben Sie an Helmut Kohl.
Da glaube ich, daß die von Helmut Kohl angestoßene Standortdebatte die richtige ist und die Strategie von der IG Metall und Herrn Scharping falsch sind. Die meisten Menschen wissen doch, daß es uns erstens ganz gut geht, trotz des allgemeinen Jammerns, und daß wir zweitens nicht in allen Bereichen so weitermachen können wie bisher. Das bloße Verteidigen von Besitzständen ohne jede Perspektive wird nicht erfolgreich sein. Wer recht hat, werden wir sehen.
Spätestens in ziemlich genau einem Jahr bei den Bundestagswahlen.
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