: Die Banken gewinnen immer
Brasiliens Privatisierung nutzt vor allem den Banken / Regierung hofft, den Haushalt zu sanieren und die Inflation zu senken ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange
Die Privatisierung in Brasilien ist ein voller Erfolg – für Banken und Großbetriebe. Die Regierung, die zum Ausverkauf öffentlicher Unternehmen gezwungen ist, um den Haushalt zu sanieren, verdient allenfalls kurzfristig daran. Nachdem letzte Woche der Stahlsektor vollständig in private Hände übergegangen ist, richtet sich das Interesse der Investoren nun auf die Elektrizitätsbranche.
Welcher Bankier hätte sich das je träumen lassen? Die Kredite an den brasilianischen Staat, deren Rückzahlung immer etwas wackelig erschien, verzeichnen nun einen fantastischen Rücklauf. Nicht nur regelmäßige Zinszahlungen füllen die Kassen von brasilianischen und internationalen Kreditinstituten. Die Gläubiger können nun ihre Schuldentitel in Aktien von öffentlichen Unternehmen umtauschen. Und das rentiert sich: Nach der Veräußerung der Aktien zu traumhaft niedrigen Preisen steigt deren Wert um bis zu tausend Prozent.
Brasiliens große Privatbanken Bradesco und Itau stiegen mit Papieren im Wert von 500 Millionen US-Dollar in das Geschäft ein. Doch die Bankiers interessieren sich nicht für die industrielle Produktion. „Wir wollen uns die Freiheit bewahren, zum richtigen Zeitpunkt auszusteigen“, erklärte Itau- Chef Carlos da Camãra Pestana. Ziel der Banken sei es lediglich, die Schuldentitel gewinnbringend zu nutzen – und dann die Aktien wieder zu veräußern.
Einer der Hauptnutznießer der neoliberalen Umstrukturierung ist das brasilianische Bankenkonsortium Bozano-Simonsen. Es hält wesentliche Anteile an den privatisierten Stahlunternehmen Usiminas, Compania Siderúrgica de Tubarão (CST) und dem Giganten Cosipa . Die Aktien von Usiminas sind seit der Privatisierung um 159 Prozent in ihrem realen Wert gestiegen, die CST-Papiere brachten eine Rendite von 95 Prozent ein. Die Erträge von Bozano-Simonsen haben dementsprechend zugenommen: Die Bank verzeichnete letztes Jahr ein Plus von 59 Prozent.
Die Compania Siderúrgica Nacional (CSN) im Bundesstaat Rio de Janeiro – deren Aktien vor fünf Monaten an Banken, konkurrierende Unternehmen sowie die 16.000 Angestellten verkauft wurden – profitiert ebenfalls von der Privatisierung. Die geplanten Investitionen in Höhe von 800 Millionen Dollar in den nächsten fünf Jahren sollen zum Erwerb von Aktien der Elektrizitätsgesellschaft „Light“ und der brasilianischen Bundesbahn genutzt werden. CSN-Geschäftsführer Roberto Procópio Lima Neto betrachtet das Einverleiben von Zulieferern und Abnehmern als notwendige „Synergie“, also als Zusammenwirken der Unternehmen, nicht als Kartellisierung.
Während der brasilianischen Militärdikatur (1964 bis 1985) finanzierten die staatlichen Gesellschaften große Bauvorhaben mit in- und ausländischen Krediten – und häuften so die Schulden an, die heute unter anderem durch die Einnahmen aus der Privatisierung abgezahlt werden müssen. Das Elektrizitätswerk Itaipu, die U-Bahnen in den Metropolen São Paulo und Rio sowie die Erweiterung des Straßennetzes stammen aus dieser Zeit. Unter den Projekten befanden sich allerdings auch Finanzruinen wie die bis heute nicht fertiggestellte Ferrovia do Aço (Stahleisenbahn), die Eisenerz zum Exporthafen Tubarão transportieren sollte.
Wirtschaftsminister Fernando Henrique Cardoso hat die Privatisierung zur obersten Priorität bei der Bekämpfung der monatlichen Inflation von 30 Prozent erhoben: Wenn der Staat nicht mehr die Notenpresse anwerfen muß, um das Haushaltsloch zu stopfen, hofft die Regierung, endlich die Geldentwertung stoppen zu können. Nach einer Abstimmung im Senat kann sich nun auch ausländisches Kapital zu hundert Prozent an dem Ausverkauf öffentlicher Betriebe beteiligen. Zuvor war der Anteil ausländischen Kapitals beim Erwerb brasilianischer Staatsunternehmen auf 40 Prozent beschränkt gewesen.
Die Lobbyarbeit von Bankern und Industriellen ist bereits in vollem Gang. Denn im kommenden Monat entscheidet der brasilianische Kongreß anläßlich einer Verfassungsrevision, ob auch die bisher als strategisch angesehenen Sektoren wie Telekommunikation und Mineralölindustrie zum Verkauf an die private Wirtschaft freigegeben werden. „Die Abgeordneten der bürgerlichen Parteien, die für ihre Wiederwahl von den Geldern der Industrie abhängen, stehen bereits mächtig unter Druck“, meint Márcio Araujo von der brasilianischen Arbeiterpartei PT.
Im Vergleich zu anderen Ländern Lateinamerikas steckt die Privatisierung in Brasilien jedoch noch in den Kinderschuhen. Seit August 1990 wurden 23 Firmen versteigert, die Einnahmen betrugen rund sechs Milliarden Dollar. „Noch rund 45 Milliarden Dollar sind zu kriegen“, schätzt Rabello de Castro. Mißbräuche müßten durch die Streuung des Vermögens verhindert werden. „Die Arbeitnehmer haben bei der staatlichen Rentenversicherung ein Kapital von 40 Milliarden Dollar angelegt“, erklärt er. Der einzige Ausweg, um zu verhindern, daß die Bevölkerung um ihr Geld geprellt würde, sei ihre Beteiligung an der Privatisierung.
Doch was bedeuten die Einnahmen aus dem Verkauf von Staatsbetrieben für die Zinszahlungen ins Ausland? Nach Angaben der brasilianischen Zentralbank hat das Land in den vergangenen zehn Jahren 130 Milliarden Dollar an seine ausländischen Gläubiger überwiesen. Die internationalen Kredite im selben Zeitraum beliefen sich gerade auf 17 Milliarden Dollar. „Wir haben unsere Schulden bereits mehrfach bezahlt“, beschreibt Márcio Araujo von der Arbeiterpartei das Spiel mit den Schuldentiteln, bei dem immer die Banken gewinnen. Die brasilianische Auslandsschuld ist durch den Aderlaß nicht gesunken: Sie beträgt immer noch 120 Milliarden Dollar. Um diese Summe abzutragen, reicht auch der radikalste Ausverkauf von Staatseigentum nicht aus.
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